Österreich

Ein Münchner in Wien

Verrät sein junges Alter nicht: Rabbiner Schlomo Hofmeister Foto: JA

Österreich

Ein Münchner in Wien

Seit fast einem Jahr amtiert Rabbiner Schlomo Hofmeister an der Donau

von Alexia Weiss  15.03.2010 19:23 Uhr

Und was ist bei einem Brand? »Ich sehe, dass sich jemand selbst nicht mehr retten kann, aber ich weiß, dass ich wahrscheinlich auch dabei umkomme, wenn ich hier helfe. Was mache ich da?«, fragt eine Frau. Es ist Donnerstag, später Nachmittag. Schiur bei Rabbiner Schlomo Hofmeister. Auf dem Programm stehen ethische Fragen: Wann bin ich verpflichtet zu helfen? Wann ist es meine eigene Entscheidung, wann ist es mir verboten?

Der Rabbiner findet eine klare Antwort: »Ist das Risiko hoch, dass man selbst dabei umkommt, darf man nicht eingreifen, sondern muss anderweitig Hilfe holen. Das Leben ist heilig – man darf nicht das eigene Leben opfern, um ein anderes zu retten. Und hier würden wahrscheinlich dann statt einer Person zwei Menschen ums Leben kommen.«

Der Umgangston in diesem Schiur ist freundschaftlich, gefragt werden kann, was einem in den Sinn kommt. Als der Rabbiner das Problem eines Verunfallten mit verdrehtem Kopf zur Diskussion stellt, bei dem es eine 50-Prozent-Chance gibt, ihm das Leben zu retten, wenn man den Kopf zurückdreht, allerdings auch eine 50-Prozent-Möglichkeit, ihn dadurch zu töten, fragt ein 13-jähriger Jugendlicher, der eine Montessori-Schule besucht: »Aber was mache ich, wenn ich von solchen Statistiken nichts weiß?« Und: »Plagen mich dann nicht schreckliche Schuldgefühle, wenn ich das Falsche gemacht habe?« Solche Momente erforderten immer individuelles, spontanes Handeln, sagt der Rabbiner, und: »Mögen wir nie in diese Situation kommen. Wir reden hier vom Religionsgesetz.«

offenes Haus Seit fast einem Jahr steht Schlomo Hofmeister dem Wiener Oberrabbiner Paul Chaim Eisenberg als Gemeinderabbiner zur Seite. Er hat sich gut eingelebt und bereits viele Gemeindemitglieder kennengelernt. Dazu trägt auch bei, dass das Ehepaar Hofmeister sein Haus an jedem Schabbat öffnet. Willkommen sind alle – »von sehr religiös bis säkular«.

Hofmeister erhielt 2005 seine Smicha. Er gilt als der erste Rabbiner, der nach 1945 in Deutschland geboren und aufgewachsen ist. Befragt nach seiner persönlichen Ausrichtung innerhalb des Judentums, will sich der junge Mann, der sein Alter für sich behalten möchte, in keine Schublade pressen lassen. »Tora und Mizwes«, lautet seine Antwort.

Seine Vorfahren wurden vor Jahrhunderten aus Spanien vertrieben. Bevor sie in Deutschland sesshaft wurden, lebten sie mehrere Generationen lang in Wien. Den jungen Rabbiner hat es hierher gezogen, weil er nach Abschluss des Rabbinatsstudiums eine Stelle im deutschsprachigen Raum suchte. Wien schien ihm die Gemeinde »mit dem größten Zukunftspotenzial«, sagt er. Hier gebe es eine fast perfekte jüdische Infrastruktur, »die verschiedensten religiösen Ausprägungen und dazu ein großes säkular-kulturelles Angebot sowie eine Vielfalt an jüdischen Schulen«. Beeindruckend sei auch »die Präsenz namhafter Rabbiner innerhalb der Gemeinde«. Hier könne man sich austauschen.

Chlomo Hofmeister wurde in München geboren. Er lernte an verschiedenen Jeschiwot in England und Israel, studierte Sozialwissenschaften, Geschichte und Politik an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität sowie der University of British Columbia. Sein Studium an der London School of Economics schloss er 2002 mit dem Master ab.

Dann setzte er seine Rabbinatsstudien in Jerusalem fort, unter anderem am Rabbinerseminar Toras Schlomo von HaGaon HaRav Mosche Halberstamm sel. A., wo er mehrere Smichot erhielt, unter anderem von Rabbiner Awrohom Kopschitz und Rabbiner Mosche Sternbuch, dem Vorsitzenden des orthodoxen Rabbinatsgerichts von Jerusalem. Vor der Übersiedlung nach Wien war er leitender Direktor des Psalmenmuseums in Jerusalem.

Unterschiede Auch wenn Wien und München nicht weit voneinander entfernt liegen – der neue Gemeinderabbiner ortet durchaus Unterschiede zwischen dem Leben als Jude in Deutschland und dem Leben als Jude in Österreich. »In Deutschland gibt es eine relativ offene, tolerante und sich mit ihrer eigenen Geschichte konfrontierende nichtjüdische Gesellschaft, wodurch das jüdische Leben einen besonderen Stellenwert erhält. In Österreich ist das gesellschaftliche Geschichtsbewusstsein nur rudimentär vorhanden – und dennoch gibt es ein blühendes jüdisches Leben, sowohl religiös als auch kulturell.«

Das, was dem jungen Rabbiner in Wien, wenn er sichtbar als Jude unterwegs ist, immer wieder passiert, wäre in Deutschland allerdings undenkbar, sagt er. »Auf der Straße werde ich regelmäßig beschimpft, vor allem abends in der Seitenstettengasse in der Nähe des Stadttempels. Da gibt es auf Grund der Lokale auch immer wieder Betrunkene, die dann pöbeln.« Im September sei sogar eine Gruppe von Neonazis unterwegs gewesen, die Fahnen schwenkten und »Heil Hitler« riefen. Wie er dann reagiere? »Ich lasse es zu keiner Konfrontation kommen und gehe einfach weiter.« Das pulsierende Gemeindeleben bietet hier einen Kontrapunkt – und lässt auch den einjährigen Sohn Josef Zwi in einem aktiven jüdischen Umfeld aufwachsen.

Australien

Brandanschlag auf Auto eines Rabbiners in Melbourne

Kurz nach dem Terroranschlag am Bondi Beach geht im Süden Australiens ein Fahrzeug mit »Happy Chanukah!«-Schriftzug in Flammen auf

 25.12.2025

Australien

Mann solidarisiert sich mit Sydney-Attentätern – Festnahme

Bei dem Verdächtigen wurden Einkaufslisten für den Bau einer Bombe und Munition gefunden. Es erging bereits Anklage

 24.12.2025

Meinung

Die Columbia und der Antisemitismus

Ein neuer Bericht offenbart: An der US-Eliteuniversität sind die Nahoststudien ideologisch einseitig und jüdische Studenten nicht sicher. Es ist ein Befund, der ratlos macht

von Sarah Thalia Pines  22.12.2025

Frankreich

Jüdische Kinder vergiftet, aber Antisemitismus spielt keine Rolle

Ein Kindermädchen, das ihre jüdischen Arbeitgeber vergiftet hatte, wurde nun in Nanterre verurteilt - allerdings spielte ihr Antisemitismus im Urteil keine Rolle. Das sorgt für Protest

 22.12.2025

Australien

Gedenken am Bondi Beach – Forderung nach Aufklärung

Kerzen, Schweigen, Applaus und Buh-Rufe: Am Strand in Sydney trauern Tausende um die Opfer des Anschlags. Was die jüdische Gemeinde und Australiens Politik jetzt fordern

 22.12.2025

Belgien

IS droht mit Anschlägen auf Synagogen und Kirchen

Die Hintergründe

 18.12.2025

Sydney

Jüdische Bäckerei schließt wegen Antisemitismus

Nach Jahren der Anfeindungen und dem schwersten antisemitischen Anschlag auf australischem Boden hat eine beliebte jüdische Bäckerei für immer geschlossen

 18.12.2025

Strassburg

Glühwein und Kippa

In der selbst ernannten »Weihnachtshauptstadt« lebt eine traditionsbewusste jüdische Gemeinde. Wie passt das zusammen? Eine Reise zu koscheren Plätzchen und Pralinen mit »Jahresendgeschmack«

von Mascha Malburg  23.12.2025 Aktualisiert

Meinung

Weitermachen oder die jüdische Resilienz

Verfolgung, Exil und Gewalt konnten es nicht brechen: Die Widerstandsfähigkeit des jüdischen Volkes prägt seine Geschichte bis heute

von Nicole Dreyfus  18.12.2025