Ottawa

Jüdisch, schwarz und engagiert

Die 47-jährige Annamie Paul ist neue Bundesvorsitzende der kanadischen Grünen

von Jessica Donath  29.10.2020 11:21 Uhr

Tochter karibischer Einwanderer: Annamie Paul Foto: Brittany Gawley

Die 47-jährige Annamie Paul ist neue Bundesvorsitzende der kanadischen Grünen

von Jessica Donath  29.10.2020 11:21 Uhr

Die neue Vorsitzende der Grünen in Kanada, Annamie Paul, ist in ihrem Heimatland eine große Ausnahme: Als erste schwarze und zweite jüdische Person führt die 47-Jährige seit Anfang des Monats eine Partei auf Bundesebene.

Die Tochter karibischer Einwanderer ist sich der Symbolkraft ihrer Wahl bewusst. »Es bedeutet mir viel, und ich kann sehen, dass es auch der jüdischen Gemeinschaft viel bedeutet, dass wir endlich eine jüdische Frau in dieses Amt gewählt haben«, sagt sie. Kanada werde oft als gelungenes Beispiel für Integration gefeiert. Auf der Ebene der nationalen Politik sei dieses Idealbild bisher jedoch noch nicht verwirklicht worden.

repräsentation Die Politikwissenschaftlerin Lori Turnbull von der Dalhousie University in Halifax begrüßt Pauls Sieg. »Wir leben im Jahr 2020, Repräsentation ist wichtig«, findet sie. Gleichzeitig gibt Turnbull zu bedenken, dass die Grünen mit drei Sitzen (von 338) die kleinste Kraft im Parlament sind. Religion spiele im kanadischen Wahlkampf keine Rolle. Nur etwa ein Prozent der knapp 38 Millionen Kanadier ist jüdisch.

Die Tochter karibischer Einwanderer ist sich der Symbolkraft ihrer Wahl bewusst.

Nach Abschluss ihres Studiums in der kanadischen Hauptstadt Ottawa studierte Paul Jura in Princeton an der Ostküste der Vereinigten Staaten. Danach lebte die Menschenrechtsanwältin mit ihrer Familie über viele Jahre in Europa – zunächst sechs Jahre in Brüssel, danach sieben in Barcelona. Diese Erfahrung prägte ihr Weltbild.

»In Brüssel war ich zwar ungewöhnlich, aber nichts vollkommen Unbekanntes«, erinnert sie sich. Ihre beiden Kinder gingen in Brüssel und Barcelona in jüdische Kindergärten und Schulen. Beide Söhne sprechen mehrere Sprachen.

identität »Die Identität unserer Kinder wurde in Belgien und Spanien nie wirklich infrage gestellt, weil es in diesen Gemeinschaften einen hohen Anteil sefardischer Juden und Einwanderer aus Nordafrika gibt«, berichtet Paul. Dass ihre Kinder als jüdisch anerkannt werden, war ihr wichtig. Sie wollte ihnen das doppelte Stigma einer anderen Hautfarbe in Kombination mit einer »Mischehe« der Eltern ersparen. »Ich wollte, dass für sie ganz klar ist: ›Ich bin schwarz, ich bin jüdisch – fertig!‹«

Als sie sich mit 19 in ihren Kommilitonen Mark Freeman verliebte, war schnell klar, dass sie zum Judentum übertreten würde, wenn die Beziehung hält. Paul und ihr Mann, der ebenfalls Menschenrechtsanwalt ist, sind seit 27 Jahren ein Paar.

An der Princeton University lernte die junge Frau einen konservativen Rabbiner der jüdischen Studentenvereinigung Hillel kennen. »Ich habe bei ihm Unterricht genommen, danach kamen der Übertritt vor dem Beit Din und ein Bad in der Mikwe – das ganze Programm«, sagt Paul.

freunde »Es hat sich sehr normal und natürlich angefühlt, die jüdische Religion anzunehmen«, sagt sie. Als Kind in Toronto hatte Annamie Paul viele jüdische Freunde und Nachbarn. »Als ich zwölf, 13 war, wurde ich jedes Wochenende zu Bar- und Batmizwa-Partys eingeladen«, erinnert sie sich.

Obwohl sie ihr Judentum seit mehr als 20 Jahren offen und selbstbewusst lebt, kennt sie das Gefühl, als »anders« wahrgenommen zu werden. Viele Leute nehmen an, dass jemand, der so aussieht wie sie, Konvertitin ist. »In meinem Fall stimmt das ja auch«, sagt Paul.

Obwohl sie ihr Judentum seit mehr als 20 Jahren offen und selbstbewusst lebt, kennt sie das Gefühl, als »anders« wahrgenommen zu werden.

Aber für andere müsse es doch ungemein frustrierend sein, immerzu nach ihrer Konversion gefragt zu werden – »obwohl es doch seit Anbeginn des Judentums schwarze Juden gibt«, so Paul. Gerade in Nordamerika, wo immer noch Juden aschkenasischer Herkunft als Norm gelten, müsse aufgepasst werden, dass sich jemand, der diesem Bild nicht entspricht, nicht herabgewürdigt oder ausgegrenzt fühlt.

RASSISMUS Seit ihrer Rückkehr nach Kanada ist die Familie dabei, sich in die jüdische Gemeinschaft in Toronto und die kanadische Gesellschaft zu reintegrieren. Nicht nur die Coronavirus-Pandemie, auch das Umdenken in Sachen Rassismus und Diskriminierung von Schwarzen in diesem Jahr prägt ihr neues Leben.

»Die jüdische Gemeinschaft hier möchte an der Seite schwarzer Kanadier stehen und die Partnerschaft zwischen Juden und Schwarzen wiederbeleben«, sagt Paul. »Wenn die Menschen mich als eine Brücke zwischen beiden sehen, finde ich das fantastisch!«

USA

Modisch und menschlich

Seit 25 Jahren betreibt Allison Buchsbaum eine Galerie für zeitgenössischen Schmuck in Santa Fe. Für die Expertin von internationalem Ruf ist es nun auch ein persönlicher Neuanfang

 22.10.2024

Großbritannien

»Zionistisch und stolz«

Phil Rosenberg, der neue Chef des Board of Deputies of Jews, über den Kampf gegen Judenhass, das Verhältnis zu muslimischen Kollegen seit dem 7. Oktober und Optimismus

von Daniel Zylbersztajn-Lewandowski  20.10.2024

Südafrika

Terroristin auf dem Straßenschild?

In Johannesburg soll eine wichtige Hauptverkehrsstraße nach der Flugzeugentführerin Leila Chaled benannt werden

von Michael Thaidigsmann  16.10.2024

New York

Versteck von Anne Frank wird in Originalgröße nachgebaut

Rekonstruktion soll zum 80. Jahrestag der Befreiung des deutschen Konzentrationslagers Auschwitz in New York zu sehen sein

von Annette Birschel  16.10.2024

Österreich

Wenn der Rebbe keltert

Der Wiener Rabbiner Schlomo Hofmeister kauft jedes Jahr bei einem Winzer im Burgenland Trauben und produziert seinen eigenen koscheren Wein. Ein Ortsbesuch in Gols

von Tobias Kühn  16.10.2024

Lufthansa

Millionenstrafe wegen Diskriminierung von Juden

Die USA sanktionieren die Airline wegen des Ausschlusses von 128 jüdischen Fluggästen vom Weiterflug nach Ungarn

 16.10.2024

Indien

Kosher Mumbai

Mithilfe der »Jewish Route« soll in der indischen Metropole der reichen jüdischen Vergangenheit gedacht und eine Brücke zur Gegenwart geschlagen werden

von Iris Völlnagel  15.10.2024

Ungarn

Identitäten im Dilemma-Café

»Haver« nennt sich eine Stiftung, deren Ziel es ist, nicht-jüdischen Jugendlichen durch Spiele und moderierten Diskussionen das Judentum näherzubringen

von György Polgár  14.10.2024

Ungarn

Willkommen in Szarvas!

Einen Sommer über haben Kinder aus Osteuropa, aber auch aus Israel oder der Türkei in Szarvas neben Spaß und Spiel auch Stärke und Resilienz tanken können

von György Polgár  14.10.2024