New York

Jeder Fünfte von uns

Ein Muss für jedes Gemeindezentrum: Parkplätze für Behinderte Foto: Thinkstock

Sie sei glücklich, sagt Pascale Bercovitch. Wirklich, ihr fehle nichts, und sie spüre schon, dass dies ein schöner Tag werde. Dabei fehlt der attraktiven Frau mit dem Lockenkopf sehr eindeutig doch etwas: Sie hat keine Beine mehr.

Im Alter von 17 Jahren versuchte sie, in Frankreich einen Zug zu erreichen, sie wollte aufspringen, sprang daneben und landete unter dem Zug. 47 Minuten lag sie dann im Schnee, ehe sie jemand fand. Ein halbes Jahr, nachdem sie genesen war, machte sie Alija, wurde Soldatin in der israelischen Armee, Extremsportlerin, Filmemacherin, schrieb einen Bestseller und wurde – quasi nebenbei – auch noch zweimal Mutter.

Sponsoren Bercovitch gehörte zu den wichtigsten Sprecherinnen der sogenannten Advance-Konferenz in New York, die jüdische Sponsoren unter einem Dach versammelte, denen Behinderte am Herzen liegen. Nicht minder eindrucksvoll war aber Sue Swenson, Mutter eines Schwerstbehinderten, der vor Kurzem im Alter von 30 Jahren verstorben ist: keine Jüdin, sondern norwegischer Herkunft, »gefallene Lutheranerin«, wie sie selbst sagt, und im amerikanischen Erziehungsministerium tätig.

Sie erzählte von einer Sitzung in der UNO, bei der es darum ging, ein hochwichtiges Papier über die Rechte von Behinderten zu verabschieden. Ihr aber wollte man den Mund verbieten, weil sie doch nur die Mutter eines Behinderten sei. Da habe sie ihren Sohn mitgebracht, und weil dies sehr anstrengend war, fragte sie, ob ihn wohl jemand zum Mittagessen ausführen könne, um sie zu entlasten.

Kein einziger Advokat der Rechte von Behinderten hob die Hand. »Ihr verpasst etwas«, sagte Swenson, »denn er ist ein wunderbarer, lieber Mensch.« Und sie fügte hinzu: Es sei doch merkwürdig, dass Leute, die über Behindertenrechte entscheiden wollten, nicht mal den Mumm aufbrächten, ihren Sohn ein Mittagessen lang zu betreuen.

Bedürfnisse Der Kopf, der hinter der Advance-Konferenz steckt, ist Jay Ruderman, ein 45-Jähriger mit kurz geschnittenem Bart, der immer noch wie ein kleiner Junge aussieht. Er stammt aus Boston, lebt mit seiner Familie in Rehovot in Israel, hat von seinem Vater großen Reichtum geerbt und ist nun damit beschäftigt, ihn auf vernünftige Weise unter die Leute zu bringen.

Auf die Idee, sich vor allem um die Bedürfnisse von Behinderten zu kümmern, sei er gekommen, weil er Geld für jüdische Erziehungseinrichtungen spenden wollte. Aus Gründen der Fairness sollten dabei auch Behinderte berücksichtigt werden. Dann wurde festgestellt, dass sein Neffe Autist ist – und mit einem Mal waren Menschen mit Handicaps für Jay Ruderman überhaupt kein abstraktes Thema mehr.

»Die meisten jüdischen Sponsoren beschäftigen sich damit, wie man dazu beitragen kann, dass das jüdische Leben weitergeht«, sagt Ruderman. Man stecke Geld in die Erziehung oder fördert das Birthright-Programm, das jungen Leuten Israel nahebringen will. »Doch statistisch gesehen, ist einer von fünf Menschen behindert. Wenn wir dieses Fünftel nicht in unsere Gemeinschaft hereinnehmen, sind wir verloren.«

Die Advance-Konferenz ist ein Versuch, die Energien all jener, die Geld verschenken können, zu bündeln – mit ganz praktischen Vorschlägen: Wie schafft man es, dass Behinderte nicht in Ghettos abgeschoben werden, dass sie in Lohn und Brot kommen, dass man es ihnen möglich macht, Wohnungen zu bezahlen?

Diskriminierung Dabei geht es keineswegs nur um jüdische Behinderte – man setzt aber bei ihnen an, weil man hier auf kurze Sicht das meiste bewirken kann. Im Blickpunkt steht dabei Amerika, ein wenig aber auch Israel, wo Behinderte laut Ruderman häufig noch mit starker Diskriminierung zu kämpfen haben.

Zum dritten Mal fand diese Konferenz jetzt statt. Vielleicht wird man sie künftig in größere Konferenzen von jüdischen Sponsoren eingliedern. Vielleicht, so Ruderman, sei es aber doch sinnvoller, sie als eigenständige Veranstaltung fortzuführen. Denn das Thema »Behinderung« müsse deutlich sichtbar bleiben. So lange, bis jenes Fünftel eingegliedert ist, das heute zu oft noch draußen vor der Tür der Synagogen und Gemeindezentren bleibt.

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