Niederlande

Gut für die Juden?

Eine widersprüchliche Figur: der niederländische, rechte Politiker Geert Wilders (r.) Foto: picture alliance / ANP

Eine Woche nach ihrem Erdrutschsieg spaltet die rechtspopulistische Partij voor de Vrijheid (PVV) weiter die niederländische Gesellschaft. Nicht nur ihre rund 2,3 Millionen Wähler sehen darin eine Abrechnung mit den etablierten Parteien, auch zahlreiche Kommentatoren, die trotz eigener politischer Präferenzen angesichts mehrerer großer Polit-Skandale Verständnis für den Unmut haben. Auf der anderen Seite stehen jene, die sich Sorgen machen um die Demokratie und den gesellschaftlichen Zusammenhalt im Land.

Einer von ihnen ist der liberale Rabbiner Awraham Soetendorp, der gemeinsam mit fünf weiteren religiösen Führungspersönlichkeiten einen offenen Brief an PVV-Chef Geert Wilders geschrieben hat. Darin rufen sie ihn zum Dialog auf, weil sich durch seine Agitation »jahrelang eine Glaubensgemeinschaft zu Zweite-Klasse-Bürgern gemacht fühlt. Weil alles, woran sie glauben, woraus sie Hoffnung, Liebe und eine Richtschnur schöpfen, verboten werden müsste«.

Das Schreiben spielt auf Wilders’ zahlreiche verbale Ausfälle über den Islam und Muslime an. Zwar betont er, dass es ihm nur um den Islam als politische Ideologie gehe. Seine Tiraden gegen Muslime und andere Minderheiten widerlegen dies. Wilders, ein Dissident der liberal-rechten bisherigen Regierungspartei VVD, hat 2006 die PVV gegründet. Als junger Mann hat er mehrere islamische Länder bereist, und er hat eine Weile in Israel gelebt. Der Auftritt als Freund des jüdischen Staates gehört zu seinen politischen Grundkoordinaten. Darüber hinaus ist er gut in der sogenannten Counter-Dschihad-Szene vernetzt, deren Mitglieder sich im »heiligen Krieg« gegen den Islam sehen.

Als junger Mann hat Wilders mehrere islamische Länder bereist, und er hat eine Weile in Israel gelebt

Rabbiner Soetendorp und seine Mitstreiter haben begrüßt, dass Wilders nach der Wahl ankündigte, er wolle »der Premier aller Niederländer« sein, unabhängig von Glaube, Geschlecht und Hautfarbe. Eben darum sei es von großer Bedeutung, dass Ängste abgebaut, gegenseitiger Respekt bewahrt und weiter an einer offenen und toleranten Gesellschaft gearbeitet werde.
Wie kontrovers eine mögliche PVV-geführte Regierung auch in jüdischen Kreisen diskutiert wird, zeigt eine Analyse der jüdischen News-Seite jonet.nl. »Das Wahlergebnis ist vorteilhaft für die jüdischen Niederlande«, heißt es. »Parteien, die als pro-jüdisch und pro-israelisch gelten, haben gewonnen.«

Zwar seien Israel und der Gaza-Krieg für die meisten Wähler weniger entscheidend als »das Thema Migration«. Doch, so der Schluss, »Parteien, die eine strengere Asylpolitik wollen, sind im Allgemeinen auch eher pro-israelisch und pro-jüdisch«. Die Konjunktur solch identitätspolitischer »package deals« ist fraglos bedenklich. Davon abgesehen hat jonet.nl hier ein Argument, das über den niederländischen Diskurs hinaus zutrifft.

Für Nathan Bouscher, Mitglied der Libertaire Partij und in zahlreichen Funktionen aktiv in den jüdischen Niederlanden, zählt beides. Er hat die PVV gewählt: »Wegen der drei I: Immigration, Integration, Islam. Das Thema Asylpolitik ist sehr aktuell. Ich denke, darum hat Wilders vom Wähler die Chance bekommen.« Viele seiner Aussagen, etwa über den Koran und Kopftücher, hätte Wilders in der Vergangenheit besser nicht getroffen, »doch wenn es um den Islam als Gefahr für den Westen geht, ist er einer der erfahrensten Politiker hier«.

Nuanciert blickt Bouscher auf die Bezeichnung der Partei als rechtsextrem, die seiner Meinung nach nicht gerechtfertigt sei. »Ökonomisch gesehen ist Wilders links. Die PVV ist eine linke Partei mit Migration als rechtem Thema.«

Lilit Zeltsburg, Mitglied der jungen Amsterdamer Initiative Oy Vey, ist anderer Meinung. »Ich verstehe, dass Menschen Wilders als Freund Israels wählen. Aber so ein Freund der Juden ist er nicht, wenn man das Ganze unter dem Blickwinkel des Antisemitismus betrachtet. Wilders benutzt Verschwörungstheorien wie die der ›Umvolkung‹. Vor einigen Jahren hatte die PVV den Kampagne-Slogan ›Wir werden ersetzt‹. Auch wenn er nicht explizit sagt, dass Juden dahinterstecken, ist das eine Hundepfeife für bestimmte Gruppen.«

Mit einem Masterabschluss in Holocaust- und Genozidstudien ist Zeltsburg spezialisiert darauf, rechtsextreme Weltbilder zu erkennen. Mit diesen trage Wilders zu einem Klima bei, das antisemitische Vorfälle befeuert, von denen sie sich bedroht fühle. »Davon abgesehen schürt er Xenophobie gegen Muslime, People of Color und Osteuropäer. Nicht alle PVV-Wähler sind überzeugte Rassisten, doch die Partei hat auf jeden Fall ein Weltbild, das Menschen ausschließt.«

Bereit fürs ICZ-Präsidium: Noëmi van Gelder, Arthur Braunschweig und Edi Rosenstein (v.l.n.r.)

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