Polen

Der Sejm und das Schächten

»Ich hoffe, das Gesetzesprojekt wird so abgeändert, dass es den jüdischen Bedürfnissen näher kommt«: Polens Oberrabbiner Michael Schudrich (rechts) Foto: dpa

Eigentlich hatten die Juden in Polen gehofft, das Thema Religionsfreiheit sei ausdiskutiert. Bereits 2013 hatten polnische Regierungspolitiker, Abgeordnete und Tierschützer dieses Recht Juden und Muslimen vorenthalten wollen. Streitpunkt war die Frage, wie Tiere zu schlachten sind. Nach langem Ringen entschied am Ende Polens Verfassungsgericht, dass die Religionsfreiheit über den Tierrechten ste­ht.

Jetzt kommt das Thema erneut auf den Tisch. Doch in der Novelle des Tierschutzgesetzes geht es nicht mehr ums Schlachten nach Kaschrut- oder Halal-Regeln. Diesmal soll der Export dieses Fleisches eingeschränkt oder ganz verboten werden.

haft Das neue Gesetz sieht vier Jahre Haft für alle vor, die die Tiere ohne vorherige Betäubung töten: Rinder sollten entweder durch starke Elektrostöße, Schläge mit Holzprügeln auf den Kopf oder einen Bolzenschuss ins Stammhirn betäubt werden, der die Tiere zusammenbrechen lässt. Erst danach werden sie aufgeschnitten und zum Ausbluten aufgehängt.

Eine Ausnahme zum Schächten – hier wird Rindern mit einem raschen Schnitt die Luft- und Speiseröhre sowie die Hauptschlagader durchtrennt, sodass sie sofort sterben – soll es nur noch für die in Polen lebenden Juden und Muslime geben.

Allerdings sieht ein weiterer Satz vor, dass das Tier beim Schächten nicht angehoben werden und sich in keiner »unnatürlichen Haltung« befinden dürfe. Mit anderen Worten: Wird das Rind nicht vorab betäubt, muss es – so will es der polnische Gesetzgeber – beim Schlachten auf seinen vier Hufen stehen.

Warnung Rabbiner Menachem Margolin von der European Jewish Association (EJA) warnt vor den Auswirkungen dieses Gesetzesprojektes. Viele jüdische Gemeinden in Europa kauften bislang ihr koscheres Fleisch in Polen. Margolin protestiert gegen den erneuten Versuch, das Recht auf freie Religionsausübung einzuschränken. »Die Situation in Polen ist inakzeptabel«, erklärte er. »Ich rufe die polnische Regierung auf, dieses schmähliche Gesetz nicht in Kraft zu setzen und dabei zu berücksichtigen, dass das Vertrauen des jüdischen Volkes in Polens politische Elite mehr und mehr zerstört wird.«

Polens Oberrabbiner Michael Schudrich versucht, den neuen Konflikt diplomatisch zu lösen. »Ich bin in einer fortgeschrittenen Diskussion mit dem Parlamentsabgeordneten, der dieses Gesetz vorgeschlagen hat«, erklärte Schudrich der israelischen Tagezeitung Haaretz. »Ich hoffe, dass er das Gesetzesprojekt so abändern wird, dass es den Bedürfnissen der Juden näher kommt.«

Schudrich ist überzeugt, dass es unter den Abgeordneten wie auch den Tierschützern eine gewisse Offenheit zum Kompromiss gebe, sodass das neue Tierschutzgesetz am Ende keine negativen Auswirkungen auf das religiöse Leben der Juden in Polen haben werde.

interessen Doch schon 2013 gelang es Schudrich nicht, die Abgeordneten oder Tierschützer umzustimmen. Aus einem Brief des Landwirtschaftsministers Krzysztof Jurgiel an den Vorsitzenden des Abgeordnetenhauses (Sejm), Marek Kuchcinski, vom September 2017 geht zudem klar hervor, dass hinter dem neuen Tierschutzgesetz handfeste Interessen der polnischen Fleischindustrie stehen. Die Rinder, die nach Kaschrut- und Halal-Regeln geschlachtet werden, müssen ganz gesund sein, Massentierhaltung ist nicht gestattet – sie sind also teurer.

Die Idee hinter dem Ausfuhrverbot für dieses Fleisch ist eine Exportsteigerung lebender Rinder in andere Länder. So würde den polnischen Bauern der Markt für Qualitätsrinder nicht verloren gehen. Die hohen Preise würden Schlachthöfe im Ausland bezahlen, während in Polen selbst die Preise für die B-Rinder sinken, Nachfrage und Gewinn hingegen würden steigen. Ob diese Rechnung aufgeht, ist offen.

Am Ende könnten alle verlieren: die Bauern, die einen großen Markt verlieren, jüdische Gemeinden in Europa und Israel, die ihr koscheres Fleisch bislang aus Polen beziehen, und die polnischen Juden, die künftig koscheres Fleisch für viel Geld importieren müssen.

Die in Genf geborene Schweizer Schriftstellerin und Philosophin Jeanne Hersch aufgenommen im März 1999

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