Niederlande

Hirsche und Rehe ziehen um

Wo einst das Foyer der Synagoge war, stehen heute ausgestopfte Rehe und Hirsche. Seit Jahrzehnten schon ist hier Nijmegens Naturkundemuseum untergebracht. Der Magen David im Giebelfenster fehlt, seit die Deutschen 1940 in Nijmegen einfielen.

In zwei Jahren soll in der Alten Synagoge statt Naturschönheiten wieder Jüdisches zu erleben sein: Lesungen, Ausstellungen, Konzerte, Vorträge. Ein Kulturzentrum soll hier entstehen, wenn das Naturkundemuseum in sein neues Domizil umgezogen ist. Diesen Plan hat Jem van den Burg gefasst, der sich um den Jüdischen Friedhof der Stadt kümmert. »Es wäre schön«, sagt der 72-Jährige, »wenn das Gebäude eine neue Bestimmung bekäme, die zu seiner Geschichte passt.« Auch der Davidstern soll dann erneuert werden.

Mitstreiter Die Idee kam van den Burg, als er vor einem Jahr hörte, dass das Museum umziehen werde. Im Frühjahr traf er sich mit einem Dezernenten von Nijmegens jüdischer Gemeinde. »Da war sofort klar, dass es keine finanzielle Unterstützung gäbe«, sagt er. Doch er verzagte nicht und gewann einen Immobilienhändler als Investor und ein Dutzend Mitstreiter, um eine Stiftung zu gründen. Auf den Einladungen zu Vorbereitungstreffen steht ein Zitat von Theodor Herzl: »Wenn ihr wollt, ist es kein Traum.«

Im Treppenhaus des Museums erzählen alte Schwarz-Weiß-Fotos von der Geschichte der Synagoge, die vor gut 100 Jahren eröffnet wurde. Ein Bild zeigt sie 1913, ein zweites 1939, das dritte stammt von 1941. Auf die Tür ist ein Hakenkreuz geschmiert, daneben die Schriftzüge »Juda vrek« und »Juda stik«. Nach der Befreiung stand das Gebäude kurz vor dem Einsturz. Die 47 von einst 500 Juden, die nach Nijmegen zurückkehrten, benutzten fortan die jüdische Schule im Nachbarhaus als Synagoge.

Mit der lokalen Geschichte ist die Idee des Kulturzentrums eng verbunden: »Kitty-De-Wijze-Zentrum« soll es heißen, in Anlehnung an die gleichnamige Krankenpflegerin, nach der in Nijmegen auch ein Platz benannt ist. »Sie steht für die 417 Nijmegener Juden, die deportiert und ermordet wurden«, sagt Jem van den Burg. Im künftigen Kulturzentrum soll eine Mauer an die Opfer erinnern. Aber man hat auch die Zukunft im Blick, versteht sich als Ort der Begegnung, des Austauschs und der Diskussion.

Kapazitäten Ausgeschlossen ist dagegen, dass die Alte Synagoge wieder im eigentlichen Sinn als Bethaus und Zentrum der Gemeinde genutzt wird. Deren Vorsitzender Menno de Leeuw sagt, die Synagoge, die die Gemeinde derzeit nutzt, sei für die rund 100 Mitglieder mehr als ausreichend, zudem gebe es weder personelle noch finanzielle Kapazitäten, sich mit der Wiedereinrichtung der Alten Synagoge zu beschäftigen. »Trotzdem finden wir das Projekt als Initiative aber prima.«

Obschon die Kommune sich finanziell nicht beteiligt, steht sie hinter dem Vorhaben. Das Gleiche gilt auch für Gerard Mangnus, den Direktor des Naturkundemuseums, der mit großem Respekt über die Alte Synagoge spricht, die nach der Schoa in städtische Hände kam. »Natürlich sitzen wir in einer anderen Branche, aber mit den Jahren bekommt man doch etwas mit von der Geschichte des Gebäudes. Wir sind froh, wenn es eine öffentliche Funktion behält, und vor allem, dass diese zu seiner ursprünglichen Funktion passt.«

Die Wirkung des Zentrums soll dabei nicht auf Nijmegen beschränkt sein. »Die ganze Mediene im Osten der Niederlande kann sich hier zeigen«, verweist Jem van den Burg auf den jiddischen Namen, mit dem man in den Niederlanden alle jüdischen Gemeinschaften außerhalb Amsterdams bezeichnet. Dafür sollen demnächst Freiwillige angeworben und die Finanzierung gesichert werden.

Und noch ein weiterer Punkt steht ganz auf der Agenda: »Wir wollen Kontakte knüpfen zu jüdischen Gemeinden jenseits der Grenze im benachbarten Deutschland«, sagt van den Burg. Er selbst unterhält bereits gute Beziehungen nach Kleve, wo er jedes Jahr im November beim Gedenken der Pogromnacht das Kaddisch spricht. »Wegen des Kriegs scheint es, als sei der Fluss Waal hinter Nijmegen noch immer die Grenze. Dabei denke ich, dass es gemeinsam eine ganze Menge zu gewinnen gibt.«

Kommentar

Müssen immer erst Juden sterben?

Der Anschlag von Sydney sollte auch für Deutschland ein Weckruf sein. Wer weiter zulässt, dass auf Straßen und Plätzen zur globalen Intifada aufgerufen wird, sollte sich nicht wundern, wenn der Terror auch zu uns kommt

von Michael Thaidigsmann  14.12.2025

Meinung

Blut statt Licht

Das Abwarten, Abwiegeln, das Aber, mit dem die westlichen Gesellschaften auf den rasenden Antisemitismus reagieren, machen das nächste Massaker nur zu einer Frage der Zeit. Nun war es also wieder so weit

von Sophie Albers Ben Chamo  14.12.2025 Aktualisiert

Anschlag in Sydney

Felix Klein: »Von Terror und Hass nicht einschüchtern lassen«

Zwei Männer töten und verletzen in Sydney zahlreiche Teilnehmer einer Chanukka-Feier. Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung äußert sich zu der Tat

 14.12.2025

Terror in Sydney

Zivilist entwaffnet Angreifer und wird als »Held« gefeiert

Zwei Männer schießen auf Teilnehmer einer Chanukka-Feier in Sydney: Es gibt Tote und Verletzte. Ein Video soll nun den mutigen Einsatz eines Passanten zeigen

 14.12.2025

Australien

Merz: »Angriff auf unsere gemeinsamen Werte«

Bei einem Anschlag auf eine Chanukka-Feier in der australischen Metropole gab es viele Tote und Verletzte. Der Bundeskanzler und die Minister Wadephul und Prien äußern sich zu der Tat

 14.12.2025 Aktualisiert

Terror in Sydney

Zentralrat der Juden: »In Gedanken bei den Betroffenen«

Der Zentralrat der Juden und weitere jüdische Organisationen aus Deutschland äußern sich zu dem Anschlag auf eine Chanukka-Feier im australischen Sydney

 14.12.2025 Aktualisiert

Australien

16 Tote bei antisemitischem Massaker in Sydney

Australien ist im Schockzustand: Zwei Attentäter schossen am Sonntag auf Juden, die sich in Bondi Beach zu einer Chanukka-Feier versammelt hatten

von Michael Thaidigsmann  14.12.2025 Aktualisiert

Australien

Judenfeindlicher Terroranschlag in Sydney: Zwei Personen in Polizeigewahrsam

Die Polizei ruft nach dem Angriff in Sydney dazu auf, das Gebiet des Angriffs weiter zu meiden. Der Einsatz dauere an

 14.12.2025

Terror

Medienberichte: Terroranschlag in Australien bei Chanukka-Feier

Die Polizei warnt vor einem »sich entwickelnden Vorfall« am Bondi Beach. Ersten Berichten zufolge soll das Ziel ein Chanukka-Fest gewesen sein. Australische Medien berichten von mehreren Opfern

von Denise Sternberg  14.12.2025 Aktualisiert