Österreich

Den Hass untersuchen

Österreichische Akademie der Wissenschaften Foto: ÖAW

Österreich schafft eine Antisemitismus-Forschungsstelle. Der Fokus der Arbeit soll auf der Gegenwart liegen und der Frage, wieso sich antisemitische Narrative so leicht in Erinnerung rufen lassen.

Die Zahl der bekannt gewordenen antisemitischen Übergriffe in Österreich hat in den vergangenen Jahren massiv zugenommen. Im Jahr 2021 hatte die Antisemitismus-Meldestelle der Israelitischen Kultusgemeinde Wien (IKG) österreichweit insgesamt 965 antisemitische Vorfälle gemeldet. Das war die höchste Zahl erfasster Übergriffe seit Beginn der Dokumentation vor 20 Jahren. Zu Beginn des Jahres 2022 verzeichneten erste Erhebungen einen leichten Rückgang, doch die Intensität der Übergriffe nahm zu.

»Hau ab, niemand braucht dich hier, geh heim ins gelobte Land. Glaubt ihr Juden, ihr seid was Besonders? Schon Gott hat euch verstoßen.« Das ist zum Beispiel der Wortlaut einer Nachricht, die dem Präsidenten der IKG, Oskar Deutsch, zugeschickt wurde.

Finanzierung Um jüdisches Leben zu stärken, vor allem aber auch, um den Wurzeln des Antisemitismus in Österreich auf den Grund zu gehen, soll jetzt die Forschung in diesem Feld gestärkt werden. Der Kern des Plans: Die Schaffung einer auf Antisemitismus und dessen Ursachen spezialisierten Forschungseinrichtung, die an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) angedockt ist, der höchsten akademischen Institution des Landes.

Das zunächst veranschlagte Budget beträgt 900.000 Euro. Dabei solle sowohl nach Innenperspektiven von Jüdinnen und Juden als auch nach den Besonderheiten von Antisemitismus in Österreich gefragt werden. Im Herbst soll die Stelle ihre Arbeit aufnehmen.

Eine detaillierte Einschätzung dazu wollte der Generalsekretär der IKG Wien, Benjamin Nägele, derzeit nicht abgeben. Nur so viel sagte er gegenüber der Jüdischen Allgemeinen: »Ich halte die Gründung und Schwerpunktsetzung der Forschungsstelle für einen wichtigen Schritt im Kampf gegen Antisemitismus jeglicher Ausprägung, die durch das Renommee und Standing der ÖAW unterstrichen wird.«

Idee Die Idee zu dieser Forschungsstelle geht auf den Physiker und Nobelpreisträger Anton Zeilinger zurück, der von 2013 bis 2022 Präsident der ÖAW war. Die Umsetzung unterliegt jetzt aber Zeilingers Nachfolger, dem ehemaligen Bildungsminister Heinz Faßmann. Und der umriss die Problemlage gegenüber der FAZ folgendermaßen: »Der manifeste Antisemitismus« sei in Österreich wohl schwächer als in Deutschland, der latente dafür stärker. Die österreichische Seele sei am Stammtisch kämpferisch, so Faßmann, schreite aber seltener zur Tat. Klar sei: Das Feld dürfe Demagogen nicht überlassen werden.

Allerdings war genau das zuletzt der Fall. Vor allem im Zuge der Corona-Pandemie hatten Angriffe auf Juden und jüdische Institutionen massiv zugenommen. Befeuert werden diese Tendenzen jedoch nicht von einer politischen Randgruppe. Die Wortführerschaft im Verschwörer-Lager habe die rechtsextreme FPÖ übernommen, die sich selbst gern antisemitischer Motive bediene. Sie liegt in Umfragen zwischen 27 und 29 Prozent und ist damit derzeit stärkste Partei im Land.

Faßmann stellt fest, man wolle mit der Forschungsstelle einen »Kontrapunkt zu den politisch aufgeladenen Kontroversen setzen«. Und so lautet auch der Arbeitsschwerpunkt der Institution: »Antisemitismus der Gegenwart«. Die Historikerin und Intsituts-Koordinatorin Heidemarie Uhl umreißt die Fragestellung folgendermaßen: »Wie funktioniert das Gedächtnis des Antisemitismus? Woher kommen diese Bilder, und warum lassen sie sich so leicht hervorrufen?«

Als ein »Pflänzchen, das wir zunächst einmal gießen müssen«, hatte Initiator Anton Zeilinger das Institut seinerzeit bezeichnet. Der Anfang ist nun gemacht.

Kommentar

Wo Israel antritt, rollt der Ball ins moralische Abseits

Israelische Spieler und Fußballfans werden schon lange dafür diskriminiert, dass sie von anderen gehasst werden.

von Louis Lewitan  06.11.2025

Kommentar

Warum Zürichs Entscheid gegen die Aufnahme von Kindern aus Gaza richtig ist

Der Beschluss ist nicht Ausdruck mangelnder Menschlichkeit, sondern das Ergebnis einer wohl überlegten Abwägung zwischen Sicherheit, Wirksamkeit und Verantwortung

von Nicole Dreyfus  06.11.2025

Kommentar

In Zohran Mamdanis New York werden Juden geduldet, nicht akzeptiert

»Liberale Zionisten« müssen in der Regierung des neuen Bürgermeisters keinen »Lackmustest« fürchten. Was beruhigend klingen soll, zeigt, wie stark der Antisemitismus geworden ist - nicht zuletzt dank Mamdani

von Gunda Trepp  05.11.2025 Aktualisiert

New York

ADL will Mamdani unter Beobachtung stellen

Die Anti-Defamation League erwartet vom neugewählten New York Bürgermeister nichts Gutes. Jetzt hat die jüdische Organisation angekündigt, man werde genau hinschauen

 05.11.2025

Amsterdam

Wegen IDF-Kantor: Concertgebouw sagt Chanukka-Konzert ab

Die renommierte Musikhalle hat wegen des geplanten Auftritts von IDF-Chefkantor Shai Abramson das alljährliche Konzert abgesagt. Die jüdische Gemeinschaft ist empört und will gegen den Entscheid klagen

von Michael Thaidigsmann  05.11.2025 Aktualisiert

Essay

Mamdanis demokratische Steigbügelhalter

Führende Politiker der Demokraten haben aus Opportunismus die Wahl des Israel-Hassers Zohran Mamdani zum New Yorker Bürgermeister ermöglicht - und so in Kauf genommen, dass aus Worten gegen Israel wieder Gewalt gegen Juden werden könnte

von Menachem Z. Rosensaft  05.11.2025

Vatikan

Theologe: Antisemitismus bei Vatikan-Konferenz kein Einzelfall

Der Salzburger Theologe Hoff berichtet über Eklats bei einer jüngsten Vatikan-Konferenz. Ein Schweizergardist soll sich verächtlich über Mitglieder einer jüdischen Delegation geäußert und in ihre Richtung gespuckt haben

 04.11.2025

Spanien

Francos Erbe

Das Land, das den Sefardim einst ihren Namen gab, verlangt seinen Juden heute einiges ab

von Valentin Suckut  03.11.2025

»Nobody Wants This«

Alle wollen Esther

Einer der Gründe, die Netflix-Serie zu sehen, ist Jackie Tohn. Die Schauspielerin mit dem Blick, der Stahl schmelzen kann, tanzt gern auf vielen Hochzeiten

von Sarah Thalia Pines  03.11.2025