Genuss

Ein ganz besonderer Tropfen

Der 2016er-Riesling aus dem Ockfener Bockstein war der letzte seiner Art. Vorerst zumindest. Dennoch bereut Moselwinzer Nik Weis seinen kurzen Ausflug in die Welt des koscheren Weins nicht. Er schließt auch nicht aus, irgendwann erneut einen solchen zu keltern.

Beziehungsweise keltern zu lassen, denn die koschere Version des Bockstein wurde von einem Team unter Leitung des Luxemburger Rabbiners Mendel Edelman gekeltert. Weis und sein Team durften nur von Weitem zuschauen. Koscherer Wein darf nach den Gesetzen der Kaschrut nur von Juden, die den Schabbat einhalten, »angefasst« werden.

Der Aufwand habe am Ende in keinem Verhältnis mehr zum Ertrag gestanden, sagt Weis. Die Menge koscheren Weins, die er absetzen konnte, war verschwindend gering.

INITIATIVE Auch beim Weingut Wirsching im fränkischen Iphofen ist das ein Problem. Andrea Wirsching war mit Nik Weis und Max von Kunow vom Weingut Hövel an der Saar die Dritte, die in der vor zehn Jahren gegründeten Vereinigung Gefen HaShalom (deutsch: Rebe des Friedens) koscheren Prädikatswein aus deutschen Landen herstellen wollte. Jetzt ist Wirsching die Letzte, die noch übrig ist, auch wenn neuerdings mit dem Staatsweingut Weinsberg in Württemberg ein zweiter deutscher Betrieb koscheren Wein produziert.

Wirsching will trotz schwieriger Rahmenbedingungen weitermachen. Ihr koscherer Silvaner wird ebenfalls von Edelman sowie von dem Hamburger Rabbiner Shlomo Bistritzky gekeltert, die jeweils von weit her anreisen müssen, wenn im Keller etwas zu tun ist. Sie respektiere aber die besonderen Regeln für die Zubereitung koscheren Weins, sagt Wirsching. Regeln seien nun mal Regeln, da gebe es nichts zu hinterfragen.

Jüngere nichtjüdische Amerikaner mögen koscheren Wein vor allem deshalb, weil er vegan ist.

Wie viele andere Winzer in Europa verkauft Wirsching einen Großteil des im traditionellen Bocksbeutel abgefüllten Silvaners in die Vereinigten Staaten, nach New York. Dort erlebt koscherer Wein seit einigen Jahren einen kleinen Boom, und das nicht nur unter orthodoxen Juden. Auch Nichtjuden greifen mittlerweile zu, wenn sie das Koschersiegel auf den Flaschen sehen, denn koschere Weine sind immer auch vegan, tierische Produkte wie Eiweiß zur Klärung des Safts dürfen nicht verwendet werden. Das kommt vor allem bei jüngerem Publikum gut an.

Aber Wirsching ist sich der Herausforderungen bewusst. Die Gewinnspanne bei koscher sei minimal bis nicht vorhanden, der wichtigste Abnehmer, ein Urologe in den USA, der im Nebenberuf ein Weingeschäft betreibt, verhandle sehr hart. »Manchmal ruft er mich aus dem OP an, mit einer grünen Haube auf dem Kopf, und wir verhandeln über den Preis.« Sie ziehe dabei meist den Kürzeren, sagt Wirsching auf der Düsseldorfer Weinmesse ProWein. Aber sie schmunzelt, als sie das erzählt. »Ich mag den Ralph trotzdem sehr.«

MEWUSCHAL 20 Euro kostet eine Flasche des koscheren 2021er Iphöfer Silvaners in Wirschings Online-Shop. Für weniger als die Hälfte gibt es das nichtkoschere Pendant, für das nicht Rabbiner, sondern Andrea Wirsching und ihre Mannschaft verantwortlich zeichnen. Der einzige nennenswerte Unterschied neben dem Preis ist der Koscherstempel, der auf dem Rücketikett prangt. Geschmacklich sind sich die Gewächse ähnlich. Das liegt auch daran, dass Wirschings koscherer Silvaner nicht »mewuschal« ist, also vor dem Abfüllen nicht erhitzt wurde. »So etwas würde nicht zu unserem Anspruch als Premiumweingut passen«, betont die Winzerin. Beim Erhitzen verlöre der Wein zu viele Aromen.

In Frankreich, das die größte jüdische Gemeinschaft Europas beheimatet, ist koscherer Wein längst nichts Seltenes mehr. In der Champagne produzieren gleich mehrere Häuser koschere Schaumweine. Auch Vranken-Pommery stellt jährlich rund 20.000 Flaschen her.

Bei einer Jahresproduktion von 20 Millionen Flaschen wirkt sich das zwar kaum auf den Umsatz aus, und nur die wenigsten Flaschen des koscheren Champagners würden im Inland abgesetzt, erläutert Marketingchefin Nathalie Vrancken auf der ProWein. »Aber unser Pommery ist sehr begehrt in der jüdischen Gemeinschaft«. Die Herstellung der beiden Cuvées geschehe in Eigenverantwortung eines jüdischen Teams aus Paris, das sich auch um den Vertrieb kümmere. Ob und wie viel koscherer Champagner gekeltert werde, entscheide somit letztlich nicht ihr Unternehmen, sondern der Abnehmer, so Vrancken.

schampus Alain Sacy, Chef von Louis de Sacy in Verzy bei Reims, arbeitet für seinen koscheren Schampus mit örtlichen Rabbinern zusammen. Das Projekt »koscherer Champagner« habe er zusammen mit Haïm Korsia begonnen, einst Rabbiner in Reims und mittlerweile Oberrabbiner von Frankreich. »Ich bin auf ihn zugegangen und habe gefragt, ob er Lust dazu hätte. Er hat sofort geantwortet: ›Warum nicht?‹«

Sacy vermutet, dass er der einzige Jude im koscheren Champagnergeschäft sei. 10.000 Flaschen von seinem »Grand Cru Brut Kasher« verkauft er pro Jahr, das meiste davon nach Übersee. Im Laden kostet eine Flasche gut 50 Euro. Der Champagner ist mewuschal, schmeckt aber keineswegs schal, sondern durchaus lecker. Doch Sacy hat auch deutlich günstigere, nichtkoschere Gewächse wie den betörenden Rosé de Saignée im Sortiment. Sie verweisen seinen koscheren Champagner geschmacklich klar auf die Plätze.

Auf der ProWein teilte sich Sacy den Messestand mit dem Weingut Bunan aus der Provence, das ebenfalls koscheren Wein macht. Das Bemerkenswerte daran: Dank einer Mischkalkulation sind die koscheren Vertreter nur unwesentlich teurer als die übrigen Gewächse.

STIL Überall auf der Welt wird neuerdings koscherer Qualitätswein gekeltert, die Auswahl wird immer größer. Das südafrikanische Weingut Backsberg stellte in Düsseldorf gleich zwölf verschiedene Cuvées vor, in Weiß und Rot und in verschiedenen Stilrichtungen. 1500 Kisten à zwölf Flaschen werden davon jährlich verkauft. Aus Argentinien kommt ein als koscher und biologisch zertifizierter Malbec der Domaine Bouschet. Und in den italienischen Abruzzen keltert Passione Natura einen preiswerten, feinfruchtigen koscheren Montepulciano.

Selbst in der kriegsgeplagten Ukraine werden koschere Tropfen produziert: Das Château Chizay, nahe der Grenze zur Slowakei und zu Ungarn gelegen, bietet gleich vier Cuvées an, einen weißen Süßwein und drei Rote. In Deutschland wird ukrainischer Wein bislang nicht verkauft, aber das könnte sich bald ändern.

Schon lange auf der größten deutschen Weinmesse vertreten sind israelische Weingüter. Bei den allermeisten ist das komplette Portfolio koscher. Fragen nach der Bedeutung des Siegels für die Vermarktung ihrer Weine weisen sie fast ein wenig irritiert zurück. Ihr Anspruch sei es, herausragende Qualität zu produzieren, betonen sie unisono. Das ist auch logisch, denn Zielpublikum für israelische Topweine sind Weinliebhaber in Israel und in aller Welt. Den meisten von ihnen ist der Geschmack wichtiger als die Kaschrut.

trend Beliebt sind in Israel weiterhin internationale Rebsorten wie Syrah oder Merlot. Sie fallen in der glühenden Sonne des Mittelmeerraums naturgemäß recht alkoholstark aus. Das liegt auch daran, dass viele israelische Winzer dem lange Zeit angesagten Trend der schweren, holzbetonten Rotweine noch nicht abgeschworen haben. Die Premium-Cuvées von Weingütern wie Galil Mountain oder der Golan Heights Winery werden weiterhin in neuen Eichenfässern ausgebaut. Sie kommen dementsprechend mächtig und gerbstoffreich daher.

Sogar in der Ukraine werden koschere Weine produziert.

Einen anderen Weg geht Lenny Recanati, Besitzer des von ihm im Jahr 2000 gegründeten gleichnamigen Weinguts im Norden Israels. Er setzt auf leichtere, samtig-frische Weine und auf einheimische Rebsorten wie den Bittuni. Einen Teil der Trauben für diesen für israelische Verhältnisse ungewöhnlichen Rotwein, der nur zwölf Prozent Alkohol aufweist, bezieht er von einem palästinensischen Winzer im südlichen Westjordanland.

Koscher sei der Wein trotzdem, sagt Lenny Recanati, denn die Trauben würden gekühlt mit Lastwagen ins Weingut gebracht und dort von orthodoxen Juden weiterverarbeitet. Das Koschersiegel sei ihm gar nicht so wichtig, macht Recanati deutlich. Er will mit dem Geschmack und nicht dem Etikett punkten. Mit dem Bittuni und anderen Gewächsen gelingt ihm das. Günstig sind die Recanati-Tropfen jedoch nicht. In Europa muss man für eine Flasche Bittuni rund 35 Euro berappen.

KRITIKER Auch in Südfrankreich, Italien und Spanien werden koschere Weine erzeugt. Marktführer auf der iberischen Halbinsel ist seit Langem der »Peraj Ha’abib« von der katalonischen Kellerei Celler de Capçanes. Der mächtige, aber sehr seidige und tiefgründige Rote aus den Rebsorten Cabernet Sauvignon, Cariñena und Garnacha Negra fährt seit 1995 regelmäßig Preise und Auszeichnungen ein. So gab der renommierte Weinkritiker James Suckling dem 2018er-Jahrgang 95 von 100 Punkten und beschrieb ihn so: »Tiefrot, reife Brombeeren und Blaubeeren mit einem Hauch von Orangenschalen und schwarzem Tee, feste, runde und polierte Tannine, schmackhafter Abgang.«

Im Celler de Capçanes hat seit vielen Jahren der deutsche Önologe Jürgen Wagner das Sagen. Bei der Herstellung koscherer Weine muss sich aber auch er im Hintergrund halten, die Rabbiner aus Barcelona geben den Ton an. Wagner darf noch nicht einmal einen Blick auf das Fass werfen, in dem sich der Most befindet. Dennoch steht er voll und ganz hinter der Idee, koscheren Wein in einem Land herzustellen, in dem heute nur noch wenige Juden leben. Dass der »Peraj Ha’abib« von einer Genossenschaft erzeugt wird, ist schon erstaunlich genug. Noch erstaunlicher ist, dass der Celler de Capçanes gleich eine Handvoll koscherer Weine im Programm hat und fast ein Fünftel des Umsatzes mit dem Verkauf dieser Tropfen macht.

Man braucht trotzdem kein Prophet zu sein, um vorherzusagen: Koscherer Wein wird weiterhin ein Nischenprodukt bleiben. Aber die letzten Jahre haben gezeigt, dass viele Gewächse qualitativ durchaus mithalten können mit der nichtkoscheren Konkurrenz. Nur noch nicht beim Preis.

(Mitarbeit: Jacques Abramowicz)

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