USA

Ein Pass für alle Fälle

Im November 2016, als Donald Trump die Mehrheit bei der US-Präsidentschaftswahl erhielt, beantragten 124 Amerikaner den deutschen Pass. Im März 2017 waren es bereits 235. Foto: Thinkstock

Linda Heuman ist Mitarbeiterin beim amerikanischen Buddhismus-Magazin »Tricycle«. An der Brown University im Bundesstaat Rhode Island befasst sie sich mit dem Thema Religion. Vor wenigen Monaten hat Heuman die deutsche Staatsangehörigkeit erworben.

Es ging dabei um ihre Familiengeschichte und um Verfolgung. Lindas Vater Rolf Heumann ist jüdisch, zusammen mit seiner Schwester Lotte gelangte er im Januar 1939 mit einem Kindertransport von Bielefeld nach Holland und später mit seinen Eltern in die USA. Rolfs Großvater Samuel Heumann wurde mit seinem Sohn Rudolf und Schwiegertochter Regina im April 1943 nach Sobibor verschleppt und ermordet.

Grundgesetz Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, Artikel 116, ist eindeutig: »Frühere deutsche Staatsangehörige, denen zwischen dem 30. Januar 1933 und dem 8. Mai 1945 die Staatsangehörigkeit aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen entzogen worden ist, und ihre Abkömmlinge sind auf Antrag wiedereinzubürgern.«

Das Antragsformular umfasst zwei Seiten. Gefragt wird unter anderem nach dem letzten Wohnsitz in Deutschland, vorgelegt werden müssen Geburts- und Heiratsurkunden sowie sonstige Dokumente, »aus denen die frühere deutsche Staatsangehörigkeit und der jüdische Glaube hervorgehen«, so das Merkblatt des Bundesverwaltungsamts.

Jüdische Amerikaner haben lange Zeit nur begrenzt von dieser Regelung Gebrauch gemacht. Seit Donald Trumps Wahlsieg wächst das Interesse. Schätzungsweise drei Viertel der jüdischen Wähler haben für Hillary Clinton gestimmt. Trump weckt bei vielen offenbar Ängste. Er hetzt gegen »andere«, antisemitische Vorfälle nehmen zu.

Das jüdische Interesse an der deutschen Staatsbürgerschaft stößt auf ein starkes Medienecho. Offenbar fasziniert der Trend. Die Deutsche Welle berichtete jüngst unter Berufung auf das deutsche Konsulat in New York, die Zahl der Antragsteller in der Stadt habe 2014 und 2015 noch rund 60 pro Jahr betragen – doch allein im November 2016, dem Monat, in dem Trump zum Präsidenten gewählt wurde, beantragten 124 Amerikaner den deutschen Pass, und im März 2017 waren es gar 235.

Rechtsbeistand Der New Yorker Anwalt David Young befasst sich mit manchen dieser Anträge. Vor Trump seien in seiner Kanzlei Anfragen um Rechtsbeistand zur Wiedereinbürgerung selten gewesen. Doch allein im Juni habe er acht Anrufe erhalten. Mandanten, die über ihre Beweggründe sprechen, erwähnten geradezu einstimmig Donald Trump. Das sei anscheinend auch eine Frage der Generation, sagt Young.

Joshua Dahlerbruch, Student in Philadelphia, kennt diese Problemlage. Sein 82-jähriger Großvater Stefan sei absolut dagegen gewesen. »Mein Beileid«, habe er kondoliert, als der Enkel von seinem Plan erzählte, den deutschen Pass zu beantragen. Der Großvater musste 1938 als Kind mit seinen Eltern aus Deutschland fliehen und wanderte in die USA aus.

Joshua, politisch links stehend, begann mit der Antragstellung während des Präsidentschaftswahlkampfs. »Ich dachte niemals, dass Trump gewinnen würde«, sagt der junge Mann, doch »Teil meiner jüdischen Erziehung war die Lehre, dass man immer einen Notplan haben sollte«.

Die Republikaner seien jetzt »die durchgedrehte Partei«, und, ganz praktisch, mit dem deutschen Pass könne er in ganz Europa studieren. Er habe seinen Antrag im August 2016 gestellt und die Staatsbürgerschaft vier Wochen später bekommen. Linda Heuman sagt, Trumps Wahlsieg sei der Auslöser für ihren Antrag gewesen, und der in seinem Wahlkampf zutage tretende Hass. »Das war nicht unbedingt logisch, doch ich musste einen Ort finden, wohin ich notfalls gehen konnte.«

einbürgerung Im Konsulat in Boston habe sie den Antrag gestellt. Etwas seltsam sei das schon gewesen, sagt sie. Während sie die Geschichte ihrer Familie erzählte, stand am Schalter neben ihr jemand, »der einfach nur einen neuen Pass brauchte«. Einige Wochen später veranstaltete das Konsulat eine würdige Feier zur Übergabe der Einbürgerungsurkunde. Für Heuman schloss sich damit ein Kreis zum Leben ihres Vaters.

Über Deutschland habe man in ihrem Elternhaus kaum gesprochen, sagt sie. Sie wusste, »dass er aus Deutschland kam und dass da irgendetwas war«. Wenn ihr Vater andeutungsweise etwas darüber sagte, dann »ohne Emotionen«, so, als ob das alles »no big deal« gewesen sei. Heute vermutet sie, dass der Vater nichts gesagt hat, weil die Erinnerungen traumatisch waren.

Heuman wuchs in Amerika als Methodistin auf. Ihre Mutter sei Methodistin gewesen, und so sei ihr Vater dann eben auch zur Kirche gegangen.

Familiengeschichte Karen Sime ist Insektenforscherin an der State University of New York. Vor gut zwei Jahren brachte ihre Mutter Ruth Lewin Sime sie auf die Idee, die deutsche Staatsbürgerschaft zu beantragen. Ihre Familie sei »irgendwie sehr deutsch«, erzählt Karen. Sie selbst studierte 2001 in Jena.

Nach Trumps Wahlsieg schrieb Sime einen Teil ihrer Familiengeschichte in einem Blog nieder: »Ich schreibe als Nachfahrin von Flüchtlingen.« Ihre Großmutter Gerda Bruno stammte aus Hamburg und kam 1934 in die USA. Sie hatte Medizin studiert. Doch für eine jüdische Frauenärztin gab es in Deutschland keine Perspektive. Also wanderte die junge Frau aus.

Drei Jahre später, 1937, reiste sie nach Hamburg zurück, um ihre Verwandten dazu zu bewegen, Deutschland zu verlassen. Das sei schwierig gewesen, besonders für ältere Menschen. Anders als in Amerika bekamen sie in Deutschland eine Rente, ihre Angehörigen waren Deutsche, und Hamburg war ihre Heimat.

yad vashem Gerda Brunos Mutter Frieda und deren Schwester Ilse folgten ihr nach New York, ihre Tante Harriet Peyser nicht. In der Jerusalemer Schoa-Gedenkstätte Yad Vashem erfuhr Sime von Harriets Schicksal: Sie wurde im Dezember 1941 mit Hunderten Hamburger Juden in das Lager Jungfernhof in der Nähe von Riga deportiert und, vermutlich kurz nach ihrer Ankunft, ermordet.

Dass Amerikaner, die dieser Tage einen deutschen Pass beantragen, tatsächlich auswandern wollen, hört man kaum. Sie könne sehr wohl unterscheiden zwischen »wirklicher Verfolgung und dem Gefühl, verfolgt zu werden«, sagt Sime. Mit dem Antrag auf die deutsche Staatsbürgerschaft ehre sie ihre Großeltern. Sollte der Antrag und der ihrer Kinder bewilligt werden, hätten sie jetzt einen Notfallplan. Das beruhigt.

Spanien

Valencia: Jüdische Jugendliche aus Flugzeug geworfen

Mitglieder der Reisegruppe sagen, sie seien herausgeworfen worden, obwohl sie sich ordnungsgemäß verhalten hätten. Die Fluggesellschaft wirft den Jugendlichen vor, die Sicherheitsunterweisung gestört zu haben

von Michael Thaidigsmann  24.07.2025

Urlaub

Jüdische Entdeckungen

Wem beim Lesen am Strand langweilig wird, den erwarten in verschiedenen Ländern spannende wie schöne Überraschungen: Unsere Reisetipps aus der Redaktion

 24.07.2025

Michael Goldmann‑Gilead

Der Mann, der Eichmann verhörte

Er überlebte Auschwitz, den Todesmarsch – und war am wichtigsten Prozess der Nachkriegsgeschichte beteiligt. Diese Woche wird er 100 Jahre alt

von Esther Schapira, Georg M. Hafner  23.07.2025

Schweiz

Davos: Erneut jüdische Urlauber antisemitisch angefeindet

Ein Mann beleidigte und bespuckte gleich mehrere als Juden erkennbare Menschen in dem Schweizer Kurort

von Michael Thaidigsmann  23.07.2025

Geburtstag

Einziger jüdischer NASA-Chef: Dan Goldin wird 85

Als er Administrator der Raumfahrtbehörde wurde, wollte er alles »schneller, besser und billiger« hinkriegen. Denn Geldfresser bremsten die NASA

von Imanuel Marcus  23.07.2025

Medien

Groteske Unwahrheiten

Ein britischer Talkshow-Host sieht sich Rücktrittsforderungen ausgesetzt, nachdem er die Behauptung verbreitet hatte, an jüdischen Schulen werde gezielt Hass auf Araber gelehrt

von Michael Thaidigsmann  23.07.2025

Griechenland

Israelische Touristen können Schiff nicht verlassen

Der Landgang hunderter Urlauber auf der MS Crown Iris auf der Insel Syros wurde von israelfeindlichen Demonstranten vereitelt

 22.07.2025

Polen

Gewalt gegen Geschichte

Am Gedenktag in Jedwabne bedrohte ein rechtsextremer Mob die Teilnehmer. Die Umdeutung historischer Fakten alarmiert auch Yad Vashem

von Gabriele Lesser  22.07.2025

Tomorrowland

Vorwurf der Kriegsverbrechen: Israelis auf Festival verhaftet

Die belgische Staatsanwaltschaft hat zwei israelische Touristen verhört, die auf dem Techno-Festival die Fahne ihrer Armee-Einheit geschwenkt hatten

von Michael Thaidigsmann  21.07.2025