Europa

Etikett und Stigma

Geschächtet: Tierschützer wollen dieses treifene T-Bone-Steak mit Stempel oder Aufkleber sehen. Foto: imago

Europa

Etikett und Stigma

Tierschützer fordern, Schächtfleisch zu kennzeichnen. Die Rabbiner protestieren

von Iris Hartl  30.11.2010 10:25 Uhr

Externer Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel anreichert. Wir benötigen Ihre Zustimmung, bevor Sie Inhalte von Bottalk ansehen und mit diesen interagieren können.

Mit dem Betätigen der Schaltfläche erklären Sie sich damit einverstanden, dass Ihnen Inhalte aus Bottalk angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittanbieter übermittelt werden. Dazu ist ggf. die Speicherung von Cookies auf Ihrem Gerät nötig. Mehr Informationen finden Sie hier.

Vergangene Woche kamen in Paris europäische Rabbiner zu einer Konferenz zum Thema Kaschrut zusammen. Bei dem Treffen, zu dem auch Rabbiner aus Deutschland anreisten, diskutierten die Teilnehmer darüber, wie sich ein künftiges EU-Gesetz verhindern lässt, das eine spezielle Kennzeichnung von geschächtetem Fleisch vorsieht.

Am kommenden Montag wird der EU-Ministerrat über den am 16. Juni vom Europaparlament beschlossenen Gesetzesänderungsantrag Nr. 205 entscheiden. Der Vorschlag stammt von der deutschen Europaabgeordneten Renate Sommer, die damit auf die Forderungen von Tierschützern reagierte. Jüdische Dachverbände in Europa sehen in dem Vorstoß eine Diskriminierung und fürchten, dass sich aus der Kennzeichnungspflicht wirtschaftliche Nachteile ergeben.

Hüftsehne Stellt man nach dem Schächten fest, dass zum Beispiel Luft- und Speiseröhre nicht vollständig durchtrennt wurden oder das Messer Scharten aufwies, dann ist das Fleisch nicht koscher. Auch ist es für den Schochet oft zu aufwendig, die nach den Speisegesetzen verbotene Hüftsehne herauszulösen, sodass der hintere Teil des geschächteten Tieres übrigbleibt. All dies führt dazu, dass in der Regel mehr als die Hälfte des geschächteten Fleischs nicht koscher ist und zu einem niedrigeren Preis an nichtjüdische Abnehmer weiterverkauft wird. »Sollte dieses Fleisch im normalen Handel noch zusätzlich etikettiert werden, mit dem Hinweis, dass es aus jüdischer Schächtung stammt, die bekanntlich ohne Betäubung durchgeführt wird, dann ließe es sich in Zukunft noch schlechter verkaufen«, befürchtet der Freiburger Landesrabbiner Benjamin David Soussan, der mit seinem Sohn, dem Düsseldorfer Rabbiner Julian Chaim Soussan, an der Konferenz in Paris teilnahm.

Neben der Delegation aus Deutschland kamen religiöse Autoritäten aus Großbritannien, Österreich, den Niederlanden, Belgien, Spanien, Polen und Dänemark nach Paris. Unter ihnen waren der Präsident des European Board of Shehitat, Pinhas Kornfeld, sowie Albert Guigui, Oberrabbiner von Brüssel, und Shimon Cohen von Shehitat UK. Insgesamt 35 Personen folgten der Einladung des französischen Oberrabbiners Gilles Bernheim.

Überzeugungsarbeit Ziel der Konferenz war es, sich auf eine Argumentationslinie zu einigen, die anschließend im Heimatland der jeweiligen jüdischen Gemeinde öffentlich vorgebracht und verteidigt werden soll. Durch die Überzeugungsarbeit auf nationaler Ebene erhofft man sich, ein Inkrafttreten des Gesetzes abwenden zu können. Es geht vor allem darum, die Befürworter der Kennzeichnung darauf hinzuweisen, dass die Tiere unter nichtreligiösen Schlachtungsmethoden häufig mehr leiden, als durch die traditionelle Schächtung, die schnell und jüdischen Gutachtern zufolge ohne Qualen vonstatten geht. Die geplante Etikettierung stelle somit eine unrechtmäßige Benachteiligung des jüdischen und muslimischen Fleischhandels in Europa dar.

Frankreichs Oberrabbiner Gilles Bernheim und Großrabbiner Bruno Fiszon haben Präsident Sarkozy vor einigen Wochen in einem Brief um Unterstützung gebeten. »Die französische Regierung ist der jüdischen Gemeinschaft wohlgesinnt und lehnt die EU-Initiative ab. Aber europäische Tierschutzvereine, wie die Fondation Brigitte Bardot in Frankreich, betreiben eine regelrechte Boykottkampagne gegen jüdische und islamische Fleischprodukte«, so Rabbiner Fiszon.

Da die Bundesregierung mit Renate Sommers Antrag dem Druck der Tierschützer nachgegeben hat, wolle der Zentralrat der Juden in Deutschland nun zusammen mit den deutschen Rabbinern versuchen, ein persönliches Treffen mit Bundeskanzlerin Merkel zu arrangieren, sagte Rabbiner Benjamin David Soussan der Jüdischen Allgemeinen. Sollte dies nicht gelingen, wolle man zumindest ein Schreiben an sie adressieren. Laut Rabbiner Soussan hat Renate Sommer ihrerseits bereits zugesagt, den Antrag im Falle einer Ablehnung durch den EU-Ministerrat nicht zu erneuern.

»Wir hoffen jetzt natürlich, dass die Mehrheit im Ministerrat gegen Frau Sommers Antrag stimmen wird«, erklärt Rabbiner Soussan. »Ansonsten müssen wir weitersehen.« Die europäischen Rabbiner blicken dem kommenden Montag mit besorgter Spannung entgegen.

Slowakei

»Wir würden es als großen Verlust empfinden«

Durch beherztes Handeln konnte die Stadtverwaltung von Prešov die Schließung des örtlichen Jüdischen Museums verhindern

von György Polgár  12.08.2025

Debatte

Missbrauch der Sarajevo-Haggada für Hetze gegen Israel

Ein Kommentar von Rabbiner Pinchas Goldschmidt

von Rabbiner Pinchas Goldschmidt  11.08.2025

Schweiz

Der Breslauer Schatz

Tausende Schriften stehen für das Überleben der jüdischen Kultur in Europa. Nun sollen sie endlich restauriert und zukünftigen Generationen zugänglich gemacht werden

von Leticia Witte, Ralf Balke  11.08.2025

Berlin

Holocaust-Überlebende zweifeln an Deutschland

Das Waffenembargo verunsichert auch Schoa-Überlebende in Israel - das meint der Vizepräsident des Internationalen Auschwitz Komitees

 10.08.2025

Washington D.C.

USA klagen Mörder von israelischen Botschaftsmitarbeitern an

Elias Rodriguez könnte für den Doppelmord an dem Deutsch-Israeli Yaron Lischinsky und der Amerikanerin Sarah Milgrim zum Tode verurteilt werden

 07.08.2025

Großbritannien

Das zweitschlechteste Halbjahr

Nach dem Allzeithoch 2024 ist der Judenhass im Vereinigten Königreich zwar etwas zurückgegangen. Doch der Gaza-Krieg fungiert weiter als Katalysator für Antisemitismus

 06.08.2025

Iberia Airlines

»Free Palestine«-Kritzeleien auf koscheren Mahlzeiten

Jüdische Passagiere bekamen auf einem Flug von Buenos Aires nach Madrid Lebensmittel mit antiisraelischen Botschaften serviert

von Michael Thaidigsmann  05.08.2025

Tourismus

Antisemitismus: Israelische Urlauber meiden Orte in Westeuropa

Der sich verbreitende Antisemitismus verändert das Urlaubsverhalten. Wohin fliegen Juden in den Ferien?

 05.08.2025

Porträt der Woche

Historikerin aus Leidenschaft

Shiran Shasha forscht zu antiken Gärten und sammelt Geld für eine Synagoge auf Kreta

von Gerhard Haase-Hindenberg  03.08.2025