Türkei

Die Optimistin

Liz Behmoaras (1950–2025) war eine der wichtigsten Stimmen der jüdisch-türkischen Literatur. Foto: privat

Mit Liz Behmoaras ist eine der wichtigsten Stimmen der jüdisch-türkischen Literatur verstummt. In ihrem Werk hat die Autorin immer wieder die Situation von Juden in der Türkei thematisiert, die dieser Tage besonders beunruhigend ist.

Behmoaras wurde 1950 in Istanbul geboren und wuchs in einer Familie auf, die Bücher, Musik und Kunst liebte, und in der Französisch, Türkisch, Ladino und Griechisch gesprochen wurde. Das Leben in mehreren Sprachen und die Leidenschaft für die Literatur wurden ihr förmlich in die Wiege gelegt. Nach Abschluss des französischen Gymnasiums arbeitete sie zunächst als Übersetzerin und übertrug Werke wichtiger französischer Autoren ins Türkische, darunter Simone de Beauvoir und Paul Valéry. Von 1986 an betreute sie zehn Jahre lang den Kulturteil der ältesten jüdischen Wochenzeitung der Türkei, »Şalom«. Gleichzeitig schrieb sie auch für andere türkische und französische Medien.

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Ihre ersten Bücher versammelten Interviews, wie Yüzyıl Sonu Tanıklıkları (Zeugen vom Ende des Jahrhunderts), in dem sie Persönlichkeiten wie Amin Maalouf, Tahar Ben Jelloun, Jean Baudrillard und Umberto Eco zu ihrem Denken über Identität und die Rolle der Intellektuellen befragte. Ihr Ruhm als Autorin gründet vor allem auf ihren Biografien und biografischen Romanen über Menschen in der Übergangsphase vom Osmanischen Reich zur Republik Türkei Anfang des 20. Jahrhunderts.

Sowohl ihr erster Roman Kimsin Jak Samanon (Wer bist du, Jak Samonon) über das Schicksal ihrer Vorfahren als auch Bir Kimlik ArayıŞının Hikayesi (Die Geschichte einer Identitätssuche) über das Leben des jüdischen Journalisten und Politikers Munis Tekinalp, der als Moiz Kohen geboren wurde, behandeln die Widersprüchlichkeit dieser Ära für Juden: den Wunsch, als gleichberechtigte Bürger anerkannt zu werden auf der einen Seite und die Erfahrung der Ausgrenzung auf der anderen Seite. Kohen war türkischer Nationalist, hatte seinen Namen türkisiert und innerhalb der jüdischen Gemeinschaft die völlige sprachliche und kulturelle Assimilation propagiert, doch von türkischer Seite dennoch immer wieder Ausgrenzung und Diskriminierung erfahren.

Behmoaras bekanntestes Werk ist die Biografie von Suat DerviŞ, einer kämpferischen, avantgardistischen türkischen Journalistin, die zu Beginn der 30er-Jahre auch einige Jahre in Berlin lebte, wo sie für deutsche Medien schrieb und den Aufstieg des Faschismus miterlebte. Das Buch Efsane bir kadın ve dönemi (Eine sagenhafte Frau und ihre Zeit) hat dazu beigetragen, dass DerviŞ jüngst wiederentdeckt wurde. Auch erwähnt werden muss der Roman Lale Pudding Shop von 2020, der ein in Deutschland völlig unbekanntes Bild der Türkei zeichnet. Besagter Puddingshop war Ende der 60er-Jahre ein Ort, wo europäische Hippies auf dem Weg nach Katmandu die aufbrechende 68er-Generation der Türkei trafen und sich über ihre Träume von einer besseren Zukunft austauschten.

Forderung, türkischen Juden die Staatsbürgerschaft zu entziehen

Im deutschsprachigen Raum ist Behmoaras kaum bekannt. Bislang wurde lediglich ein Text für den von der Landeszentrale für politische Bildung veröffentlichten Sammelband Antisemitismus in und aus der Türkei übersetzt. In »Begegnet man Juden in der türkischen Literatur« resümiert sie das Bild, das die bekanntesten türkischen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts in ihren Werken vermitteln. Ihr Fazit ist deprimierend, denn auch engagierte Demokraten wie Aziz Nesin oder Çetin Altan transportierten altbekannte antisemitische Klischees. Doch endete Behmoaras ihren Beitrag mit Optimismus: »Hoffen wir, dass sich Negativbeispiele wie diese in Zukunft nicht fortsetzen und Artikel wie dieser nicht mehr nötig sein werden.«

Die aktuelle Situation in der Türkei gibt allerdings wenig Anlass zur Hoffnung. Antisemitismus ist seit Jahren ein weit verbreitetes Phänomen. Politiker und Aktivisten verschiedener Lager diffamieren einander als »Marionetten jüdischer Kreise«, beliebte Unterhaltungsserien im Fernsehen tragen Antisemitismus in türkische Wohnzimmer, und einer der einflussreichsten Vordenker des türkischen Antisemitismus – Necip Fazıl Kısakürek – wird von Staatspräsident Erdoğan zum Nationaldichter gekürt.

Seit dem Hamas-Angriff vom 7. Oktober 2023 zeigt sich der Antisemitismus in der Türkei noch aggressiver: Kurz darauf titelte die regierungsnahe Tageszeitung »Yeni Şafak«: »Die Welt muss dieses Virus (die Juden) auslöschen«. Drohungen gegen Juden häufen sich. Synagogen wurden mit Aufschriften »katil« (Mörder) oder blut­roten Handabdrücken geschändet, und mehrere islamistische Zeitungen forderten, türkischen Juden die Staatsangehörigkeit zu entziehen.

Tausende Juden haben in den vergangenen Jahren das Land verlassen.

In diesem antisemitischen Klima versuchen viele Juden, sich möglichst unsichtbar zu machen, öffentliche Veranstaltungen der jüdischen Gemeinschaft finden nicht statt. Tausende haben in den vergangenen Jahren das Land verlassen. Grund hierfür sind neben der antisemitischen Hetze auch die repressive politische Situation und die andauernde Wirtschaftskrise. Die Zahl der in der Türkei verbliebenen Juden liegt inzwischen unter 10.000.

Auch Behmoarasʼ Söhne leben im Ausland. Sie aber blieb und arbeitete weiter – auch als sie schon gegen die Krebserkrankung kämpfte. Ihr letztes Buch, eine Biografie der Journalistin Azra Erhat, erschien im Oktober 2024 unter dem Titel Küçük dev kadın (Kleine gigantische Frau), der dazugehörige Podcast zehn Tage vor ihrem Tod.

Es bleibt zu hoffen, dass wenigstens einige ihrer Werke endlich ihren Weg zum deutschsprachigen Leser finden.

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