Interview

»Eine Milliarde Antisemiten«

Abraham Foxman Foto: Uwe Steinert

Interview

»Eine Milliarde Antisemiten«

Abraham Foxman über Zufallsprinzip, Vorurteile und die erste weltweite Studie zum Judenhass

von Tobias Kühn  14.05.2014 09:14 Uhr

Herr Foxman, Sie haben am Dienstag eine Studie veröffentlicht, die erstmals den Antisemitismus weltweit untersucht. Zu welchen Ergebnissen kommen Sie?
Zu ernüchternden: Mehr als ein Viertel der Befragten (26 Prozent) hat antisemitische Einstellungen. Dies entspricht schätzungsweise 1,09 Milliarden Menschen auf der ganzen Welt. Die am stärksten verbreiteten Stereotype sind, dass Juden nicht loyal seien und übermäßig Macht und Einfluss hätten. Und: Trotz jahrzehntelanger Bemühungen erkennen nur 33 Prozent der Befragten den Holocaust als historische Tatsache an.

Wie haben Sie die Daten erhoben?
Wir haben zwischen Juli 2013 und Februar 2014 mit 53.100 nichtjüdischen Erwachsenen auf allen Erdteilen Interviews geführt – in 96 Sprachen! Wir haben die Teilnehmer angerufen oder direkt mit ihnen gesprochen. Sie wurden nach dem Zufallsprinzip ausgewählt und stellen eine demografisch repräsentative Stichprobe der erwachsenen Bevölkerung dar. Wir haben den Teilnehmern elf Fragen gestellt, die auf alten Vorurteilen über Juden beruhen. Diejenigen, die mindestens sechs Fragen positiv beantwortet haben, gelten als »Personen mit antisemitischen Einstellungen«.

Welche regionalen Unterschiede sind Ihnen aufgefallen?
Die Studie listet Länder und Gebiete in numerischer Reihenfolge auf: In Laos zum Beispiel haben 0,2 Prozent der erwachsenen Bevölkerung antisemitische Einstellungen, im Westjordanland und in Gaza sind es 93 Prozent. Die mit Abstand höchste Konzentration an Erwachsenen mit antisemitischen Einstellungen gibt es im Nahen Osten und in Nordafrika (74 Prozent). Wir haben auch herausgefunden, dass antisemitische Einstellungen in Osteuropa verbreiteter sind als in Westeuropa. In Europa steht Griechenland an unrühmlicher Spitze: Dort fallen 69 Prozent der erwachsenen Bevölkerung in die antisemitische Kategorie. In Deutschland sind es nach unserer Studie 27 Prozent.

Welche Ergebnisse haben Sie überrascht?
Dass es beispielsweise auf den Philippinen, einem Land mit vor allem katholischer Bevölkerung, kaum Antisemitismus gibt. Damit haben wir nicht gerechnet, und wir haben noch keine Erklärung dafür. Auch waren wir sehr überrascht, dass in Ländern wie Panama und Südkorea mindestens jeder Zweite massiv judenfeindlich eingestellt ist.

Welche Schlüsse ziehen Sie aus der Studie?
Unsere Umfrage ist ein Barometer. Für die Beurteilung des Antisemitismus in einem Land ist die Abfrage der öffentlichen Meinung nur einer der Faktoren. Um das Ausmaß des Antisemitismus in einer Gesellschaft zu beurteilen, muss man weitere Elemente wie die Anzahl judenfeindlicher Vorfälle und das Sicherheitsgefühl der jüdischen Gemeinde hinzuziehen. Wir hoffen allerdings, dass unsere Studie dazu beiträgt, dass Regierungen, Wissenschaftler und NGOs stärker über Antisemitismus sprechen und neue Initiativen dagegen ins Leben rufen.

Mit dem Direktor der Anti-Defamation League sprach Tobias Kühn.

Großbritannien

Nike hat es »nicht böse gemeint«

Der Sportartikel-Konzern hing zum London Marathon ein Banner auf, das aus Sicht von Kritikern die Schoa lächerlich gemacht hat. Jetzt hat sich das Unternehmen entschuldigt.

 29.04.2025

Schweiz

Junger Mann wegen geplanten Anschlags auf Synagoge Halle verhaftet

Die Anschlagspläne soll er laut Staatsanwaltschaft zwischen Juli 2024 und Februar 2025 wiederholt in einer Telegram-Chatgruppe angekündigt haben

 29.04.2025

Sport

Nach Anti-Israel-Eklat: Jetzt sprechen die Schweizer Fechter

Bei der Nachwuchs-EM der Fechterinnen und Fechter kommt es in Estland zu einer viel diskutierten Szene. Nun haben sich die verantwortlichen Schweizer erklärt

 28.04.2025

Fecht-EM

Schweizer Fechter schauen bei israelischer Hymne demonstrativ weg

Nachdem die U23-Mannschaft der Schweizer Fechter gegen Israel protestierte, äußert sich nun der Schweizer Fechtverband und verurteilt den Vorfall

von Nicole Dreyfus  28.04.2025

Großbritannien

Israelfeindliche Aktivisten stören London-Marathon

Mitten im London-Marathon kommt es zu einer Protestaktion gegen Israel. Zwei Aktivisten springen auf die Strecke und streuen rotes Pulver

 27.04.2025

Essay

Wir gehen nicht allein

Zum ersten Mal hat unsere Autorin mit dem »Marsch der Lebenden« das ehemalige KZ Auschwitz besucht. Ein Versuch, das Unvorstellbare in Worte zu fassen

von Sarah Maria Sander  27.04.2025

Frankreich

Serge Klarsfeld: »Wir müssen vorbereitet sein«

Der Holocaust-Überlebende und Nazi-Jäger hat in »Le Figaro« einen dringenden Appell veröffentlicht und erneut für rechte Parteien geworben. Das Judentum sei bedrohter denn je, glaubt er

 25.04.2025

USA

Sharon Osbourne vs. die Anti-Israel-Popkultur

Rock-Veteranin Sharon Osbourne hat sich mit dem irischen Rap-Trio Kneecap angelegt, das offensichtlich meint, mit Hassrede gegen Israel seine Fanbase vergrößern zu können

von Sophie Albers Ben Chamo  25.04.2025

KZ-Gedenkstätte Auschwitz

Israels Präsident Isaac Herzog und Eli Sharabi beim »Marsch der Lebenden«

Auf dem Weg von Auschwitz nach Birkenau sind diesmal auch ehemalige israelische Geiseln der Hamas dabei. Israels Präsident Herzog erinnerte an die weiterhin in Gaza gefangen gehaltenen israelischen Geiseln

 24.04.2025