Niederlande

Freund und Demagoge

Polarisiert: PVV-Spitzenkandidat Geert Wilders im Wahlkampf Foto: dpa

»Darf ich Wilders wählen? Unter diesem Motto organisierte der Jüdische Rundfunk (JO) in Hilversum im Frühjahr eine Diskussion. Kurz vor den Kommunalwahlen Anfang März stritten vier Teilnehmer darüber, ob jüdische Niederländer den Politiker mit seinen expliziten Ansichten zum Islam ihre Stimme geben dürften, oder warum sie dies just sollten. Nächste Woche steht mit den vorgezogenen Parlamentswahlen der nächste Urnengang ins Haus – und viele stellen sich dieselbe Frage.

Geert Wilders, dessen Großmutter aus einer jüdischen Familie in Niederländisch- Indonesien kam, gründete nach seinem Abschied von der rechtsliberalen Volkspartij voor Vrijheid en Democratie (VVD) die populistische Partij voor de Vrijheid (PVV) und holte mit ihr 2006 aus dem Stand sechs Prozent der Stimmen. Aktuelle Umfragen sagen der PVV bei der Wahl am 9. Juni eine Verdopplung voraus.

kibbuz Weit mehr als andere Politiker mit ähnlicher Agenda kritisiert Wilders islamischen Antisemitismus, sei es im Koran oder im Alltag niederländischer Städte, wo judenfeindliche Vorfälle seit einigen Jahren stetig zunehmen. Zudem ist bekannt, dass er in jungen Jahren einige Zeit in einem Kibbuz lebte und seither ein enges Verhältnis zu Israel pflegt. Persönlich drückt sich das in häufigen Besuchen aus, politisch in guten Beziehungen zur israelischen Rechten.

Zweifellos bringt dies der PVV Stimmen unter jüdischen Niederländern ein. Zum Beispiel die von Nathan Bouscher, Mitglied im Rat der Nederlands-Israëlitische Hoofdsynagoge (NIHS) von Amsterdam. Der Student räumt ein, seine Entscheidung eher als Niederländer denn als Jude zu treffen, und aus Sorge um die westlichen Freiheiten, die durch den politischen Islam bedroht seien.

stigmatisierung Für Hadassah Hirschfeld, Vorstandsmitglied im Jüdisch-Marokkanischen Netzwerk Amsterdam (JMNA) ist dies noch lange keine Wahlempfehlung. Sie wendet sich gegen jede Diskriminierung, »ob es um Islamophobie oder Antisemitismus geht«. Mit der Meinung, dass die PVV Muslime diskriminiere, steht Hirschfeld nicht allein. Der liberale Rabbiner Menno ten Brink bringt es auf den Punkt: »Wilders stigmatisiert eine Bevölkerungsgruppe. Mit so etwas kann ich nicht leben.«

Es sind just diese Punkte, an denen sich die Meinungen spalten. Und darin stimmen die rund 40.000 jüdischen Niederländer mit der Mehrheitsgesellschaft überein. Laut Shmuel Katzman, orthodoxer Rabbiner in Den Haag, wo die PVV im März zweitstärkste Partei wurde, ist Wilders ein kontroverses Thema: »In unserer Synagoge gibt es Menschen mit verschiedenen politischen Vorlieben, von eingefleischten Sozialdemokraten bis zu PVV-Sympathisanten.«

meinungsforscher Im größeren Rahmen bestätigt dies auch Meinungsforscher Maurice de Hond: »Mein Eindruck ist, dass der Anhang an PVV-Wählern in jüdischen Kreisen nicht über den landesweiten 15 Prozent liegt.« De Hond räumt jedoch ein, dass diese Zahl unter jüngeren Juden höher sein dürfte.

Max Wieselmann, Vorsitzender der israelkritischen Organisation Een Ander Joods Geluid (Ein anderer jüdischer Klang), ist darüber »sehr traurig«, wie er in der Diskussion des Jüdischen Rundfunks sagte. »Gerade wir Juden mit unserer Geschichte sollten die Letzten sein, die so eine Partei wählen.« Eine Einschätzung, die in den Niederlanden viele teilen.

Kommentar

Der »Tages-Anzeiger« und das Geraune von der jüdischen Lobby

Die Zeitung unterstellt, erst eine Intervention des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebundes habe zur Absage einer Veranstaltung mit Francesca Albanese durch die Uni Bern geführt. Dabei war die Intervention richtig

von Michael Thaidigsmann  15.09.2025

Argentinien

Raubkunst in der Immobilienanzeige

Die Tochter eines Naziverbrechers wollte ihre Villa verkaufen und führte Ermittler auf die Spur einer gestohlenen Kunstsammlung

von Andreas Knobloch  13.09.2025

München/Gent

Charlotte Knobloch spricht von »historischem Echo«

Nach der Ausladung des israelischen Dirigenten Lahav Shani von einem Musikfestival meldet sich Charlotte Knobloch mit deutlichen Worten

 11.09.2025

Italien

Jüdisches Touristen-Paar in Venedig attackiert

Die Täter schrien »Free Palestine«, bevor sie die Ehefrau mit einer Flasche attackierten und ihren Ehemann ohrfeigten

 11.09.2025

Georgien

Sicher und schön

Der Kaukasus-Staat pflegt Erbe und Zukunft der Juden. Und bietet atemberaubende Natur. Ein Besuch

von Michael Khachidze  11.09.2025

Belgien

Argerich, Maisky, Schiff empört über Gent-Festival

Bekannte jüdische und nichtjüdische Musiker haben eine Petition gestartet, um gegen die Ausladung der Münchner Philharmoniker und ihres Dirigenten Lahav Shani zu protestieren

 11.09.2025

Imanuels Interpreten (13)

Herb Alpert: Der Universalkünstler

Vom Trompeter zum Philantropen: Der Sohn jüdischer Einwanderer aus Kalifornien erreichte in den 90 Jahren seines bisherigen Lebens viel

von Imanuel Marcus  10.09.2025

Bundesamt für Statistik

Dieser hebräische Vorname ist am beliebtesten bei Schweizer Eltern

Auch in der Schweiz wählen Eltern weiterhin häufig biblische Namen für ihr Neugeborenes

von Nicole Dreyfus  10.09.2025 Aktualisiert

Südafrika

Unvergessliche Stimme

Die Schoa-Überlebende Ruth Weiss hat sich als Journalistin, Schriftstellerin und Kämpferin für Menschenrechte einen Namen gemacht. Sie wurde 101 Jahre alt. Ein Nachruf

von Katrin Richter  10.09.2025