Sportgeschichte

Gestohlenes Feuer

Symbolträchtig: Olympische Flamme Foto: dpa

Sportgeschichte

Gestohlenes Feuer

Der Olympische Fackellauf fand erstmals 1936 in Berlin statt. Die Idee stammte von einem Juden

von Ralf Schäfer  23.07.2012 19:01 Uhr

Zum ersten Mal fand er 1936 statt: der Olympische Fackellauf. Als sein Erfinder gilt Carl Diem (1882–1962), Organisator der Berliner Spiele. Doch auch das NS-Propagandaministerium beanspruchte die Urheberschaft. Zuletzt schrieb der Archäologe Stefan Lehmann, die Idee stamme von dem vergessenen jüdischen Archäologen Alfred Schiff (1863–1939), einst mit Diem befreundet. Wer nun hatte die zündende Idee?

symbol Diem und Schiff arbeiteten 1906 bis 1933 in der deutschen Olympischen Bewegung und an der von Diem geleiteten Berliner Hochschule für Leibesübungen zusammen. Als Schiff noch in der Weimarer Republik die Idee eines Fackellaufs zur symbolischen Verbindung der antiken und modernen Olympien entwickelte, war Diem begeistert. Nach 1933 stützte sich Diem als Generalsekretär des Organisationskomitees (OK) der Berliner Spiele weiter auf die Expertise des nun als Juden verfolgten Schiff und beschäftigte ihn im OK.

Dabei war Diem nicht frei von Antisemitismus. Schon 1913 dozierte er vom »arischen Geblüt« der antiken Olympien. Zwar pflegte er mit Schiff und anderen assimilierten, oft getauften Sportfreunden jüdischer Herkunft nach wilhelminischer Konvention freundschaftlichen Umgang, doch fühlte er schon 1931 sportpolitisch bei der NSDAP vor und passte sich 1933 schnell an. Die Idee des Fackellaufs setzte er nun unter veränderten politischen Vorzeichen um.

propaganda Wie das NS-Regime wollte der Frontkämpfer Diem die deutsche Niederlage im Weltkrieg rückgängig machen, zunächst symbolisch. Als erstes Element nationalistischen Opferkults integrierte er die Langemarckhalle ins »Reichsportfeld«, einen Gedenkort für die angeblich meist jugendlichen Soldaten von 1914, als zweites sein Festspiel »Olympische Jugend«, das den Opfertod im Krieg als historischen Normalfall zeigte.

In dieses Schema wurde auch der Olympische Fackellauf eingepasst. Beim Festakt in Olympia ließen die griechischen Hausherren das Horst-Wessel-Lied ertönen. Die ehemaligen deutschen Verbündeten in Sofia, Budapest und Wien ehrten mit der Fackel ihre eigenen Gefallenen. Die Nazis bezogen auch ehemalige Kriegsgegner in diese Symbolpolitik ein. Bei einem offiziellen deutsch-französischen Veteranentreffen hieß es, wie die olympische Jugend in Berlin begegneten sich auch die Frontkämpfer im Geiste des Friedens.

Zuvor führte ein Fackellauf vom Grabmal des unbekannten Soldaten am Arc de Triomphe nach Verdun. Nicht immer herrschte jedoch Harmonie: Nachdem das Sudetenland auf Plakaten des Reichs als deutsch markiert wurde, kam es in Prag bei Ankunft der Fackel zu Tumulten. In Wien machten österreichische Nazis aus der Feier eine Kundgebung für den »Anschluss«.

In Deutschland selbst wurden alle olympische Feiern wie NS-Parteiversammlungen gestaltet. Leni Riefenstahl schuf für Goebbels’ Propagandaministerium Bilder, in denen sie die Verbindung einer zeitlos-heroischen Antike mit NS-Deutschland und Olympia als harmonisches »Fest der Völker« konstruierte.

tradition Nach 1945 erklärte Diem, die Berliner Spiele hätten dem Frieden gedient und dem NS-Regime eine Auszeit verordnet. Für Riefenstahl und viele NS-Sportfunktionäre schrieb er Persilscheine. Schiff, der ohne offiziell genannt zu werden, 1936 die Ausstellung »Sport der Hellenen« für das OK betreute, wurde bald darauf entlassen und starb 1939 einsam in Berlin, Frau und Kinder waren schon nach England emigriert. Seinen Olympianachlass übernahm Diem, der Schiff im Kontext des Fackellaufs nie erwähnte. Lieber ließ sich »Mr. Olympics« selbst als sein Schöpfer feiern.

Alfred Schiff aber blieb lange vergessen. Noch immer gilt der Fackellauf als der deutsche Beitrag zur olympischen Tradition, und Carl Diem, dank der Traditionspflege seiner Schüler in der deutschen Sportgeschichte, als »Vater des deutschen Sports«.

Hurrikan Melissa

»Ich habe seit einer Woche nicht geschlafen«

Wie ein Rabbiner vom Wirbelsturm in Jamaika überrascht wurde – und nun selbst Betroffenen auf der Insel hilft

von Mascha Malburg  06.11.2025

Kommentar

Wo Israel antritt, rollt der Ball ins moralische Abseits

Israelische Spieler und Fußballfans werden schon lange dafür diskriminiert, dass sie von anderen gehasst werden.

von Louis Lewitan  06.11.2025

Kommentar

Warum Zürichs Entscheid gegen die Aufnahme von Kindern aus Gaza richtig ist

Der Beschluss ist nicht Ausdruck mangelnder Menschlichkeit, sondern das Ergebnis einer wohl überlegten Abwägung zwischen Sicherheit, Wirksamkeit und Verantwortung

von Nicole Dreyfus  06.11.2025

Kommentar

In Zohran Mamdanis New York werden Juden geduldet, nicht akzeptiert

»Liberale Zionisten« müssen in der Regierung des neuen Bürgermeisters keinen »Lackmustest« fürchten. Was beruhigend klingen soll, zeigt, wie stark der Antisemitismus geworden ist - nicht zuletzt dank Mamdani

von Gunda Trepp  05.11.2025 Aktualisiert

New York

ADL will Mamdani unter Beobachtung stellen

Die Anti-Defamation League erwartet vom neugewählten New York Bürgermeister nichts Gutes. Jetzt hat die jüdische Organisation angekündigt, man werde genau hinschauen

 05.11.2025

Amsterdam

Wegen IDF-Kantor: Concertgebouw sagt Chanukka-Konzert ab

Die renommierte Musikhalle hat wegen des geplanten Auftritts von IDF-Chefkantor Shai Abramson das alljährliche Konzert abgesagt. Die jüdische Gemeinschaft ist empört und will gegen den Entscheid klagen

von Michael Thaidigsmann  05.11.2025 Aktualisiert

Essay

Mamdanis demokratische Steigbügelhalter

Führende Politiker der Demokraten haben aus Opportunismus die Wahl des Israel-Hassers Zohran Mamdani zum New Yorker Bürgermeister ermöglicht - und so in Kauf genommen, dass aus Worten gegen Israel wieder Gewalt gegen Juden werden könnte

von Menachem Z. Rosensaft  05.11.2025

Vatikan

Theologe: Antisemitismus bei Vatikan-Konferenz kein Einzelfall

Der Salzburger Theologe Hoff berichtet über Eklats bei einer jüngsten Vatikan-Konferenz. Ein Schweizergardist soll sich verächtlich über Mitglieder einer jüdischen Delegation geäußert und in ihre Richtung gespuckt haben

 04.11.2025

Spanien

Francos Erbe

Das Land, das den Sefardim einst ihren Namen gab, verlangt seinen Juden heute einiges ab

von Valentin Suckut  03.11.2025