USA/Grossbritannien

Jüdische Gemeinden in Alarmbereitschaft

Am vergangenen Samstag wurden in der Synagoge von Colleyville in Texas vier Beter zehn Stunden lang als Geiseln genommen Foto: imago images/ZUMA Wire

Nach der Geiselnahme in einer Synagoge in Colleyville im Bundesstaat Texas am vergangenen Samstag und vor dem Schabbat ist die Stimmung unter Amerikas Juden gedrückt. War der von einer Spezialeinheit der Polizei erschossene Attentäter tatsächlich nur ein Einzeltäter? Könnte es womöglich zu Nachahmertaten kommen?

Die Sicherheitsvorkehrungen an zahlreichen jüdischen Gotteshäusern wurden diese Woche jedenfalls verstärkt und es wurde zu erhöhter Wachsamkeit aufgerufen. »Wir stehen alle noch unter Schock«, zitierte die »Jerusalem Post« den für eine Reform-Gemeinde in New York tätigen Rabbiner Joshua Stanton.

Externer Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel anreichert. Wir benötigen Ihre Zustimmung, bevor Sie Inhalte von Sozialen Netzwerken ansehen und mit diesen interagieren können.

Mit dem Betätigen der Schaltfläche erklären Sie sich damit einverstanden, dass Ihnen Inhalte aus Sozialen Netzwerken angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittanbieter übermittelt werden. Dazu ist ggf. die Speicherung von Cookies auf Ihrem Gerät nötig. Mehr Informationen finden Sie hier.

Synagogen würden nicht ohne Grund »Sanctuaries«, also Zufluchtsorte, genannt, denn dort solle jeder ein Gefühl der Ruhe und Verbundenheit verspüren, so Stanton. »Der Gedanke, dass wir nicht nur durch die Sicherheitskontrolle gehen müssen, um dorthin zu gelangen und unsere Taschen kontrollieren zu lassen, sondern jetzt auch noch wissen, dass das vielleicht nicht ausreicht - das ist schmerzhaft«, erklärte Stanton. Er habe sich nicht zum Rabbiner ausbilden lassen, um als Sicherheitsexperte zu enden, betonte er.

BEDROHUNGSLAGE Charlie Cytron-Walker, der Rabbiner der Beth Israel-Gemeinde von Colleyville, der selbst zehn Stunden lang von dem aus Großbritannien stammenden Attentäter als Geisel genommen worden war, sagte am Mittwoch, man wisse noch nicht, wie man den Vorfall verarbeiten werde. Cytron-Walker ermutigt seine Gemeindemitglieder dazu, notfalls einen Psychologen aufzusuchen, um mit den traumatischen Erfahrungen des Angriffs fertigzuwerden. Man treffe aber Vorkehrungen, schon an diesem Schabbat wieder einen Gottesdienst in der Synagoge abzuhalten.

»Die Bedrohungen gegen Synagogen und andere jüdische Einrichtungen [in den USA] sind wohl so hoch sind wie nie zuvor. Es unerlässlich, dass die Regierung angemessene Mittel zur Verfügung stellt, um diese Bedrohung einzudämmen«, sagte Jonathan Greenblatt, Geschäftsführer der Anti-Defamation League, Anfang dieser Woche. Er forderte zudem den Senat auf, Deborah Lipstadt als Sonderbeauftragte des Außenministeriums zur Überwachung und Bekämpfung des Antisemitismus zu bestätigen.

Am Mittwochabend hatte die britische Zeitung »Jewish Chronicle« aus der Aufzeichnung eines Telefonats zitiert, dass der 44-jährige Attentäter während der Geiselnahme in der Synagoge in Colleyville mit seinem sich in einer englischen Polizeistation befindlichen Bruder führte. Darin sprach er von »fucking Jews«, den »verdammten Juden«, und forderte seinen Bruder und andere junge Leute auf, »ebenfalls nach Amerika zu kommen und sie zu f****«.

TERRORVERBINDUNGEN Man werde den Juden »den verdammten Krieg erklären«, wenn diese sich »mit uns anlegen wollen«. Er freue sich über die Aufmerksamkeit, die er für die Sache der Muslime, die in den USA unterdrückt würden, auf sich gezogen habe, und wolle für seine Sache als Märtyrer sterben. Kurz darauf wurde der Mann von einer Spezialeinheit erschossen.

Am Morgen hatte er sich als Obdachloser ausgegeben, um in die Synagoge eingelassen zu werden, und dann vier Menschen, die sich zum Schabbat-Morgengebet in dem Gebäude befanden, als Geiseln genommen. Wiederholt forderte er die Freilassung von Aafia Siddiqui, einer in den USA inhaftierten pakistanischen Wissenschaftlerin, die verdächtigt wird, Verbindungen zu Al-Qaida zu haben, und nannte sie dabei »Lady Qaida«.

FESTNAHMEN Ursprünglich hatte das FBI in Dallas erklärt, die Tat von Malik A. in der texanischen Synagoge habe wohl nicht direkt der jüdischen Gemeinde gegolten. Von einem verwirrten Einzeltäter war zunächst die Rede. Nach Veröffentlichung der Aufnahme des Telefonats wird der Anschlag nun aber in einem anderen Licht gesehen.

Der Mann aus Blackburn mit pakistanischen Wurzeln hatte laut »Jewish Chronicle« eine längere Vorgeschichte als Kleinkrimineller und fiel auch schon vorher mit Hetztiraden gegen Juden auf. Offenbar hatte er sich in den vergangenen Jahren radikalisiert und zusehends mit radikalen, islamistischen Ideen sympathisiert.

In Zusammenhang mit dem Anschlag wurden am Donnerstag in Großbritannien zwei weitere Personen festgenommen. Das teilte die Polizei in Manchester mit. Schon am vergangenen Wochenende waren zwei Jugendliche verhaftet worden, die als mögliche Komplizen des Colleyville-Terroristen gelten. mth

München

Europäische Rabbiner sagen Baku-Konferenz aus Sicherheitsgründen ab

Rund 600 Teilnehmer aus aller Welt sind angemeldet. Viel Geld war in die Vorbereitung geflossen

von Imanuel Marcus, Mascha Malburg  28.10.2025 Aktualisiert

Meinung

Antisemitismus der Anständigen

Judenhass in der Schweiz ist brandgefährlich, weil er so höflich und diskret daherkommt

von Zsolt Balkanyi-Guery  27.10.2025

Meinung

Die SP im moralischen Blindflug

Mit zwei widersprüchlichen Resolutionen beweist die Sozialdemokratische Partei der Schweiz einmal mehr ihre ethische Orientierungslosigkeit

von Nicole Dreyfus  27.10.2025

USA

Der reichste Mann der Welt – für einen Tag

Larry Ellison gehört zu den Großen des Silicon Valley und hält Künstliche Intelligenz für die wichtigste Erfindung der Menschheit

von Sara Pines  26.10.2025

Nachruf

Letzter Kämpfer des Aufstands des Warschauer Ghettos gestorben

Michael Smuss wurde 99 Jahre alt

 24.10.2025

Wien

Nobelpreisträger warnt vor technischer Abhängigkeit von den USA

Joseph E. Stiglitz kritisiert Präsident Trump und ruft Wissenschaft und Medien zur Verteidigung der Medienfreiheit weltweit auf

von Steffen Grimberg  24.10.2025

Polen

Antisemitische Hetzer verhindern Konzert jüdischer Musiker

Der Chor der Pestalozzi-Synagoge in Berlin war eingeladen, in Września gemeinsam mit dem dortigen Kinderchor den Komponisten Louis Lewandowski zu ehren. Nach Hetze und Drohungen wurden alle Veranstaltungen abgesagt

von Sophie Albers Ben Chamo  23.10.2025

Großbritannien

Jiddisch verbindet

Zwischen Identitätssuche, Grammatik und Klezfest. Unsere Autorin war beim Sprachkurs »Ot Azoy« in London

von Sabine Schereck  23.10.2025

Rabbiner Noam Hertig aus Zürich

Diaspora

Es geht nur zusammen

Wie wir den inneren Frieden der jüdischen Gemeinschaft bewahren können – über alle Unterschiede und Meinungsverschiedenheiten hinweg

von Rabbiner Noam Hertig  23.10.2025