Ukraine

Exodus aus Dnepropetrowsk

Pro-russischer Milizionär in der ostukrainischen Stadt Slawjansk Foto: dpa

In den vergangenen drei Monaten sei die Anzahl der jüdischen Emigranten aus der Ukraine rasant gestiegen, teilten die israelische Einwanderungsagentur Jewish Agency und das israelische Ministerium für die Aufnahme von Einwanderern mit. Bis April hätten 557 ukrainische Juden bei der Behörde in Tel Aviv einen Antrag auf Einwanderung gestellt, meldet das Ministerium. Das sind 43 Prozent mehr als im Vorjahr. Allein im April registrierten sich im Ministerium rund 250 ausreisewillige ukrainische Juden.

Immer mehr Menschen fragen zudem bei der Jewish Agency in der Ukraine um Rat. »Sie wollen wissen, welche Papiere sie für die Ausreise vorlegen müssen«, sagt eine Sprecherin der Agentur in Kiew. Laut dem Rückkehrgesetz, das die Einwanderung von Juden nach Israel regelt, müssen Emigranten ihre jüdische Abstammung anhand von Dokumenten nachweisen.

Angst Die israelische Tageszeitung Haaretz führt die Auswanderungswelle auf die Krise in der Ukraine zurück. Einige Vertreter jüdischer Organisationen erklären zudem, dass ukrainische Juden aus Angst vor antisemitischen Übergriffen das Land verlassen würden. Andere glauben, viele Juden seien wegen der Kämpfe in der Ostukraine verunsichert.

Dass sich die Einwanderungsanträge gerade jetzt häufen, kann aber auch einen ganz banalen Grund haben: Israelische Konsularbeamte, die für die Bearbeitung von Visaanträgen zuständig sind, haben im März gestreikt. Formulare wurden nicht bearbeitet, stauten sich an und tauchen erst jetzt in der Statistik auf.

Boris Fuchsmann, Präsident der Jüdischen Konföderation, macht die Kiewer Übergangsregierung für die hohe Auswanderungsrate verantwortlich. Ukrainische Juden würden aus Furcht vor neuem Antisemitismus das Land verlassen, glaubt Fuchsmann. In der Übergangsregierung von Premierminister Arsenij Jazenjuk sitzen auch drei Minister der nationalistischen Swoboda-Partei. Deren Vorsitzender Oleg Tijanibok sorgte in den vergangenen Jahren immer wieder mit explizit antisemitischen und antiisraelischen Parolen für Schlagzeilen.

Übergriffe Laut Josef Zissels, dem Vorsitzenden des Dachverbandes der Jüdischen Organisationen in der Ukraine, besteht jedoch kein Grund zur Sorge. Die Zahl antisemitischer Übergriffe sei nicht signifikant gestiegen, sagt er. Das bestätigt auch Yaakov Bleich, Oberrabbiner der Ukraine. Vor der Swoboda-Partei habe Zissels keine Angst. Das aggressive Auftreten der Nationalisten richte sich nicht gegen Juden, meint der ehemalige Dissident, sondern gegen Russland. Zudem rücke die Partei in die politische Mitte. »Mit denen werden wir schon fertig«, sagte Zissels kürzlich in Berlin.

Ob ukrainische Juden tatsächlich aus Angst vor der neuen Regierung auswandern wollen, ist zweifelhaft. Denn die meisten Anträge, die bei der Jewish Agency eingehen, stellen Juden aus der Ost- und Südukraine. Vor allem Gemeindemitglieder aus Odessa, Dnepropetrowsk, Charkow und der von Russland annektierten Krim wollten das Land verlassen, teilt die Agentur mit. Dort habe sich die Zahl der Auswanderer im Vergleich zum Vorjahr verdreifacht.

Gerade im Osten und Süden der Ukraine haben Nationalisten aber nur wenig Einfluss. Die Swoboda-Partei ist nur im Westen des Landes stark. Der Osten und Süden sind Hochburg der Partei der Regionen des gestürzten Präsidenten Wiktor Janukowitsch. Auch dass viele Juden von der Krim nach Israel auswandern wollen, passt – zumindest offiziell – nicht zur Theorie vom Antisemitismus. Die selbst ernannte Krim-Regierung erklärte, die Halbinsel vor angeblichen Faschisten schützen zu wollen.

Beobachter gehen davon aus, dass viele Juden in der Ostukraine wegen der Krise verängstigt sind und eine unsichere Zukunft fürchten, manche sogar einen Bürgerkrieg. Auch die marode Wirtschaft der Ukraine treibt vermutlich viele Juden aus dem Land. Seit Antritt der neuen Regierung fiel die Landeswährung Griwna gegenüber dem Euro um mehr als 50 Prozent, wodurch Lebensmittel und Benzin deutlich teurer wurden.

Kommentar

In Zohran Mamdanis New York werden Juden geduldet, nicht akzeptiert

»Liberale Zionisten« müssen in der Regierung des neuen Bürgermeisters keinen »Lackmustest« fürchten. Was beruhigend klingen soll, zeigt, wie stark der Antisemitismus geworden ist - nicht zuletzt dank Mamdani

von Gunda Trepp  05.11.2025 Aktualisiert

New York

ADL will Mamdani unter Beobachtung stellen

Die Anti-Defamation League erwartet vom neugewählten New York Bürgermeister nichts Gutes. Jetzt hat die jüdische Organisation angekündigt, man werde genau hinschauen

 05.11.2025

Amsterdam

Wegen IDF-Kantor: Concertgebouw sagt Chanukka-Konzert ab

Die renommierte Musikhalle hat wegen des geplanten Auftritts von IDF-Chefkantor Shai Abramson das alljährliche Konzert abgesagt. Die jüdische Gemeinschaft ist empört und will gegen den Entscheid klagen

von Michael Thaidigsmann  05.11.2025 Aktualisiert

Kommentar

Mamdanis demokratische Steigbügelhalter

Führende Politiker der Demokraten haben aus Opportunismus die Wahl des Israel-Hassers Zohran Mamdani zum New Yorker Bürgermeister ermöglicht - und so in Kauf genommen, dass aus Worten gegen Israel wieder Gewalt gegen Juden werden könnte

von Menachem Z. Rosensaft  05.11.2025

Vatikan

Theologe: Antisemitismus bei Vatikan-Konferenz kein Einzelfall

Der Salzburger Theologe Hoff berichtet über Eklats bei einer jüngsten Vatikan-Konferenz. Ein Schweizergardist soll sich verächtlich über Mitglieder einer jüdischen Delegation geäußert und in ihre Richtung gespuckt haben

 04.11.2025

Spanien

Francos Erbe

Das Land, das den Sefardim einst ihren Namen gab, verlangt seinen Juden heute einiges ab

von Valentin Suckut  03.11.2025

»Nobody Wants This«

Alle wollen Esther

Einer der Gründe, die Netflix-Serie zu sehen, ist Jackie Tohn. Die Schauspielerin mit dem Blick, der Stahl schmelzen kann, tanzt gern auf vielen Hochzeiten

von Sarah Thalia Pines  03.11.2025

Slowakei

Neues Leuchten in Trenčín

Eine restaurierte Synagoge wird zum Herzstück der Kulturhauptstadt 2026 – und zum Zeichen jüdischer Erneuerung

von Kilian Kirchgeßner  03.11.2025

USA

Unsicher in New York

Zohran Mamdani ist der mögliche nächste Bürgermeister der Metropole – und für viele Juden ein Problem

von Mark Feldon  30.10.2025