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Handbuch gegen Hass

Hauptredner bei der Eröffnung: der französische Philosoph Bernard-Henri Lévy Foto: Ouriel Morgensztern

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Handbuch gegen Hass

Rund 150 Experten aus mehreren Ländern diskutieren an der Uni Wien über Handlungsstrategien gegen Antisemitismus

von Alexia Weiss  19.02.2018 18:35 Uhr

Seit Jahren nimmt der Antisemitismus in Europa zu. Ariel Muzicant, der frühere Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde Wien, will aber nicht mehr nur klagen, sondern handeln. So initiierte er eine viertägige Konferenz zu dem Thema, die am Sonntag im Wiener Rathaus eröffnet wurde. Der Titel: »An End to Antisemitism!«.

Einen Dämpfer gab es sofort vom Hauptredner des Abends, dem französischen Philosophen Bernard-Henri Lévy. Dieser bezweifelt, dass es möglich ist, Antisemitismus gänzlich aus der Welt zu schaffen. Wer die Ziele zu hoch stecke, werde am Ende auch das Machbare nicht erreichen, gab er zu bedenken. Antisemiten werde es wohl immer geben. »Wichtig ist, dass sie keinen Schaden anrichten können.«

Entscheidend für den Kampf gegen Antisemitismus sei ein starkes Judentum, be­tonte Lévy weiter. Und: Er freue sich, wenn er sehe, dass sich jüdische Organisationen gegen Rassismus allgemein starkmachten. Wenn sich dagegen jüdische Or­ganisationen Populisten anschlössen, »dann verlieren wir unsere Stärke«.

Islamismus Am zweiten Konferenztag ließ der Politologe Matthias Küntzel auf­horchen: All die Initiativen Deutschlands, vor allem mit pädagogischen Pro­jekten islamistischen An­tisemitismus zu be­kämpfen, seien lobenswert – aber nur bedingt zielführend. »Das Problem gehört an der Wurzel angepackt.« Und diese sieht Küntzel bei der Politik von Ländern wie dem Iran, der Türkei oder Saudi-Arabien. Küntzel fordert daher eine entsprechende Außenpolitik. Aktuell sei man EU-weit zu stark an den Wirtschaftsbeziehungen interessiert, um das The­ma Antisemitismus anzusprechen.

Was die Konferenz insgesamt klarmachte: Das Denken in Rechts-Links-Kategorien scheint überholt. Denn in den verschiedensten Ausprägungen von Antisemitismus machen sich ähnliche Muster bemerkbar. Während sich rechter Antisemitismus zum Beispiel durch Holocaust-Leugnung zeigt, findet sich im linken An­tisemitismus zwar kein Abstreiten der Schoa, doch oftmals eine Relativierung, indem andere Opfergruppen gegenübergestellt werden, wie die Soziologin Claudia Globisch von der Universität Innsbruck ausführte.

Eine Studie über Social-Media-Aktivitä­ten habe wiederum gezeigt, dass osteuro­päische User aus dem rechtspopulistischen Lager ähnliche Inhalte posten wie aus dem kommunistischen Lager, sagte der Ethnologe Zbynek Tarant von der Universität Westböhmen in Pilsen. Beide Gruppen verbreiteten zudem oft Beiträge von Fake-News-Seiten und gingen darüber hinaus im realen Leben auch teils auf dieselben Kundgebungen. Tarant prangerte an, dass in Europa zunehmend Parteien der Mitte Rechtspopulisten ins Zentrum der Aufmerksamkeit holen. Als Beispiel nannte er Österreich, wo die ÖVP mit der FPÖ koaliere.

FPÖ Gegen Ende der Konferenz am Mittwoch wurde Bundeskanzler Se­bastian Kurz (ÖVP) zu einem sogenannten Leadership Talk erwartet. Das sorgte im Vorfeld bei einigen Vortragenden für Unmut, unter ihnen der deutsche Politologe Stephan Gri­gat. Er sei überrascht, dass Kurz eingeladen wurde, sagte Grigat. Niemand der Vortragenden sei darüber informiert worden. »Und ich bin ziemlich sicher, dass ich nicht der Einzige bin, der befürchtet, dass Kurz seine Rede dazu nutzen wird, seine Koalition mit der FPÖ schönzufärben.«

Doch dazu kam es nicht. Weil Kurz, wie es hieß, krank war, ließ er sich von Wissenschaftsminister Heinz Faßmann (parteilos) vertreten. Einige Aktivisten der Austrian Union of Jewish Students und der Österreichischen HochschülerInnenschaft begrüßten ihn mit einem Transparent: »Mr. Kurz! Your government is not kosher!«

Im Anschluss an die Tagung, die von den Universitäten Wien und Tel Aviv sowie von der New York University und dem Europäischen Jüdischen Kongress (EJC) organisiert wird, soll aus den Erkenntnissen der rund 150 internationalen Experten ein Handbuch mit konkreten Handlungsanleitungen entstehen.

EJC-Präsident Moshe Kantor nennt das ein »ehrgeiziges Vorhaben«. Wenn es gelingen solle, sei es wichtig, als Juden die Samen dafür selbst zu säen. »Wir müssen rasch handeln, wir dürfen nicht auf die Katastrophe warten.«

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