Polen

»Ein ungeheurer Schlag«

Abstimmung im polnischen Parlament Foto: imago

Piotr Kadlcik ist schockiert: »Das war ein ungeheurer Schlag. Wir hofften die ganze Zeit, dass Polens Politiker doch die Religionsfreiheit der Juden und Muslime in diesem Land achten würden. Aber es siegte das alte Vorurteil von den angeblich grausamen und geldgierigen Juden.«

Der Vorsitzende des Jüdischen Gemeindebundes in Polen reagierte im Gespräch mit der Jüdischen Allgemeinen zutiefst bestürzt auf die Abstimmung im Sejm, dem polnischen Abgeordnetenhaus, am vergangenen Freitag. Die Abgeordneten hatten mit 222 gegen 178 Stimmen das Gesetzesprojekt der liberalkonservativen Regierung, mit dem das Schlachten nach den religiösen Vorschriften von Juden und Muslimen wieder erlaubt werden sollte, verworfen.

Rücktritt »Der vergangene Freitag wird in die Geschichte Polens eingehen als der schlimmste Tag für die polnisch-jüdische Diaspora in den letzten 30 Jahren«, sagte Polens Oberrabbiner Michael Schudrich der Jüdischen Allgemeinen. »Wenn die Abgeordneten die Religionsfreiheit für die polnischen Juden und Muslime nicht wiederherstellen, werde ich von meinem Amt als Oberrabbiner zurücktreten.«

Der 58-jährige New Yorker, der seit einigen Jahren auch die polnische Staatsbürgerschaft besitzt, ist zutiefst enttäuscht von den Parlamentariern, die er zum Teil persönlich kennt: »Ich kann nicht Oberrabbiner sein in einem Land, das die Juden verachtet.«

Zentralrat Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dieter Graumann, hat sich tief besorgt über die Entscheidung des polnischen Parlaments, Sejm zum Schächten gezeigt. »Auf diese Weise werden der jüdischen, aber auch der muslimischen Religionsgemeinschaft wichtige fundamentale Freiheitsrechte zur Ausübung ihrer Religion vorenthalten«, schrieb Graumann dem Botschafter der Republik Polen in Deutschland, Jerzy Marganski am Dienstag und appellierte an ihn, alles daran zu setzen, die rituelle Schlachtung in Polen wieder einzuführen.

Das staatliche Verbot des Schächtens sei nicht nur ein Alarmsignal für »unsere jüdischen Brüder und Schwestern in Polen, sondern wirft auch ein besonders dramatisches Bild auf Polen, als anerkanntes und verdientes Mitglied der europäischen Staaten- und Wertegemeinschaft«, schrieb Graumann weiter. Er bedauere, dass sich Ministerpräsident Donald Tusk nicht habe mit seinem Engagement, das Schächten wieder einzuführen, durchsetzen konnte.

Die Folgen der Entscheidung der Sejm sei nicht nur für Juden weltweit »verstörend und verletzend, sie schadet definitiv auch dem internationalen Ansehen von Polen und sendet in die Europäische Gemeinschaft ein falsches und fatales Signal«, erklärte Graumann.

Bereits im November 2012 hatte das polnische Verfassungsgericht auf Antrag von Tierschützern entschieden, dass das Schlachten ohne vorherige Betäubung in Polen verfassungswidrig sei. Ausschlaggebend, so die Richter, sei das Tierschutzgesetz von 2002. Nur der Gesetzgeber könne über eine Ausnahme entscheiden, nicht aber der Landwirtschaftsminister mit einer einfachen Verordnung.

kampagne Der Abstimmung im Sejm war eine monatelange Kampagne gegen die angeblich grausame jüdische Schlachtmethode vorausgegangen. Am Ende setzte Polens Regierungspartei, die liberalkonservative Bürgerplattform, eine »Gewissensabstimmung« gegen die sonst übliche Fraktionsdisziplin durch.

Piotr Kadlcik wirft Andrzej Halicki von der Regierungspartei Bürgerplattform vor, sein Wort gebrochen zu haben. Halicki hatte der jüdischen Gemeinschaft offenbar eine Ausnahmeregelung zugesichert. Die Atmosphäre in Polen sei antisemitisch so aufgeladen wie lange nicht mehr, betont Kadlcik und kündigt an: »Wenn der Sejm seinen Fehler nicht einsieht und revidiert, müssen wir vor das polnische Verfassungsgericht und dann vor den Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg ziehen.«

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