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Drahtseilakt

Rosenthal will sich nicht einschränken lassen und all ihre Facetten ausleben. Foto: Birgit Buchart

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Die Influencerin Jo Rosenthal trennt zwischen Privatem und Öffentlichem – aus gutem Grund

von Birgit Buchart  26.10.2023 14:29 Uhr

Mal als Schriftstellerin oder Bäckerin, mal als Künstlerin, Stylistin oder Liebhaberin: So unterschiedlich zeigt sich Jo Rosenthal auf ihrem Instagram-Profil, der Visitenkarte der Millennial-Generation. Morgen schon könnte diese Beschreibung wieder ganz andere Züge tragen. Neben Glamour und Facettenreichtum ist Rosenthal aber vor allem eines wichtig, und zwar Flexibilität.

Online ist sie ein It-Girl, offline dagegen beliefert Rosenthal Holocaust-Überlebende mit Essen. In ihrer Traumstadt New York hat sie sich ein Leben eingerichtet, das genau auf ihre Persönlichkeit zugeschnitten ist: bunt, Patchwork und oversized.

Bikinis und Bodybuilder

Rosenthal wuchs in Miami Beach im US-Bundesstaat Florida auf – eine Gegend, die geprägt ist von Bikinis und Bodybuildern, in der sie aber nie so richtig ihren Platz finden sollte. Ausflüge nach New York, der Heimat ihrer Eltern, sollten Ausgangspunkt für die willkommene Flucht in eine Welt sein, in der sich viele niedergelassen haben, die wie Rosenthal mit Zugehörigkeit zu kämpfen haben.

»Sich zu fühlen, als würde man nicht dazu passen, gibt einem in New York das Gefühl, dazu zu passen, weil sich hier eigentlich jeder so fühlt«, glaubt sie. Man müsse die Menschen in New York nur beobachten, erklärt sie lachend. »Jeder stellt sich ständig die Frage: Wer bin ich eigentlich? Es tut gut zu wissen, dass wir alle dieses Gefühl gemein haben.«

Rosenthal will sich nicht festlegen – weder auf einen Stil noch auf einen Karriereweg.

Die Frage der Identität ist omnipräsent, eine definitive Antwort will sie aber nicht finden oder geben. »Manchmal sehe ich einen Film, zum Beispiel ›Natürlich blond‹, und entscheide danach, Anwältin zu werden«, resümiert Rosenthal. »Ich wache gerne morgens auf, werfe alle Bedenken über Bord und freue mich, dass ich nicht weiß, was die Zukunft bringt. Das macht mich offen für Gelegenheiten, die sich mir präsentieren.«

Vor Kurzem überkam sie beispielsweise eine Welle der Inspiration, ihr Badezimmer mit ausgeschnittenen Gemüsebildern zu bekleben. »Vielleicht mache ich ab sofort Tapeten und werde Innenarchitektin.« Für den Moment liegt ihr Fokus auf dem Schreiben. Seit einiger Zeit pflegt sie eine Substack-Kolumne, in der sie ihr Leben und ihre Erfahrungen von ersten Dates bis zu endenden Freundschaften mit ihren Lesern und Leserinnen teilt.

In ihrem sozialen Umfeld ist sie dafür bekannt, aufwendige Torten zu backen. Das macht sie zumeist am späten Abend, bevor sie dann wieder frühmorgens – zum sprichwörtlichen Brötchen verdienen – echte Brötchen in der Backstube bäckt. Dass das Magazin »The Cut« sie Anfang des Jahres in die Liste der neuen Generation von It-Girls aufnahm, war für Rosenthal selbst eine Überraschung, aber auch irgendwie ein Kompliment – wobei auch ihr die Bedeutung des Titels ein Rätsel ist.

Katze Kimbo und Schildkröte George

Türen müssen offen bleiben und Gelegenheiten ergriffen werden – diese Grundeinstellung wird im Gespräch mit Rosenthal immer wieder Thema. So ist es auch keine große Überraschung, dass die 28-Jährige in den zehn Jahren New York bereits acht Mal umgezogen ist. Im Moment teilt sie sich mit Katze Kimbo und Schildkröte George ein Apartment in Williamsburg. Die Wohnung wirkt wie ein Abbild ihrer Instagram-Geschichten: Bücher stapeln sich, die Wände sind mit liebevollen Details verziert, und bunte, spannende Kleidungsstücke verzieren wie Kunstobjekte das Wohnzimmer.

Man fühlt sich ein wenig wie auf einem gut kuratierten Flohmarkt. Es gibt viel Unterschiedliches zu entdecken, und trotzdem passt alles irgendwie zusammen. Rosenthal will sich nicht festlegen – weder auf einen Stil noch auf einen Karriereweg. Aber vielleicht ist genau das ihre Marke. Bereits während ihres Studiums an der Parsons School of Design konnte sie sich nicht für ein Hauptfach entscheiden, also belegte sie kurzerhand zwei Hauptfächer, und zwar Bildende Kunst und Kreatives Schreiben sowie darüber hinaus Kunstgeschichte im Nebenfach.

Nach dem Abschluss landete Rosenthal bei dem Magazin »Nylon«, wo ihr nahegelegt wurde, sich einen Instagram-Account zu erstellen. Viele ihrer Kollegen und Kolleginnen hatten bereits eine gute Reichweite, und so wuchs auch Rosenthals Account rasant an. Die Posts der Anfangszeit sind mittlerweile längst ins Archiv verbannt, das It-Girl bezeichnet sie heute als »super peinlich«. Trotzdem weiß sie, dass ihre sozialen Medien-Darstellungen von damals ihr den Bekanntheitsgrad in der New Yorker Medienszene beschert haben, von dem sie heute zehrt.

Instagram als eine Art Ventil

Zu einer Zeit, in der Instagram lediglich dazu genutzt wurde, die schönen Seiten des Lebens zu präsentieren, versucht Rosenthal, die Plattform als eine Art Ventil zu nutzen. »Ich dachte mir, wenn es einen Grund gibt, soziale Medien zu benutzen, dann den, um sich weniger allein zu fühlen.« Trotzdem will sie sich heute sukzessiv von der Person, mit der sie sich im Alter von Anfang 20 bekannt gemacht hat, distanzieren.

»Ich bin immer noch eine sehr emotionale Person«, betont sie. »Aber ich habe meine Emotionen besser unter Kontrolle und verspüre einfach nicht mehr so stark den Drang, in den sozialen Medien Aufmerksamkeit zu generieren.« Anstatt Gefühle in die Welt hinauszuschicken und verbissen auf die Likes zu warten, verarbeitet sie heute lieber auf einem Spaziergang über die Williamsburg Bridge ihre Gedanken.

Rosenthal kennt all die Mechanismen auf Instagram: Man postet, um sich weniger allein zu fühlen, doch die Reaktionen anderer bewirken genau das Gegenteil. Sie wurde als Instagram-Persönlichkeit bekannt, doch der Plattform mangelt es eigentlich an Kapazität, ihre volle Persönlichkeit widerzuspiegeln.

Rosenthal kennt die sozialen Medien: Man postet, um sich weniger allein zu fühlen.

Ihr Bruder ist der Meinung, sie sollte ihren Account dafür nutzen, um ihre Kunst besser zu vermarkten. Ihre Freunde dagegen denken, sie müsse mehr von ihrem Humor preisgeben. Und der Algorithmus wiederum belohnt das Posten von Selfies und Model-Posen. Am Ende passen nicht alle Facetten eines Menschen auf Instagram, das weiß Rosenthal nur zu gut.

So erzählt sie von einer Freizeitaktivität, die sie noch nie auf Social Media thematisiert hat: ihrem ehrenamtlichen Engagement. Einmal wöchentlich liefert sie Essen an Holocaust-Überlebende aus. Rosenthal beschreibt diese Routine als einen wichtigen Teil ihres Lebens. Doch sie weiß ebenfalls, dass die Außenwirkung von Instagram so sehr auf der Selbstdarstellung basiert, dass man ihr das öffentlich Machen der ehrenamtlichen Arbeit als Inszenierung vorwerfen würde.

Es sei vor allem das Geschichtenerzählen, das ihr in dieser Sache so wichtig sei, das Zuhören und Bewahren all dieser Erlebnisse. Das ist eine persönliche und private Erfahrung, die auf Social Media nichts zu suchen habe. »Manche Dinge muss man nicht teilen«, ist sie überzeugt. »Ich brauche keine Reaktionen von Menschen auf Instagram auf etwas, das mir persönlich so wichtig ist.«

Rosenthal will sich nicht einschränken lassen und all ihre Facetten auf unterschiedliche Weise ausleben, und zwar so, wie sie es für richtig hält. Dabei spricht sie von ihrer »Online-Persönlichkeit« genauso wie von sich als freier Künstlerin und ehrgeiziger Arbeiterin. Vielleicht ist sie genau die Person, die Instagram braucht, um die Nutzer der App daran zu erinnern, dass spannende Persönlichkeiten über 15-Sekunden-Storys hinausgehen.

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