Frankreich

Einmischung unerwünscht

Eigenständiges Gemeindeleben: Gebet in der Synagoge Neuilly bei Paris Foto: Flash 90

Frankreich

Einmischung unerwünscht

Gemeinde kritisiert Avigdor Liebermans Dreyfus-Vergleich und den erneuten Alija-Aufruf

von Gabriela Pagener-Neu  09.01.2017 17:04 Uhr

Am Sonntag, fünf Tage vor der Amtsübernahme Donald Trumps, soll eine weitere internationale Nahostkonferenz unter Teilnahme von etwa 70 Ländern in Paris stattfinden. Die beiden betroffenen Parteien sind ausgeschlossen. Israels Ministerpräsident Netanjahu und Palästinenserpräsident Abbas sollen im Anschluss von Frankreichs Staatspräsident Hollande eingeladen und über die Arbeit der Veranstaltung unterrichtet werden. Deren Ziel sei es, so der sozialistische Außenminister Jean-Marc Ayrault, »den blockierten Friedensprozess im Nahen Osten wiederzubeleben und die Notwendigkeit einer Zweistaatenlösung erneut zu bekräftigen«.

Anders als Abbas, der Frankeichs Initiative begrüßt, lehnt Netanjahu als Gegner multilateraler Lösungsansätze ein Treffen in Paris ab. Die israelische Vizeaußenministerin Tzipi Hotovely nannte die Pariser Friedenskonferenz am Mittwoch eine »Hochzeit ohne Braut und Bräutigam«.

Prozess Viele französische Juden schüttelten die Köpfe über die Wutreaktion von Israels Verteidigungsminister Avigdor Lieberman. Der polemisierte in einer Sitzung der von ihm geführten rechtsnationalen Partei Jüdisches Haus (Israel Beiteinu): »Es handelt sich nicht um eine Friedenskonferenz, sondern um einen Prozess gegen den Staat Israel.« Es sei »eine moderne Version des Dreyfus-Prozesses mit dem Staat Israel und dem jüdischen Volk auf der Anklagebank«.

Im sogenannten Dreyfus-Prozess verurteilte 1894 ein Pariser Kriegsgericht den französisch-jüdischen Artilleriehauptmann Alfred Dreyfus wegen angeblichen Landesverrats. Das Gerichtsverfahren spaltete die französische Gesellschaft seinerzeit tief und ging als Symbol des Antisemitismus französischer Prägung in die Geschichte ein.

Auswanderung An anderer Stelle appellierte Lieberman an die jüdische Gemeinde in Frankreich, Konsequenzen zu ziehen: »Wenn ihr Juden bleiben wollt und möchtet, dass eure Kinder und Enkelkinder Juden bleiben, dann müsst ihr Frankreich verlassen. Es ist nicht euer Land, kommt nach Israel!«

Die jüdische Gemeinschaft in Frankreich gilt mit mehr als einer halben Million Mitgliedern als die größte in Europa. In den Jahren 2014 und 2015 verließen viele Juden Frankreich und wanderten nach Israel aus, doch 2016 ging ihre Zahl drastisch zurück.

Empört reagierte die französisch-jüdische Dachorganisation Conseil Représentatif des Institutions Juives de France (CRIF) auf Liebermans Vergleich der französischen Friedensinitiative mit der Dreyfus-Affäre. In einem Kommuniqué erklärte CRIF, dass der Vergleich »den Antisemiten in die Hände spielen könnte«.

Der CRIF bedauert, »dass ungeschickte Erklärungen außerdem zur Desinformation bezüglich der Verbundenheit der französischen Juden mit der Republik beitragen könnten«.

Nahostkonferenz Was allerdings die Nahostkonferenz als solche betrifft, unterstützt der CRIF die Haltung der israelischen Regierung, eine Lösung des Konflikts könne nur zwischen den Parteien selbst ausgehandelt werden.

Hört man sich bei einzelnen Juden in Frankreich um, so teilen manche zwar Liebermans Sicht, wie Shoshana Zemmour: »Dieser Minister hat recht.« Generell erhärtet sich jedoch der Eindruck, dass der CRIF die Meinung der Mehrheit vertritt und Liebermans Aufruf ohne Echo verhallt ist.

Simon P., der nicht möchte, dass sein voller Name in der Zeitung steht, kommentiert: »Diesem Minister fehlt es an jeder Nuancierung und an jeglichem Maß. Seine Rede ist reine Demagogie und nur an sein Wahlvolk gerichtet.«

Rejane Samuel, ein anderes Gemeindemitglied, berichtet von der Erfahrung eines Freundes. Er habe Alija gemacht, habe es jedoch sehr bereut und sei nach einem Jahr wieder zurückgekehrt. Er habe nicht »das Gelobte Land« vorgefunden. Rejane Samuel glaubt, dass es den wenigen, die Lieberman mit seinem Appell möglicherweise locken könnte, wohl ähnlich ergehen werde.

Die in Genf geborene Schweizer Schriftstellerin und Philosophin Jeanne Hersch aufgenommen im März 1999

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