Meran

Fast vergessene Kurgäste

Verfolgung löschte die Spuren jüdischen Lebens in Südtirol fast völlig aus

von Bettina Gabbe  08.01.2016 11:21 Uhr

Sigmund Freud mit seiner Tochter Anna 1913 in Südtirol Foto: dpa

Verfolgung löschte die Spuren jüdischen Lebens in Südtirol fast völlig aus

von Bettina Gabbe  08.01.2016 11:21 Uhr

Mit Südtirol verbinden deutsche Urlauber Erinnerungen an atemberaubende Dolomitenpanoramen, mitunter auch an Spannungen zwischen italienisch- und deutschsprachigen Bewohnern. Weniger bekannt ist die Region an der Grenze zwischen Österreich und Italien als Heimat und Kurort von Juden.

Gegenüber der Altstadt von Meran mit ihren Cafés und Laubengängen – einst gedacht für den Handel zwischen Nord- und Südeuropäern auch bei schlechtem Wetter – liegt in einem vornehmen Villenviertel die Synagoge der Stadt. Das 1901 eröffnete Gebäude wurde im Zweiten Weltkrieg nicht zerstört. Während der deutschen Besetzung nutzte es die SS jedoch 1943 zeitweilig als Stall, wie Joachim Innerhofer erzählt, der Leiter des Jüdischen Museums im Untergeschoss der Synagoge.

Franz Kafka Die bunten Fenster des architektonisch eher unscheinbaren Hauses stammen aus den 70er-Jahren, doch die Deckenleuchter von 1910 erzählen noch vom Leben vor dem Ersten Weltkrieg, als zahlreiche Juden in Südtirol Urlaub machten. Für sie wurden um die Jahrhundertwende eigens koschere Restaurants eröffnet.

Franz Kafka erholte sich hier ebenso wie Sigmund Freud, Stefan Zweig oder Arthur Schnitzler. Ein Eintrag im Kurregister verzeichnet auch den ersten israelischen Staatspräsidenten Chaim Weizmann als Kurgast von Meran.

Wanderer stoßen in den umliegenden Bergen andererseits noch heute auf Erinnerungen an eine lokale Ritualmord-Legende, nämlich auf Heiligenbilder des Simon von Trient. Im Jahr 1475 wurden 14 Juden als Urheber eines angeblichen Ritualmords an dem christlichen Jungen hingerichtet.

Der damalige Folterprozess diente der Rechtfertigung von Judenpogromen. »Das Bild des Heiligen Simon von Trient ist in St. Leonhard im Passeiertal noch immer unkommentiert«, beklagt Sabine Mayr, die gemeinsam mit Innerhofer jüdisches Leben in der Region erforscht. Bis vor rund 30 Jahren gab es einen Kult um das Kind. »Erst der Innsbrucker Bischof Reinhold Stecher hat ihn Mitte der 80er Jahre verboten«, sagt Mayr.

Mussolini Juden, die vor der NS-Herrschaft nach Südtirol geflohen waren, wurden seit der Einführung der italienischen Rassegesetze auch hier verfolgt. Wer den Begriff der Diskriminierung nur in seiner negativen Bedeutung kennt, wird im Zusammenhang mit den 1938 von der Mussolini-Regierung beschlossenen Regelungen überrascht. Denn diejenigen Juden, die sich um das Königreich Italien besonders verdient gemacht hatten, konnten sich um die Anerkennung als »discriminati« bemühen. Damit wurden sie von den umfassenden Berufsverboten ausgenommen.

Mit dem Ende der Hitler-Mussolini-Achse und der deutschen Besatzung begannen 1943 Deportationen von Juden auch aus Südtirol. In Bozen wurde ein Durchgangs- und Gefangenenlager errichtet. Ein Foto im Museum der Synagoge von Meran zeigt die jüngste Deportierte.

Olimpia Carpi war erst drei Jahre alt, als sie im März 1944 im KZ Auschwitz getötet wurde. Ein »Stolperstein« des Kölner Künstlers Gunter Demnig erinnert mittlerweile vor dem ehemaligen Wohnhaus der Carpis an die jüngste Tochter der Familie.

Ein Foto von 1936 zeigt dagegen die jüdische Familie Goldstaub mit Kindern in der Uniform der faschistischen Balilla-Jugend. Trotz des bis heute in Italien verbreiteten Antisemitismus gehörte dieser ursprünglich nicht zu den Prioritäten des italienischen Faschismus.

Deportation Eine Postkarte erinnert im Museum daran, dass die Züge mit Deportierten in Südtirol vor der Fahrt über die Alpen Halt machten.

Der Schriftsteller Primo Levi (1919–1987) warf im Februar 1944 in Bozen eine Botschaft an eine Freundin aus dem Viehwaggon, der ihn nach Auschwitz brachte: »Liebe Bianca, alle auf Reisen auf klassische Art – Grüß alle – Die Fackel ist jetzt bei Euch. Wir lieben Dich«, schrieb Levi mit bitterem Sarkasmus auf die Karte. Der Bitte auf der Rückseite »Bitte abschicken« folgte ein unbekannter Finder.

Gegenüber der Meraner Synagoge liegt noch heute das Gebäude des früheren Sanatoriums, das bedürftigen tuberkulosekranken Juden einst Kuraufenthalte ermöglichte. In dem 1957 verkauften Haus befand sich zunächst ein Genesungsheim. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden hier insgesamt 15.000 KZ-Überlebende betreut, die später nach Israel auswanderten. Heute hat die Jüdische Gemeinde in Meran rund 50 Mitglieder.

www.juedischegemeindemeran.com

Spanien

Mallorca als Vorbild

Das Stadtparlament von Palma hat eine Antisemitismus-Resolution verabschiedet – anders als der Rest des Landes

von Sabina Wolf  26.07.2024

Sport

Der Überflieger

Artem Dolgopyat ist in Israel ein Star. Bei den Olympischen Spielen 2021 in Tokio gewann der Turner Gold, 2023 wurde er Weltmeister. Nun tritt er in Paris an

von Martin Krauß  26.07.2024

Europäisches Parlament

»Zittert. Das hier ist nur der Anfang«

Die frisch gebackene französische Abgeordnete Rima Hassan hetzt gegen Israel

von Michael Thaidigsmann  25.07.2024

Ausstellung

Olympioniken im KZ Buchenwald

Auf dem Ettersberg bei Weimar treffen unterschiedlichste Biografien aufeinander

von Matthias Thüsing  25.07.2024

Frankreich

»Man ist schließlich französisch«

Ganz Paris feiert die Olympischen Spiele. Ganz Paris? Nicht alle Juden fühlen sich vom erwünschten »Wir-Effekt« angesprochen. Denn das Land bleibt zerrissen

von Sophie Albers Ben Chamo  25.07.2024

USA

Die zweite Wahl?

Mit dem Rückzug von Joe Biden und der Kandidatur von Kamala Harris könnte das Rennen um die Präsidentschaft noch einmal richtig spannend werden

von Michael Thaidigsmann  24.07.2024

Jüdische Emigration

Die Niederlande - Ein Ort der Zuflucht für Juden?

Die Historikerin Christine Kausch nimmt das Leben jüdischer Flüchtlinge in den Blick

von Christiane Laudage  24.07.2024

Vor 80 Jahren

Von Rhodos nach Auschwitz

1944 wurden 2000 Jüdinnen und Juden von Rhodos nach Auschwitz deportiert. Nur wenige überlebten

von Irene Dänzer-Vanotti  23.07.2024

Jerusalem

Nach Gaza entführter Holocaust-Experte für tot erklärt 

Der Historiker Alex Dancyg ist in der Geiselhaft umgekommen

 22.07.2024