Ungarn

Die etwas andere Ratspräsidentschaft

Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán bei der Eröffnung einer Synagoge bei einem Regierungsbesuch in Serbien Foto: picture alliance / AA

Vielen Menschen in Europa bereitet es Sorge, dass Ungarn die rotierende Ratspräsidentschaft der Europäischen Union seit Anfang Juli innehat. Schließlich gerät Viktor Orbáns Regierung immer wieder mit Brüssel aneinander, sei es wegen ihrer offenen Nähe zum Kreml oder Aussetzern bei der Ukraine- und Flüchtlingspolitik. Sowohl im Politalltag als auch in der Presse kommt es immer wieder zu judenfeindlichen Äußerungen.

In den Regierungskampagnen gegen den ungarisch-amerikanischen Philanthropen George Soros sind antisemitische Untertöne zu hören. Fidesz-Mitgründer Zsolt Bayer, ein offen antisemitischer Publizist, wird hofiert, und der nationalsozialistisch gesinnte, früher verbotene Schriftsteller Albert Wass wurde in den Lehrplan aufgenommen.

Auch der Blick zurück hilft wenig: Ungarn hatte als erstes Land Europas bereits 1920, noch vor den Nationalsozialisten, ein antijüdisches Gesetz erlassen, einen Numerus clausus für jüdische Studenten. Im Jahr 1944 wurde der Großteil der Juden innerhalb von knapp zwei Monaten von den ungarischen Behörden in die deutschen Todeslager verschleppt.

Ungarn ist derzeit für Juden eines der sichersten Länder des Kontinents.

Doch trotz all dieser Beispiele ist Ungarn derzeit für Juden eines der sichersten Länder des Kontinents. Ungarische Juden berichten, dass man sich mit Kippa oder Pejes zeigen könne, ohne Gefahr zu laufen, angegriffen zu werden. Natürlich gebe es Antisemitismus, wie überall sonst auch, aber die meisten jüdischen Einrichtungen wie Synagogen, Schulen, Klubs und Theater müssten nicht von der Polizei bewacht werden, im Gegensatz zur Situation in anderen Ländern wie Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Belgien.

Und da ist noch mehr: Die Bekämpfung des Antisemitismus und die Förderung jüdischen Lebens gehören zu den Schwerpunktthemen der ungarischen Amtsperiode. Deren Vorbereitung hat bereits vor mehr als zwölf Monaten begonnen. Mit den vorherigen Präsidentschaftsländern Spanien und Belgien hatte Ungarn eine Trio-Präsidentschaft gebildet und das Programm diskutiert, das anschließend mit den anderen Mitgliedsstaaten koordiniert wurde. Im Vorfeld fanden deshalb auch Gespräche mit Vertretern der jüdischen Gemeinden vor Ort statt.

Eine Sitzung im September soll sich auf die bisherige Umsetzung der europäischen Strategie zur Bekämpfung des Antisemitismus und zur Förderung des jüdischen Lebens konzentrieren und gleichzeitig den 80. Jahrestag des Gedenkens an den Holocaust in Ungarn begehen. Im Oktober dann findet in Budapest die nächste Sitzung der Arbeitsgruppe der EU-Kommission zur Bekämpfung des Antisemitismus statt, und gegen Ende des Jahres ist in der Ständigen Vertretung Ungarns bei der EU ein Forum zur Sicherheit der jüdischen Gemeinschaft geplant.

Schutz und Förderung jüdischen Lebens

Schließlich soll eine Erklärung des Rates zum »Schutz und zur Förderung jüdischen Lebens« verabschiedet werden, die sich vor allem mit der Bekämpfung antisemitischer Äußerungen, Hassrede im Internet und der Notwendigkeit, das Bewusstsein für den Holocaust aufrechtzuerhalten, befasst. Darüber soll am 15. Oktober beim Rat für Allgemeine Angelegenheiten mit den Mitgliedstaaten abgestimmt werden.

Der Verband der Ungarischen Jüdischen Gemeinden begrüßt die Vorhaben der Regierung. »Der Staat fördert jüdisches Leben, somit kann die drittgrößte jüdische Gemeinde Europas ihre Identität frei leben«, sagt Präsident Andor Grósz erfreut. Und auch der Präsident des Europäischen Jüdischen Kongresses befürwortet die Initiative: »Budapest hat den alarmierenden Anstieg des Antisemitismus nach den Hamas-Massakern vom 7. Oktober 2023 ernst genommen. Die Solidarität mit den jüdischen Gemeinden ist beispielhaft«, so Ariel Muzicant. »Wir begrüßen das Engagement und freuen uns auf weitere Fortschritte bei der Stärkung der Sicherheit der jüdischen Gemeinden während der ungarischen Ratspräsidentschaft.«

»Wir haben eine historische Verantwortung, die wir immer wieder betonen«, sagte Péter Sztáray, Staatssekretär für Sicherheitspolitik im ungarischen Außen- und Handelsministerium, im Gespräch mit der Jüdischen Allgemeinen. In Europa gebe es bereits viel Positives zu vermelden, aber weitere Anstrengungen seien nötig. So wären in einigen Ländern grundlegende jüdische Bräuche wie das Schächten verboten worden, oder es gebe Diskussionen über das Thema Beschneidung.

»Stark antisemitische und terroristische Sprache«

Zur aktuellen anti-israelischen Stimmung, in der sich regelmäßig blanker Antisemitismus Bahn bricht, sagte er, dass die sogenannten propalästinensischen Kundgebungen eingeschränkt werden sollten. »Bei Demons­trationen, die sich für die Menschenrechte der Palästinenser einsetzen, wird unter diesem Vorwand eine stark antisemitische und terroristische Sprache verwendet. Das geht unserer Meinung nach weit über die Meinungsfreiheit hinaus«, so Sztáray. Das mache dem europäischen Judentum vielerorts das Leben sehr schwer. »Und wer sonst, wenn nicht die EU, sollte die Organisation sein, die sich dieser Probleme annimmt.«

Man wolle die Ratspräsidentschaft auch dazu nutzen, engere Beziehungen zwischen der EU und Israel zu knüpfen, fügte er hinzu. Zehn Jahre lang habe der EU-Israel-Assoziationsausschuss nicht getagt, nun solle er wieder zusammentreten. Eine neue Regelmäßigkeit sei zwar nicht einfach zu organisieren, weil aufgrund des Gaza-Krieges nicht alle Mitgliedsstaaten Israel wohlwollend gegenüberstünden, letztlich habe man sich aber auf einen Konsens geeinigt.

Und auch auf israelischer Seite sei man dafür aufgeschlossen. Die Einladung des Hohen Kommissars für Außen- und Sicherheitspolitik der EU, Josep Borrell, sei bereits angenommen worden. Das Treffen soll im Herbst stattfinden. Dabei gehe es allerdings weniger um Gaza als vielmehr darum, wie die Beziehungen in Handel, Wirtschaft, Politik und Kultur weiter ausgebaut werden können.

»Budapest hat den Anstieg des Antisemitismus nach dem 7. Oktober ernst genommen.«

Ariel Muzicant

Und was hat es nun mit den antisemitischen Untertönen gegen George Soros auf sich? Von denen will der Staatssekretär nichts wissen: »Wir sind überrascht, dass dies mit der angeblichen Judenfeindlichkeit einer Regierung in Verbindung gebracht wird, die sich sehr aktiv gegen Antisemitismus einsetzt. George Soros wird nicht als jemand jüdischer Abstammung dargestellt, sondern als jemand, dessen politische Ideen nicht nur im Gegensatz zu denen der Regierung stehen, sondern der sich aktiv einmischt.« Es sei eine Frage der Souveränität und habe nichts mit Antisemitismus zu tun.

Dieser Argumentation mag man folgen oder auch nicht, aus Sicht des europäischen Judentums wäre es – gerade in Zeiten des grassierenden Antisemitismus – fatal, wenn die geplanten ungarischen Treffen zur Bekämpfung des Judenhasses sowie die zum Ausbau des jüdischen Lebens in Europa boykottiert würden.

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