Wien

Deckname »Bärenhöhle«

650 Jahre alt: Universität Wien Foto: dpa

Für die Universität Wien geht mit 2015 ein Jubiläumsjahr zu Ende: Die zweitälteste Universität im deutschen Sprachraum feierte ihr 650-jähriges Bestehen. Die umfangreichen Festivitäten firmierten auch unter dem Slogan »Offen seit 650 Jahren«. Tatsächlich ist die Geschichte dieser Institution aber über weite Strecken eher eine des Ausschlusses als der Offenheit. Bis 1782 – und damit 417 Jahre nach ihrer Gründung – blieb Juden der Zutritt zur Universität Wien verwehrt, Frauen sogar bis 1897.

Ein aktuelles Buch des Historikers und Wissenschaftsjournalisten Klaus Taschwer sowie eine Ausstellung im Jüdischen Museum Wien thematisieren ein bisher wenig beachtetes Kapitel der Hochschule: den frühen Aufstieg des rassistischen Antisemitismus und den wissenschaftlichen Niedergang der Universität, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch zu den weltweit führenden Forschungseinrichtungen gezählt hatte. Zudem offenbaren Buch und Ausstellung die personellen Kontinuitäten nach dem Zweiten Weltkrieg, die eine konservative Restauration der Universität bewirkt und Bemühungen um die Rückkehr vertriebener Wissenschaftler verhindert hatten.

Skandal Die Ausstellung »Die Universität. Eine Kampfzone« nimmt anlässlich des Jubiläums die jüdisch-universitäre Beziehungsgeschichte in den Blick. Sie spannt dabei den Bogen von der Vertreibung der Juden aus Wien 1421, in deren Folge aus Steinen der zerstörten Synagoge ein Universitätsgebäude errichtet wurde, bis zu antisemitischen Skandalen in der Nachkriegszeit. Dazwischen stehen Aufstieg und Glanzzeiten der Universität wie auch der wachsenden jüdischen Bildungsschicht Wiens – und das Aufkommen des rassistischen Antisemitis-mus, der die Universität schon lange vor dem Nationalsozialismus erfasst hatte.

Wie Klaus Taschwer in seinem Buch Hochburg des Antisemitismus. Der Niedergang der Universität Wien im 20. Jahrhundert anhand zahlreicher bislang unveröffentlichter Quellen nachzeichnet, waren Wissenschafts- und Personalpolitik der Universität bereits in den 1870er-Jahren antisemitisch geprägt. Bereits nach Ende des Ersten Weltkriegs – zwei Jahrzehnte also, bevor die Vertreibungs- und Vernichtungspolitik der Nazis einsetzte – hatten jüdische Wissenschaftler kaum noch Karrierechancen. Physische Gewalt gegen jüdische und politisch links stehende Studenten stand auf der Tagesordnung und wurde von der nahezu vollständig deutschnational und antisemitisch eingestellten Universitätsleitung hingenommen oder sogar unterstützt.

Netzwerk Taschwer deckt dabei erstmals ein geheimes antisemitisches Netzwerk von Universitätsprofessoren an der Wiener philosophischen Fakultät auf, das unter dem Decknamen »Bärenhöhle« vor allem ein Ziel verfolgte: die Karrieren jüdischer Wissenschaftler zu behindern. Den Paläontologen Othenio Abel, selbst Mitglied des konspirativen Antisemitenzirkels, zitiert Taschwer mit einem Brief von 1923: »(...) dass ich unsere antisemitischen Gruppen an der Universität so fest zusammengeschweißt habe, sodass wir eine feste Phalanx bilden, rechne ich mir wirklich zum Verdienst an, und wenn ich viel Zeit und Kraft dabei verloren habe und verliere, so hält mich das Bewusstsein dabei fest, dass diese Arbeit vielleicht ebenso nötig ist als Bücher zu machen.«

Wie erfolgreich die Einflussnahme der »Bärenhöhle« auf Berufungen war, und mit welch plumper Skrupellosigkeit dabei vorgegangen wurde, zeigt einer der wenigen, schon damals publik gewordenen Fälle: 1923 ersuchte der junge Physiker Karl Horovitz um die Erteilung einer Lehrbefugnis, die zunächst auch von der zuständigen Kommission einstimmig befürwortet wurde. Das einzig fachfremde Kommissionsmitglied, der Historiker (und »Bärenhöhle«-Angehörige) Heinrich Srbik, aber unterstellte Horovitz, Kommunist zu sein, was dieser ebenso wie alle anwesenden Physiker umgehend und wahrheitsgemäß dementierten.

Hetzblatt Einen Tag vor der endgültigen Abstimmung an der Fakultät attackierte das rechtsextreme Hetzblatt »Deutschösterreichische Tageszeitung« Horovitz als »kommunistischen Juden« und rief das Professorenkollegium dazu auf, gegen seine Habilitation zu stimmen. Der Sitzung selbst saß mit Hans Übersberger ein weiteres Mitglied der »Bärenhöhle« vor und wiederholte die unwahren Anschuldigungen gegen Horovitz gleich noch einmal.

Das Ergebnis: Horovitz wurde von der Mehrheit der stimmberechtigten Professoren abgelehnt. Er emigrierte, wie viele andere auch, und wurde in den USA zum Pionier der Halbleiterforschung.

Paris

Wegen Brief zu Antisemitismus: Frankreich bestellt US-Botschafter ein

Weil er den französischen Behörden Versäumnisse im Vorgehen gegen Judenhass vorgeworfen habe, soll Charles Kushner heute im Außenministerium erscheinen

 25.08.2025

Frankreich

Freizeitpark-Chef verwehrt israelischen Kindern den Zutritt

Der Betreiber des Parks hatte 150 israelische Kinder weggeschickt. Nun wurde er wegen Diskriminierung angeklagt. Ihm drohen bis zu fünf Jahre Haft

 24.08.2025

Literatur

Vitaler Verteidiger der Freiheit

Zu seinem 96. Geburtstag beschenkt der wachsame Jahrhundertzeuge Paul Lendvai seine Leser mit einem neuen Buch

von Marko Martin  24.08.2025

Norwegen

Die nördlichste Synagoge der Welt

In Trondheim feiert die Gemeinde ihr hundertjähriges Bethaus. Zum Glück ist die Schabbat-Frage schon lange geklärt

von Elke Wittich  24.08.2025

Raubkunst

Drei Millionen Franken für Bührle-Stiftung

Die Stadt Zürich beantragt Kredit für vertiefte Provenienzforschung der Sammlung Bührle

 22.08.2025

New York

Monica Lewinsky stellt mit Amanda Knox Serie vor

Worum geht es in »The Twisted Tale of Amanda Knox«?

von Lukas Dubro  21.08.2025

Ukraine

Jude, Comedian, Freiheitskämpfer

Selten ist ein Staatsmann so sehr in seinem Amt gewachsen wie Wolodymyr Selenskyj. Die erstaunliche Karriere des ukrainischen Präsidenten

von Michael Gold  21.08.2025

Meinung

Für Juden in Frankreich ist das Spiel aus

Präsident Emmanuel Macrons antiisraelische Politik macht ihn zum Verbündeten der Islamisten und deren linken Mitläufern. Für Juden wird das Leben währenddessen immer unerträglicher

von Haïm Musicant  20.08.2025

Österreich

Jüdische Familie aus Taxi geworfen

In Wien beschimpfte ein Uber-Fahrer seine jüdischen Gäste und attackierte dann den Familienvater

von Nicole Dreyfus  19.08.2025