Russland

Homo Farber

In Russland verlieren immer mehr Menschen das Vertrauen in die Justiz. Foto: Thinkstock

Die Worte des Staatsanwalts sind wie ein Schlag ins Gesicht des Angeklagten: »Kann denn jemand, der Farber heißt, sich wirklich umsonst für ein Dorf einsetzen?« Ein Satz, der erschreckt und das große Misstrauen gegenüber Juden in Russland entlarvt.

Im Gerichtssaal schrien nur wenige auf. Später meldeten sich Schauspieler, Künstler, Journalisten, Juden und Nichtjuden und verurteilten die erniedrigende Frage. Doch der polternde Staatsanwalt darf weiter Anklagen formulieren, über disziplinarische Maßnahmen gegen ihn wird nicht einmal nachgedacht.

Strafkolonie Ilja Farber aber, Dorflehrer in einer winzigen Gemeinde zwischen Moskau und St. Petersburg, muss für sieben Jahre in die Strafkolonie. Ein Jahr hat er bereits in Untersuchungshaft verbracht. Sein Vergehen, so das Gericht in der Stadt Twer: Bestechung.

Der heute 35-Jährige war einst Künstler in Moskau. Im Jahr 2010 zog er mit seiner Frau und drei Kindern in das 200-Seelen-Dorf Moschenka. Die Straßen dort sind unbefestigt, die Kanalisation funktioniert schlecht. Der eigensinnige Mann wollte an der Dorfschule Kunst unterrichten, auch Literatur und Musik. Er hatte seine besonderen Methoden: Mal ließ er die Schüler in völliger Dunkelheit Gedichte vorlesen, um ihnen ihre Ängste zu nehmen, mal unterrichtete er liegend auf einem Tisch. Ein Sonderling, sagten die Dörfler. Die einen lachten darüber, die anderen ärgerten sich. Was nur will dieser Städter bei ihnen?

Farber wollte viel. Vor allem wollte er Leben nach Moschenka bringen. Bereits ein Jahr nach seiner Ankunft wurde er zum Direktor des Kulturhauses im Dorf ernannt, hatte Ideen, Pläne für den Umbau – und investierte sein eigenes Geld. So sagt es zumindest Farber. Ein Bauunternehmer behauptet dagegen, Farber habe das Geld – es geht um umgerechnet 10.000 Euro – als Schmiergeld angenommen.

Totalitär Der Lehrer bestreitet den Vorwurf bis heute, wurde aber von einem Bezirksgericht in Twer für schuldig gesprochen. Das Oberste Gericht Russlands bestätigte nun das Urteil. Farber bleibt hinter Gittern. »Momentan herrscht in Russland wohl eine Zeit, in der diejenigen verurteilt werden, die etwas verändern wollen«, sagte Farber im Gerichtssaal. Das totalitäre Regime schleiche sich unbemerkt ein.

Jüdische Organisationen im Land kritisieren das harte Vorgehen gegen Farber: Die Anklage sei an den Haaren herbeigezogen. Selbst der Menschenrechtsrat beim russischen Präsidenten nannte das Urteil »zu harsch«. Farbers 19-jähriger Sohn Pjotr redet den antisemitischen Satz des Staatsanwalts derweil klein: »Die Leute kümmern sich nur deshalb um den Fall meines Vaters, weil sie verstehen, dass Russlands Justiz jederzeit jeden beliebigen Menschen aus dem Weg räumen kann, vor allem, wenn er anders ist als die anderen.«

Spanien/Lateinamerika

Juden und der »schmutzige Trick«

Jüdische Dachverbände fordern, antisemitische Begriffsdefinitionen im offiziellen Wörterbuch zu ändern

von Andreas Knobloch  07.12.2023

Großbritannien

Wie die Makkabäer

Ein jüdisches Kulturzentrum in London bietet die Chanukka-Version einer alt-englischen Theatertradition

von Daniel Zylbersztajn-Lewandowski  07.12.2023

Die Kinder der Gemeinde in Havanna fiebern dem Lichterfest entgegen.

Kuba

Chanukka mit Fidel

Tänze, Sketche und besondere Gäste gehören zum Lichterfest in Havannas Beth-Shalom-Synagoge – und viel Sonnenschein

von Andreas Knobloch  07.12.2023

Kiew

Lichter im Krieg

Für die Ukraine hat Chanukka eine besondere symbolische Bedeutung. Wie damals die Makkabäer hoffen heute die Ukrainer auf einen Sieg gegen den stärkeren Feind

von Michael Gold  07.12.2023

Anhörung

Ist der Aufruf zum Mord an Juden Mobbing, Frau Präsidentin?

Drei Präsidentinnen von Elite-Unis wurden im US-Kongress zum Thema Antisemitismus gehört und machten keine gute Figur

von Michael Thaidigsmann  06.12.2023

USA

Sicherheit auf amerikanische Art

Jüdische Gemeinden investieren massiv in den Schutz ihrer Mitglieder – vor allem als Selbstzahler

von Katja Ridderbusch  06.12.2023

Niederlande

Gut für die Juden?

Der Wahlsieg des Rechtspopulisten Geert Wilders wird kontrovers diskutiert. Das liegt auch an dessen Image als »Freund Israels«

von Tobias Müller  06.12.2023

Interview

Lachen in Zeiten des Krieges

Der Comedian Modi über eine Pause vom Horror und die Kraft der »Moshiach Energy«

von Sophie Albers Ben Chamo  03.12.2023

Dubai

Nazi-Vergleich: Bundesregierung kritisiert Kolumbiens Präsidenten

Das Außenamt wirft Gustavo Petro inakzeptable Äußerungen vor

 02.12.2023