USA

Jüdische Gemeinde unter Schock

Kein Tag vergeht ohne Waffengewalt in den USA. Nun hat ein Schütze bei einer Parade anlässlich des Nationalfeiertages in eine Menschenmenge geschossen. Foto: IMAGO/ZUMA Wire

14 Minuten nach dem Start der Parade um zehn Uhr fallen Schüsse. Plötzlich verwandelt sich das Viertel Highland Park in ein Inferno. Mittendrin sitzen die Musiker der Maxwell Street Klezmer Band auf der Ladefläche eines Pick-Up-Trucks und spielen ein fröhliches Hochzeitslied. Es heißt: »Freilach von der Chuppah«. Als die Menschen plötzlich auf sie zu- und vorbeirannten, spielten sie weiter.

»Es war surreal«, sagte Tuba-Spieler Howard Prager später im Gespräch mit örtlichen Medien. »Man sieht diese Katastrophenfilme im Fernsehen, wo Menschen plötzlich rennen, und wir fahren direkt darauf zu, ohne zu wissen, was passiert«. Er habe einige »Plops« gehört, aber dabei nicht an Schüsse gedacht. Erst als der Pianospieler sagte: »Irgendwas stimmt hier nicht«, habe die Band selbst Schutz gesucht.

Der Amoklauf eines Schützen in einem Vorort von Chicago am 4. Juli, dem amerikanischen Nationalfeiertag, hat auch die jüdische Gemeinde dort tief getroffen. Unter den sechs Toten und 25 zum Teil schwer Verletzten befinden sich auch offenbar jüdische Opfer; das Viertel ist stark jüdisch geprägt, rund ein Drittel der 30.000 Bewohner zählen zur Jewish Community. In der Nähe des Tatorts befindet sich eine Synagoge von Chabad.

Die US-Schauspielerin Rachel Brosnahan, bekannt unter anderem durch die Amazon-Erfolgsserie The Marvelous Mrs. Maisel, ist in diesem Viertel groß geworden. Am Montag schrieb die 31-jährige auf Twitter, sie sei entsetzt und traurig über die Schüsse bei der Feiertagsparade: »Ich bin in Highland Park aufgewachsen, und diese Parade ist für so viele Familien ein Höhepunkt des Jahres. Mir ist jedes Mal übel, wenn es solche Nachrichten gibt - ich wünsche niemandem diesen Stich in der Magengrube, wenn ihr eure Familie und Freunde anruft, um sicherzugehen, dass es allen gut geht.«

Dazu teilte Brosnahan einen Link zu der amerikanischen Non-Profit-Organisation Everytown for Gun Safety, die sich für Waffenkontrolle einsetzt. In einer Instagram-Story teilte die Schauspielerin zudem Erinnerungen an ihre Jugend in Highland Park. »Ich habe nie darüber nachgedacht, dass ich dort nicht sicher sein könnte«, schrieb sie. »Die Definition von Wahnsinn ist, immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten. Wir haben unseren Verstand verloren. Mein Herz ist gebrochen - für die Familien in Highland Park, die von den heutigen Schüssen betroffen sind.«

Die Hintergründe der Tat sind weiterhin unklar. Es scheine, als habe der Täter bei der Parade vom Dach eines Geschäftsgebäudes aus wahllos auf die Menschenmenge geschossen, sagte ein Sprecher des Sheriff-Büros von Lake County. Bei der Schusswaffe, die am Tatort gefunden worden sei, habe es sich um ein »leistungsstarkes Gewehr« gehandelt. Erst Stunden nach den tödlichen Schüssen gelang es den Ermittlern, einen Verdächtigen zu identifizieren. Am Montagabend war der 22-Jährige gefasst worden.

Auch der Sänger und Songwriter Richard Marx, der wie Brosnahan in Highland Park aufwuchs, äußerte sich inzwischen auf Twitter zu der Tat. Er erkundige sich gerade aktiv nach dem Wohlergehen der Menschen, die er vor Ort noch kenne, schrieb er am Montagabend. »Diese ständigen Massenerschießungen brechen mir immer das Herz, egal wo sie stattfinden, aber heute bin ich besonders untröstlich. Und besonders wütend über die Sinnlosigkeit.«

Entsetzt und geschockt zeigte sich auch Klezmer-Musiker Howard Prager, der seit 1983 mit seiner Band zu Hochzeiten, Festivals und der Parade am Nationalfeiertag auftritt: »Wir müssen das beenden. Niemand von uns verdient es, in solcher Angst zu leben.« hek

Kommentar

Der »Tages-Anzeiger« und das Geraune von der jüdischen Lobby

Die Zeitung unterstellt, erst eine Intervention des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebundes habe zur Absage einer Veranstaltung mit Francesca Albanese durch die Uni Bern geführt. Dabei war die Intervention richtig

von Michael Thaidigsmann  15.09.2025

Argentinien

Raubkunst in der Immobilienanzeige

Die Tochter eines Naziverbrechers wollte ihre Villa verkaufen und führte Ermittler auf die Spur einer gestohlenen Kunstsammlung

von Andreas Knobloch  13.09.2025

München/Gent

Charlotte Knobloch spricht von »historischem Echo«

Nach der Ausladung des israelischen Dirigenten Lahav Shani von einem Musikfestival meldet sich Charlotte Knobloch mit deutlichen Worten

 11.09.2025

Italien

Jüdisches Touristen-Paar in Venedig attackiert

Die Täter schrien »Free Palestine«, bevor sie die Ehefrau mit einer Flasche attackierten und ihren Ehemann ohrfeigten

 11.09.2025

Georgien

Sicher und schön

Der Kaukasus-Staat pflegt Erbe und Zukunft der Juden. Und bietet atemberaubende Natur. Ein Besuch

von Michael Khachidze  11.09.2025

Belgien

Argerich, Maisky, Schiff empört über Gent-Festival

Bekannte jüdische und nichtjüdische Musiker haben eine Petition gestartet, um gegen die Ausladung der Münchner Philharmoniker und ihres Dirigenten Lahav Shani zu protestieren

 11.09.2025

Imanuels Interpreten (13)

Herb Alpert: Der Universalkünstler

Vom Trompeter zum Philantropen: Der Sohn jüdischer Einwanderer aus Kalifornien erreichte in den 90 Jahren seines bisherigen Lebens viel

von Imanuel Marcus  10.09.2025

Bundesamt für Statistik

Dieser hebräische Vorname ist am beliebtesten bei Schweizer Eltern

Auch in der Schweiz wählen Eltern weiterhin häufig biblische Namen für ihr Neugeborenes

von Nicole Dreyfus  10.09.2025 Aktualisiert

Südafrika

Unvergessliche Stimme

Die Schoa-Überlebende Ruth Weiss hat sich als Journalistin, Schriftstellerin und Kämpferin für Menschenrechte einen Namen gemacht. Sie wurde 101 Jahre alt. Ein Nachruf

von Katrin Richter  10.09.2025