Maghreb/Nahost

Geld für die Wurzeln der Misrachim

Meirav Cohen, Israels Ministerin für soziale Gerechtigkeit Foto: Flash90

Am 16. Mai 1948 veröffentlichte die »New York Times« einen Artikel mit der Überschrift: »Juden in allen muslimischen Ländern in großer Gefahr: 900.000 in Afrika und Asien bedroht vom Zorn ihrer Feinde«. In den arabischen Ländern und im Iran lebten damals fast eine Million Juden.
Zwei Tage zuvor, am 14. Mai, hatte David Ben Gurion Israels Unabhängigkeit erklärt.

Auf dieses historische Ereignis folgte nicht nur der Angriff vier arabischer Staaten. Auch das Leben der Juden in muslimischen Ländern veränderte sich radikal. Bedroht von Verfolgung, staatlicher Diskriminierung und Übergriffen verließen rund 850.000 von ihnen in den folgenden Jahren ihre Heimat. Jahrtausendealte jüdische Gemeinden wie etwa jene im Irak verschwanden innerhalb weniger Jahrzehnte. Viele Flüchtende ließen ihr gesamtes Hab und Gut zurück, das gerade im Falle vieler Bagdader Juden üppig gewesen war.

gemeinschaft »Juden lebten sehr angenehm, bekleideten hohe Positionen, erhielten eine umfassende Ausbildung sowohl in weltlichen als auch in religiösen Studien und prosperierten als Gemeinschaft«, schrieb kürzlich Dan Bar Moshe, der 1936 unter dem Namen Haled Mussah im Irak geboren wurde, über die Juden im Irak in der »Jerusalem Post«.

In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts jedoch begann sich die Lage der Juden im Irak ebenso wie in vielen anderen arabischen Ländern rapide zu verschlechtern. Die irakische Regierung unter Premierminister Rashid Ali al-Gaylani bemühte sich Anfang der 40er-Jahre um Annäherung an die Nazis.

Kurz nach al-Gaylanis Sturz 1941 kam es in Bagdad zu einem Pogrom gegen die dortigen Juden, das später unter dem Namen »Farhud« bekannt werden sollte: Muslimische Iraker, angeheizt von judenfeindlichen Verschwörungstheorien, töteten über 180 Juden, verletzten mehr als Tausend von ihnen und zerstörten rund 900 ihrer Häuser. Das Pogrom löste die erste große jüdische Auswanderungswelle aus dem Irak aus.

zionisten Jenen Juden, die nach Israels Staatsgründung aus mehrheitlich muslimischen Ländern in den jüdischen Staat flohen, boten die frühen Zionisten jedoch ein eher raues Willkommen: Viele der Neuankömmlinge mussten zunächst in ärmlichen Flüchtlingscamps in Zelten leben und wurden später in sogenannten Städten der Peripherie wie Aschdod und Aschkelon angesiedelt, die unter aus Europa stammenden Israelis als wenig reizvoll galten.

In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts jedoch begann sich die Lage der Juden im Irak ebenso wie in vielen anderen arabischen Ländern rapide zu verschlechtern.

Über die Benachteiligung der Misrachim, wie die Juden aus arabischen Ländern und dem Iran in Israel genannt werden, ist viel geschrieben und geklagt worden; selbst der Erfolg des langjährigen früheren Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu wird unter anderem damit erklärt, dass er – trotz seiner eigenen europäischen und privilegierten Wurzeln – den Misrachim eine Stimme gebe.

Bis heute klagen nicht wenige misrachische Israelis, ihre Geschichte, ihre Kultur und ihr Leidensweg würden in der Gesellschaft nicht ausreichend beachtet. Eine aktuelle Umfrage scheint ihnen recht zu geben: Demnach finden 80 Prozent der jüdisch-israelischen Abiturienten, die Geschichte der misrachischen Juden erhalte im Lehrplan zu wenig Raum.

initiative Eine Initiative der ausgehenden Regierung soll nun helfen, diesen Missstand zu beheben: 6,35 Millionen Schekel (1,8 Millionen Euro) will sie dafür aufwenden, »die Geschichte und das Erbe der jüdischen Gemeinden aus dem Iran und arabischen Ländern zu bewahren«, heißt es in dem Plan der Ministerin für soziale Gerechtigkeit, Meirav Cohen, und des Kulturministers Chilli Tropper.

Das Ziel der Maßnahme bestehe darin, »die Vielfalt der israelischen Gesellschaft auszudrücken, das Zugehörigkeitsgefühl der Mitglieder dieser Gemeinden und ihrer Nachkommen zu stärken und dazu beizutragen, den sozialen Zusammenhang in Israel zu stärken«.

Geplant ist unter anderem die Einrichtung eines Archivs im Museum des Jüdischen Volkes in Tel Aviv, um das Erbe der jüdischen Gemeinden in den muslimischen Ländern zu bewahren und weiter zu erforschen. Dafür soll auch eine Datenbank mit Augenzeugenberichten von Einwanderern aufgebaut werden.

Die Hälfte der jüdischen Israelis habe ihre Wurzeln in arabischen Ländern oder dem Iran. Das Erbe dieser großen Gemeinde, klagte Ministerin Cohen bei der Vorstellung der Initiative, wurde »nicht ausreichend weitergegeben und nicht angemessen in den öffentlichen Diskurs eingebracht«. Die neue Maßnahme sei »ein Schritt auf dem Weg, diese historische Ungerechtigkeit zu beheben«.

Die in Genf geborene Schweizer Schriftstellerin und Philosophin Jeanne Hersch aufgenommen im März 1999

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