Ümit Vural

»Herausforderung für die Zukunft«

Ümit Vural Foto: pr

Herr Vural, die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGÖ) möchte die Antisemitismus-Definition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) annehmen. Wie kam es dazu?
Der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG), Oskar Deutsch, hat mich im Rahmen eines Besuchs spontan darauf angesprochen, ob ich kein Zeichen im gemeinsamen Kampf gegen Antisemitismus, aber auch gegen antimuslimische Hetze setzen wolle. Als ich bejahte, erzählte er mir von der Definition der IHRA und wie wichtig die Unterscheidung zwischen berechtigter Kritik an Israel und eben antisemitisch unterfütterter Polemik sei. Da wir als IGGÖ parallel dazu an einer Definition von Islamfeindlichkeit arbeiteten, sah ich die Notwendigkeit, hier mitzugehen. Wir führten die Gespräche dann fort und heute stehen wir dort, wo wir stehen.

Wann genau werden Sie die Definition offiziell annehmen?
Da ich seit meinem Amtsantritt sowohl antimuslimische Hetze als auch Antisemitismus stets klar verurteilt habe, empfinde ich die IHRA-Definition in meiner Arbeit ohnehin als angenommen und mitgetragen.

Welche Folgen wird die Annahme der Definition für Ihren Verband haben?
Die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich ist kein Verband, sondern eine Körperschaft des öffentlichen Rechts und für die Anliegen der österreichischen Musliminnen und Muslime verantwortlich. Eben die österreichischen Muslime haben kein Interesse daran, den jüdischen Mitmenschen das anzutun, was uns Muslimen in Zeiten der brachialen Islamfeindlichkeit angetan wird.

Inwiefern ist Antisemitismus ein Problem in der muslimischen Gemeinschaft?
In Zeiten von Social Media ein gröberes, da insbesondere dort ungestraft und vor allem für unvorbereitete Jugendliche antisemitische Klischees und Feindbilder en masse produziert und angeboten werden. Das wird auch unsere Herausforderung für die Zukunft sein: unsere jungen Menschen dafür zu sensibilisieren, was recht und was eben unrecht ist.

Ihr Verband ist der erste muslimische in Europa, der diese Definition annehmen möchte. Wie reagieren muslimische Dachverbände in anderen europäischen Ländern auf Ihre Entscheidung?
Die Reaktionen, die ich bis jetzt erhalten habe, waren durchweg positiv.

Die IHRA-Antisemitismusdefinition enthält auch anschauliche Beispiele, in welchen Fällen die Kritik am Staat Israel als Antisemitismus anzusehen ist. Gab es in diesem Punkt innerhalb der IGGÖ Widerstände gegen Ihren Beschluss?
Als österreichische Religionsgesellschaft haben wir kein Interesse an Geo- und Außenpolitik, sondern haben uns um die Anliegen heimischer Muslime und Musliminnen zu kümmern. Wir wünschen uns für Palästinenser und Israelis einen wahren, auf Ausgleich bedachten und nachhaltigen Frieden – das ist klar.

Wie hat Österreichs jüdische Gemeinschaft auf Ihre Entscheidung reagiert?
Durchweg positiv. Insbesondere jene Kräfte, die mit uns Muslimen im Kampf gegen antimuslimische Hetze standen und stehen, fühlen sich noch mehr bestärkt, und das ist für die Zukunft Österreichs entscheidend, wenn Muslime und Juden sich nicht mehr über die Unterschiede, sondern eben über Gemeinsamkeiten definieren und annähern.

Welche gemeinsamen Interessen haben die IGGÖ und die Israelitische Kultusgemeinde?
Als religiöse Minderheiten in einem Land, das vom Brachial-Populismus und minderheitenfeindlichen Parteien geprägt ist, ist eine solidarische Zusammenarbeit alternativlos. Denn heute mögen es die Muslime sein, die am Pranger sind, aber morgen sind sie vielleicht nicht mehr alleine am Pranger.

Mit dem Vorsitzenden der IGGÖ sprach Tobias Kühn.

Faktencheck

Bei den Sydney-Attentätern führt die Spur zum IS

Nach dem Blutbad am Bondi Beach werden auch Verschwörungsmythen verbreitet. Dass der jüngere Attentäter ein israelischer Soldat sei, der im Gazastreifen eingesetzt wurde, entspricht nicht der Wahrheit

 17.12.2025

Analyse

Rückkehr des Dschihadismus?

Wer steckt hinter den Anschlägen von Sydney – und was bedeuten sie für Deutschland und Europa? Terrorexperten warnen

von Michael Thaidigsmann  17.12.2025

Nachruf

Albtraum in der Traumfabrik

Eine Familientragödie hat den Hollywood-Riesen und seine Frau aus dem Leben gerissen. An Rob Reiners Filmen voller Menschenliebe wie »Harry und Sally« ist eine ganze Generation mitgewachsen

von Sophie Albers Ben Chamo  17.12.2025

Australien

Der Held von Sydney

Während des judenfeindlichen Terroranschlags am Bondi Beach bewies ein muslimischer Familienvater unfassbaren Mut

von Sophie Albers Ben Chamo  17.12.2025

Sydney

54 Minuten Horror am Bondi Beach

Am 14. Dezember hat sich der schwerste antisemitische Anschlag auf australischem Boden ereignet. Unsere Korrespondentin berichtet über den schlimmsten Tag für die jüdische Gemeinschaft in Down Under

von Amie Liebowitz  17.12.2025

Meinung

Warum ich Sydney nicht verlassen werde

Der Terroranschlag von Bondi Beach wurde auch möglich, weil die Mehrheitsgesellschaft den Antisemitismus im Land ignoriert hat. Unsere Autorin sagt trotzdem: Ihre Heimat als Jüdin ist und bleibt Australien

von Amie Liebowitz  17.12.2025

Bulletin

Terrorangriff in Sydney: 20 Verletzte weiter im Krankenhaus

Fünf Patienten befinden sich nach Angaben der Gesundheitsbehörden in kritischem Zustand

 17.12.2025

Bondi Beach

Sydney-Attentäter wegen 15-fachen Mordes angeklagt

15-facher Mord, Terrorismus, Sprengstoffeinsatz - dem überlebenden Sydney-Attentäter werden 59 Tatbestände zur Last gelegt

 17.12.2025

Washington D.C.

Trump ruft zu Vorgehen gegen islamistischen Terror auf

Bei einer Chanukka-Feier im Weißen Haus spricht der Präsident den Hinterbliebenen der Opfer vom Anschlag in Sydney sei Beileid aus

 17.12.2025