USA

Frum auf High Heels

»Etwas, das ich als 20-Jährige, die in Israel lebt, dort in der Talmudschule gelernt habe: Steh jeden Morgen auf. Tue Gutes und sei gut!« Diese offensichtliche Lebensweisheit stammt von Ellie Zeiler und ist ihr jüngster Post auf TikTok. Er passt so gar nicht zu all dem, was die Influencerin in den vergangenen Jahren mit ihren Followern geteilt hat: die neueste Tasche von Chanel, ihren Lieblingsnagellack, das für die Synagoge geplante, bodenlange Kleid in Kombination mit Absatzschuhen von sicher zehn Zentimetern (zugegeben, manchmal steht sie auch barfuß vor der Kamera) oder ihren selbst entworfenen Schmuck mit Diamant-besetzten Davidsternchen.

Zeiler stammt aus San Diego und ließ die Welt bereits ihr halbes Leben lang an ihrem ganzen Leben teilhaben – oder zumindest am Social-Media-probaten Teil davon. Doch vor ein paar Monaten fand die große Wende statt: Zeiler wurde religiös. Statt die gewohnte, meist leicht bekleidete Kost in ihren Instagram- oder TikTok-Kanälen hochzuladen – also Outfits, Selfies und Jet-Setting –, ließ die junge Frau mit den langen dunklen Haaren die Welt wissen, dass sie nach Jerusalem gezogen sei und sich an einem Seminar für orthodoxe Mädchen eingeschrieben habe.

Sie würde sich nun erst einmal auf das Leben als gläubige Jüdin konzentrieren – allerdings auf ihre Weise. Nicht zurückgezogen, sich ausschließlich auf die Schriften konzentrierend, sondern nach wie vor glitzernd, und vor allem lässt sie die Welt daran teilhaben.

Den Wandel ausgelöst hat der 7. Oktober 2023

Den Wandel ausgelöst hätten, wie sie in einem ihrer Posts erzählt, der Überfall und die Massaker der Hamas-Terroristen im Süden Israels am 7. Oktober 2023: »Seitdem fühlte sich vieles in meinem Leben bedeutungslos an. Wie ihr wisst, bin ich sehr stolz, Jüdin zu sein, und ich habe meine Unterstützung für Israel gepostet. Und während ich weiter postete, wurden meine Überzeugungen immer stärker. Ich habe angefangen, Schabbat zu halten, und jetzt kann ich mir mein Leben nicht mehr ohne Schabbat oder Kaschrut vorstellen.« Sie wolle jetzt alles über ihre Religion wissen.

Seit ihrem Umzug – ob daraus eine Alija wird, ist noch nicht klar – postet Ellie Zeiler weiterhin fleißig, was sie zum Schabbat-Dinner anzieht, gibt ihren mehr als zehn Millionen Followern allein auf TikTok aber immer wieder auch Ausschnitte ihres religiösen Lebens preis. So sieht man die 20-Jährige beim Lernen im Seminar oder beim Beten an der Kotel. Hin und wieder tauchen neben Reflexionen über Jimmy-Choo-Schuhe auch ernstere Themen auf: Wie ist der Judenhass erklärbar? Wohin wendet man sich, wenn einem Antisemitismus widerfährt.

Ellie Zeiler möchte jetzt alles über ihr Judentum wissen.

Aus ihren Beiträgen wird deutlich, dass sie an einer orthodoxen Institution lernt, wo »Zniut« (in etwa Mäßigung, Bescheidenheit; Vorgaben, wie religiöse Juden sich in der Öffentlichkeit anziehen und verhalten sollen) großgeschrieben wird. Somit wurden Ellies Kleider länger und der Stoff dichter, allerdings erinnern die bodenlangen Röcke und Stehkragen-Oberteile nur entfernt an religiös-bescheidene Outfits, wie man sie sonst kennt.

Die Schule, die sie besucht, liegt in der Altstadt von Jerusalem. Es handelt sich um eine Jeschiwa für Männer sowie ein Seminar für Frauen, deren Programme bei nicht- oder neureligiösen Jüdinnen und Juden auf der Suche nach Spiritualität beliebt sind. In einem Video über ihren ersten Unterrichtstag erzählte Zeiler, dass sie morgens ein israelisches Frühstück gegessen, an einem Kurs zum Thema Judentum und Gender teilgenommen, etwas über den Schabbat gelernt und dann einen weiteren Kurs über Demut und Selbstvertrauen besucht hat.

Drei Tassen Kaffee und der »längste Tag aller Zeiten«

An diesem Tag habe sie drei Tassen Kaffee getrunken, was sie als »den längsten Tag aller Zeiten« bezeichnete. Am Ende ihrer ersten Unterrichts­woche schien der Glanz etwas verblichen – das Publikum nahm es mit Erleichterung auf, als sie an einem Freitagnachmittag die Welt wissen ließ: »Ich war heute sehr schlecht gelaunt, weil ich bedauere, wie ich früher mein Leben gelebt habe, und mir nun beigebracht wurde, wie ich mein Leben jetzt leben sollte. Da spürte ich diese überwältigende Angst.«

Dann sei sie »nach draußen gegangen und habe vor dem Schabbat so viele von euch getroffen, und ehrlich gesagt, ich könnte nichts davon ohne euch schaffen«. Und vermutlich auch nicht ohne ihre Mutter.

Ellie Zeiler selbst antwortet nicht auf Anfragen, es ist ihre Mutter Sarah, die sich »Sarah aus Ellies Team« nennt und die Kommunikation betreut. Da die Tochter erst in Dubai und dann in Thailand auf Reisen sei, könne sie derzeit leider unmöglich auf Interviewanfragen eingehen, heißt es. Auch die Mutter postet äußerst aktiv zum Familienleben – Ellie hat zwei jüngere Brüder – und Freunden auf Social Media. Hin und wieder kommentiert sie die Posts ihrer Tochter, wie zum Beispiel diesen auf TikTok: »Deine Mama und deine Familie könnten nicht stolzer auf dich sein. Damals und heute. Ich liebe dich.« Dann werden Kosmetikprodukte vorgestellt oder gleich ausprobiert.

Mit ein paar Swipes ist der User zurück in Ellies Seminaralltag: Im neuen Video geht es um den Morgenkaffee, ihren Dating-Kurs und Lektionen zur Koscherhaltung. Kurz darauf meldet sie sich erneut, dieses Mal ohne die für ihre Posts typische Produktwerbung: »Die Wahrheit ist, ich bin müde. Ich habe Heimweh. Ich bin verwirrt. Ich bereue es. Ich habe so viele Gefühle, von denen ich nicht dachte, dass ich sie haben würde, wenn ich hier bin.« Anschließend kommen maßgeschneiderte Ratschläge für Menschen, die wie sie zum ersten Mal in ihrem Leben auf eigenen Füßen stehen müssen und damit zu kämpfen haben. »Ihr seid nicht allein«, sagt Ellie und zeigt ihren Schmuck.

Religion mit Kommerziellem amalgamieren

Zeiler schafft es in einer einzigen Social-Media-Story, Religion mit Kommerziellem zu amalgamieren: »Wenn es deiner mentalen Gesundheit dient, dass du einen letzten Kurs schwänzen musst, um deine Nägel machen zu lassen, weil du dich dadurch besser fühlst, wenn es darum geht, auf sich selbst aufzupassen, dann tu es. Mehr Geld ausgeben, um einen süßen Kaffee zu kaufen – wen interessiert das? Mach es. Möchtest du einen tollen Pull-over haben, damit du ihn am Ende der Woche an Schabbat tragen kannst? Mach es.«

Das sind die Worte einer Frau der Generation Z, die ihren Instagram-Account im Jahr 2015 mit einem Beitrag zur Feier ihres Grundschulabschlusses eröffnet hat und mittlerweile auch hier mehr als zehn Millionen Follower verzeichnet.

Influencer mit Tefillin und Schabbatkerzen sind ein heißer Trend in Israel.

Zeiler ist nicht die Einzige, die sich im hellen Schein der Instagram-Lampe mit dem Judentum befasst. Die Liste jüdischer Influencerinnen und Influencer ist lang: Miriam Malnik-Ezagui, Elizabeth Savetsky, Melinda Strauss, Rachelle Bracha Zarabian, Ruhama Shitrit, Mayim Bialik oder Jamie Geller sind nur einige davon. Und auch Namen wie Hen Mazzig, Rudy Rochman oder Eylon Levay sind bekannt. Während einige von ihnen im vergangenen Jahr Israel und ihre jüdische Identität mehr zum Zentrum ihrer Inhalte gemacht haben, ist Zeiler die Erste, die vollständig nach Israel umgezogen ist und ihre Zeit – meistens – dem jüdischen Lernen widmet.

Ratschläge zu allem, was das religiöse Leben bewegt

Tatsächlich sind Influencer mit Tefillin und Schabbatkerzen momentan ein heißer Trend in Israel. Sie bieten Ratschläge zu allem, was das religiöse Leben bewegt – von Feiertagen und Generationen-alten Rezepten bis hin zu Reisetipps und dem Umgang mit Scheidungen. Mittlerweile rollt regelrecht eine religiöse Welle über das Land, was sicherlich auch auf die anhaltende Unsicherheit nach dem 7. Oktober 2023 und den Krieg zurückzuführen ist. Promi-Kultur und Ultranationalismus gehen dabei häufig Hand in Hand und vermengen sich in neuer Weise.

Zeilers »süßes Cappuccino-Herz«, auf das sie nicht verzichten will, ist dabei exemplarisch: Es suggeriert eine alltägliche Welt, die doch inszenierter nicht sein könnte und Millionen von Menschen eine Realität vorgaukelt, die sich die wenigsten leisten können. Da hilft es auch nicht, wenn die junge Amerikanerin sich darin versucht, spannende Persönlichkeiten zu interviewen, ihr Social-Media-Universum besteht aus sehr viel Luft, so wie ihr täglicher geschäumter Cappuccino – auch wenn sie diesen in der Altstadt von Jerusalem trinkt.

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