In unserer Post-MeToo-Ära ist er zur Figur der Vergangenheit geworden. Lange galt für Generationen von Kinobesuchern der Satz: »Ich bin mit Woody-Allen-Filmen aufgewachsen.« Heute sind die Werke des mehrfachen Oscar-Preisträgers, der am 30. November 90 Jahre alt wird, allerdings nur noch selten die Kulturereignisse, als die sie in den 70er- und 80er-Jahren gefeiert wurden. Auch wegen der Missbrauchsvorwürfe seiner Adoptivtochter sind Film- und Kulturszene sowie Fans zunehmend auf Distanz gegangen. Allen hat alle Vorwürfe abgestritten, ein Verfahren wurde nicht eingeleitet.
Seine Karriere als Regisseur begann 1969, als mit Woody, der Unglücksrabe seine erste Regiearbeit ins Kino kam. Herrlicher Klamauk wie in Bananas oder Was Sie schon immer über Sex wissen wollten wurde bald abgelöst von Meisterwerken wie Der Stadtneurotiker (1977), Manhattan (1979), Zelig (1983) oder Hannah und ihre Schwestern (1986). Keiner konnte das Lebensgefühl der westlichen Gesellschaft – und der Juden in ihr – so bündig in einem einzigen Satz auf den Punkt bringen wie Allen: »Ich hasse die Realität, aber sie ist immer noch der beste Ort, um ein gutes Steak zu bekommen.« Er war der Prototyp des hysterischen New Yorker Intellektuellen mit Beziehungsproblemen. Natürlich gab es auch Flops, vor allem nach der Jahrtausendwende, aber auch Überraschungen wie Match Point und den Oscar-prämierten Film Midnight in Paris, der sein bisher größter kommerzieller Erfolg ist.
Am 1. Dezember 1935 als Allan Stewart Konigsberg in Brooklyn in eine jüdische Familie geboren, begann Allen seine Komikerkarriere als Wunderkind: Schon mit 15 Jahren belieferte er Zeitungen mit Witzen. Um nicht von Klassenkameraden erkannt zu werden, legte er sich das Pseudonym Woody Allen zu. Mit 17, so heißt es, verdiente er bereits mehr als seine Eltern. Anfang der 60er-Jahre entdeckten ihn die Agenten Jack Rollins und Charles Joffe, die später seine Filme produzierten, und schickten ihn als Stand-up-Comedian auf die Bühne. Das fiel Allen anfangs schwer, doch bald stellte sich der Erfolg ein. Fernsehauftritte ließen ihn zur Marke werden, lange bevor er Filme machte. Die folgten seiner Enttäuschung über die Umsetzung seines Drehbuchs für Whatʼs New, Pussycat? (1965). Er fasste den Entschluss, nur noch selbstbestimmt Filme zu machen. Jedes Jahr einen. Sein System: ein niedriges Budget, pünktlich liefern und eine Garantie bescheidener Einkünfte.
Darstellerin war häufig seine langjährige Partnerin Mia Farrow. Anfang der 90er-Jahre geriet das Paar durch Streitigkeiten in die Schlagzeilen. In jener Zeit kam es auch zu ersten Missbrauchsvorwürfen. 1997 heiratete Allen Farrows Adoptivtochter, die 35 Jahre jüngere Soon-Yi Previn.
Der Stadtneurotiker ist wohl der »ultimative« Allen-Film: eine melancholische Komödie, in der es auf sehr erwachsene Art um Liebe und Beziehungen und das Leben im Allgemeinen geht. Eine Sorte Film, die Hollywood heute kaum mehr macht, die Allen aber mit stets lebensnaher Widersprüchlichkeit nahezu endlos zu variieren wusste. Am Anfang des Stadtneurotikers gib es einen typischen Allen-Witz über das Leben: »Es ist voller Misere, Einsamkeit, Leiden – und dann ist es viel zu schnell vorbei.«