USA

Eiskalte Entscheidung

Unsichere Perspektive: In der Eisfabrik von Ben & Jerry’s in Beer Tuviya arbeiten 160 Menschen. Foto: Flash 90

Ben & Jerry’s – das ist die Lieblingseiscreme all derer, die sich stets auf der richtigen Seite wähnen. Politisch korrekt, nachhaltig, weltoffen und auch sehr lecker. Bis jetzt war das, abgesehen von Kalorien und Kohlenhydraten, stets ein Genuss ohne Reue.

Das hat sich nun gründlich geändert, seit das Unternehmen am 19. Juli mitteilte, es »werde den Verkauf unserer Eisprodukte in den besetzten Palästinensergebieten beenden«. Die dürre Erklärung, die das Westjordanland und Ost-Jerusalem betrifft, schloss mit den Worten, man werde in Israel bleiben und darüber hinaus die Menschen in Kenntnis setzen, sobald es Neuigkeiten gebe.

reaktionen Die Nachricht der Eismacher aus dem Ostküstenstaat Vermont, die israelische Dependance 2022 dichtzumachen, überraschte nicht nur die Führung der israelischen Fabrik, die seit gut drei Jahrzehnten Ben & Jerry’s-Eissorten herstellt, sondern sorgte zudem für hitzige Reaktionen – interessanterweise auch hinter den eigenen Kulissen. Denn schnell wurde klar, dass einige im Konzern Aktive als treue Gefolgsleute der antisemitischen BDS-Kampagne dienten.

Das wiederum ist in etlichen US-Staaten strafbar. Fünf von ihnen, Florida, Texas, New York, New Jersey und Illinois, haben bereits Ermittlungen gegen Ben & Jerry’s aufgenommen, während Israels Botschafter in den USA und bei den UN, Gilad Erdan, Briefe an alle Gouverneure der 35 Staaten geschickt hat, die BDS und dessen Unterstützung unter Strafe stellen.

Offenbar wollte sich Ben & Jerry’s ursprünglich aus ganz Israel zurückziehen.

Ben & Jerry’s-Boss Anuradha Mittal jedenfalls hätte es gern noch etwas radikaler gehabt, wie er dem Sender NBC mitteilte. Die Mitteilung, in Israel zu bleiben, sei gegen den Willen des Vorstandes von Ben & Jerry’s gefallen. »Ich bin sehr traurig über diese arglistige Täuschung«, so Mittal gegenüber NBC. »Es geht hier nicht um Israel. Es geht um die Verletzung des Übernahmevertrages, der die Seele unseres Unternehmens bewahren sollte. Ich denke unaufhörlich daran, wie so etwas passieren kann, wenn man einen Vorstand mit vielen Frauen und People of Color hat, die das Richtige tun wollen.«

Nach Angaben von Mittal sei der Boykottbeschluss bereits im Juli 2020 gefällt worden. Der CEO des Mutterkonzerns Unilever. Matthew McCarthy, habe ihn aber nicht umgesetzt. Dass »das Richtige« offenbar die Umsetzung von BDS-Parolen ist, die der so divers und humanistisch besetzte Vorstand anscheinend keine Probleme hatte durchzuwinken, sorgt nicht nur im Mutterhaus für Kopfschmerzen, sondern auch für Unruhe bei Ben & Jerry’s selbst. So schmiss eine langjährige Grafikerin des Unternehmens, die New Yorkerin Susannah Levin, öffentlichkeitswirksam über Facebook hin: »Mit sofortiger Wirkung habe ich nach 21 Jahren wegen des Statements zu Israel bei Ben & Jerry’s gekündigt.«

anfragen Die »Jüdische Allgemeine« konfrontierte Ben & Jerry’s mit einem umfangreichen Fragenkatalog. Die Fragen waren, was das Unternehmen zum Verhalten des Vorstandschef Mittal sagt, und warum es »unvereinbar mit den Werten« von Ben & Jerry’s sei, in Judäa und Samaria verkauft zu werden. Weiterhin wollte die Jüdische Allgemeine erfahren, warum es gleichzeitig mit jenen Werten des Eisherstellers vereinbar sei, in einer blutigen Autokratie wie Katar vertrieben zu werden, ob zudem die »Fans und Partner« von Ben & Jerry’s BDS-Positionen einnähmen oder verteidigten und schließlich, ob im Vorstand des Unternehmens antisemitische Überzeugungen an der Tagesordnung seien.

Die Antwort kam prompt, wenngleich sie nicht sonderlich erschöpfend war: »Danke für Ihr Interesse an Ben & Jerry’s. Wir wissen Ihre Anfrage sehr zu schätzen, aber geben derzeit keinerlei weiteren Interviews mehr. Unser Statement kann hier abgerufen werden«, heißt es mit Verweis auf einen Link zu der durch Unilever veränderten Pressemitteilung.

Seitens Unilever Deutschland gab es ebenfalls nur eine Pro-forma-Antwort: »Unilever Deutschland steht als Unternehmen hinter den Aussagen, die Sie auch der globalen Unilever-Stellungnahme entnehmen können.« Dort ist zu lesen, man bleibe »der Präsenz in Israel voll verpflichtet«. Zudem habe man stets das Recht der 2000 erworbenen Submarke akzeptiert, »Entscheidungen über deren soziale Mission zu treffen«. Offensichtlich hat man mit dieser speziellen »sozialen Mission« von Ben & Jerry’s keine weiteren Probleme.

Unverblümter Jubel jedenfalls kam in der Angelegenheit von der BDS-Bewegung, die die Kampagne geführt hatte. Den selbst ernannten Moralwächtern sind menschliche Einzelschicksale offenbar völlig egal – jüdische schon gar.

mitarbeiter Getroffen werden mit den Boykottmaßnahmen und -anregungen, die in der unseligen Tradition der »Kauft nicht bei Juden«-Kampagne der Nazis stehen, Menschen wie Reuven Ben-Teruncha, der seit fünf Jahren in der Eisfabrik arbeitet. Der äthiopische Jude, Vater von neun Kindern, ist stolz darauf, im Werbematerial der Firma aufzutauchen. »Die Menschen hier sind gut zu mir, der Lohn kommt immer pünktlich, der Job ist sicher.«
Er war sicher. Auch Reuven, den seine Mitarbeiter als stets fröhlich beschreiben, schwindet derzeit oft das Lächeln. Es sei »nicht fair«, sagt er der »Jerusalem Post«, eine Fabrik dichtzumachen, die seit 35 Jahren existiert: »Lasst uns arbeiten.«

160 Menschen sind in der Fabrik beschäftigt. Sie steht im engsten Einzugsgebiet der Hamas-Raketen, 90 Prozent der Belegschaft wohnen auch nahe dem Gazastreifen, sodass diese Menschen während der jüngsten Terrorwelle viel Zeit im Bunker verbringen mussten. Auch als sich im Rest Israels die Lage wieder entspannte, lagen Fabrik und Umgebung immer noch unter Dauerbeschuss. Diesmal jedoch vonseiten des BDS, der die Website des Unternehmens mit Hasstiraden bombardierte.

Die antisemitische BDS-Bewegung feiert die Ankündigung des Eisherstellers.

Produktmanager Itai, der seit drei Jahren bei Ben & Jerry’s Israel arbeitet, sagte der Jerusalem Post, er habe das Gefühl, sich mitten in einem Krieg zu befinden. »Aber wir machen keine Politik, wir machen Eis«, sagt der Mann aus Kiryat Gat.

Der Ort Kiryat Malachi nahe der Fabrik in Beer Tuviya wurde 1951 als Zeltstadt für jüdische Immigranten hochgezogen, die den Schrecken der Schoa entronnen waren oder aus den arabischen Anrainerstaaten vertrieben wurden.

Mittlerweile leben hier 22.000 Menschen, die meisten von ihnen stammen aus der ehemaligen Sowjetunion, 17 Prozent aus Äthiopien. Außer der Fabrik gibt es hier nicht viel. Das durchschnittliche Einkommen liegt um die Hälfte niedriger als im Rest des Landes. Die Menschen hier sind nicht auf Rosen gebettet, die Fabrik gab ihnen nicht nur als einziger Groß-Arbeitgeber Sicherheit, sondern spendete auch eine Menge Geld für Wohlfahrt und soziale Projekte, speziell an Initiativen, die sich um die Integration äthiopischer Juden kümmerten. Zudem hängen etliche arabisch-israelische Vertriebler von der Fabrik ab.

druck »Vielleicht haben wir noch ein Jahr«, sagt Itai der israelischen Zeitung. »Wir wissen nicht, was passieren wird, aber wir hoffen, dass der politische Druck eine Schließung verhindern wird.« Ein Bandarbeiter ergänzt: »Es wird alles gut werden.«

In der Tat scheint die Geschichte, die der BDS-beeinflusste Ben & Jerry’s-Vorstand auslöste, diesmal in eine andere Richtung zu gehen als sonst üblich. Denn die Empörung ist groß. In Ecuador hat die Supermarktkette »El Rosado Group« sämtliche Unilever-Eisprodukte aus dem Sortiment genommen, in New York passiert Ähnliches mit Ben & Jerry’s in den Regalen.

Und Floridas Gouverneur Ron DeSantis, so berichtet es das Fachblatt »Dairy Reporter«, hat Ben & Jerry’s und Unilever auf die Liste der Unternehmen setzen lassen, die Israel boykottieren. Damit ist der Prozess einer akribischen Untersuchung angeschoben, deren Ende noch richtig teuer für den britischen Mutterkonzern werden könnte. »Der Staat Florida toleriert aus Prinzip keinerlei Diskriminierung des Staates Israel und der israelischen Bevölkerung, das gilt auch für die BDS-Attacken auf Israel«, so DeSantis. In Florida wie in Texas droht Unilever und Ben & Jerry’s in letzter Konsequenz ein totales Verkaufsverbot.

terror Für Israels neuen Präsidenten Isaac Herzog ist die Boykott-Aktion der Eismacher und ihrer BDS-Gefährten gar »eine neue Form des Terrorismus«, sei sie doch darauf ausgerichtet, »die Bürger Israels und dessen Wirtschaft zu schädigen«. Herzog fügte hinzu, die BDS-Kampagne gegen Israel »sucht keinen Frieden und versucht, die Existenz des Staates Israels zu unterminieren. Sie zielt auf Israels Wirtschaftskraft«.

Wohl noch nie haben Politik und Wirtschaft derart heftig auf eine BDS-Attacke reagiert wie im Fall von Ben & Jerry’s. Selbst aus dem Weißen Haus kam schon eine Reaktion – dessen Bewohner Joe Biden gilt als großer Eisfan. »Das Weiße Haus lehnt die BDS-Bewegung entschieden ab, da sie Israel auf unfaire Weise isoliert«, so ein Sprecher des Außenministeriums. Die Vereinigten Staaten würden weiterhin »ein starker Partner im Kampf gegen weltweite Bestrebungen sein, Israel zu delegitimieren«.

Eine klare Botschaft an einen Eishersteller, der politische Moral mit Israel- und Judenhass verwechselt.

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