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Davos: Orthodoxe unerwünscht

Eine jüdische Urlauberin mit Freiwilligen des sogenannten Likrat-Projekts, das bei orthodoxen Gästen und Einheimischen gegenseitigen Respekt fördern soll Foto: SIG/A. Picard

Auch wenn es während der Coronapandemie ein wenig in Vergessenheit geriet, erfreut sich der Schweizer Ferienort seit Jahren großer Beliebtheit bei orthodoxen Juden aus dem In- und Ausland. In diesem Sommer reisten mehr an als vor der Pandemie: Schätzungen gehen von 3000 bis 4000 aus.

Doch nun hat eine gehässige Diskussion diese Besucher ins Zentrum des Interesses gerückt – weit über den Touristenort hinaus.
Die jüdischen Gäste würden oft andere Menschen nicht grüßen, heißt es im Dorf, sie würfen ihren Müll einfach in die Umgebung und mieden Restaurants – oder bestellten dort allenfalls alkoholfreie Getränke.

EXKREMENTE Die Vorwürfe, die auch in diesem Sommer in verschiedenen Leserbriefen der Lokalpresse zu lesen waren, sind nicht neu. Doch zuletzt erreichte die Diskussion einen weiteren Höhepunkt: Zum einen, weil die weit rechts stehende »Gipfel-Zeitung« nach ausgiebiger Hetze gegen Muslime, Migranten und sogar den Gründer des Weltwirtschaftsforums (WEF), Klaus Schwab, nun auch jüdische Gäste ins Visier nimmt. So schrieb man unter ein Foto menschlicher Exkremente: »Diese stammten unzweifelhaft von einem menschlichen Wesen mit jüdischer Abstammung.« Der Schweizerische Israelitische Gemeindebund (SIG) reichte eine Klage gegen die Zeitung ein.

In diesem Sommer kamen 3000 bis 4000 jüdische Touristen aus dem In- und Ausland.

Auch wenn die primitive Anschuldigung in Davos zum Teil Empörung auslöste, scheint es dort »zu brodeln«, wie verschiedene Medien die Situation zusammenfassten. Und so verwunderte es nicht, dass sich nur wenige Tage später der Leiter von Davos Klosters Tourismus, Reto Branschi, in einem seriöseren Blatt zu Wort meldete: Er beklagte, dass jüdische Gäste teilweise nicht einmal den »minimalsten Respekt zeigen« würden. Sie ignorierten die Gepflogenheiten, »dass man sich auf Trottoirs gegenseitig ausweicht, dass zuerst bedient wird, wer zuerst da war, und dass man seinen Abfall nicht einfach wegwirft«. Man werde deshalb, erklärte Branschi, das sogenannte Likrat-Programm nicht fortführen. Es habe »nichts gebracht«.

Im Rahmen von Likrat versucht Davos Tourismus seit 2019 gemeinsam mit dem SIG und jüdischen Freiwilligen, bei orthodoxen Gästen und Einheimischen gegenseitigen Respekt zu fördern.

IRRITATION Der Schweizerische Israelitische Gemeindebund ist irritiert von der pauschalen Kritik und dem Abbruch des Likrat-Programms. SIG-Generalsekretär Jo­nathan Kreutner sagte der Jüdischen Allgemeinen: »Es ist wirklich krass, dass sich ein offizieller Vertreter einer Tourismus-Organisation einer solchen Sprache bedient.« Vom Fehlverhalten Einzelner auf eine ganze Gemeinschaft zu schließen, sei sonst nicht üblich: »Haben Sie schon einmal gehört, dass man an einem Urlaubsort eine ganze Gruppe von Touristen nicht mehr haben will, weil einige wenige sich danebenbenehmen?«

Bei einer besonnenen Minderheit in Davos kommt Kreutners Argument an. So zitiert die »Sonntagszeitung« einen Vertreter des Ortsparlaments: »Nur bei dieser Gruppe werden einzelne Vorfälle zum Problem, und man sieht gar den Ferienort Davos in Gefahr.« Randalierende Eishockeyfans oder betrunkene ausländische Touristen hingegen seien offenbar unproblematisch und würden nie thematisiert.

Der parteilose Lokalpolitiker sieht ein Problem auf den Tourismus in Davos zukommen: »Woher sollen wir die 10.000 Logiernächte im Sommer nehmen, wenn wir die jüdischen Gäste vertreiben?«

Einer der Vorwürfe: Die orthodoxen Gäste bestellen im Restaurant nur alkoholfreie Getränke.

In diesem Sommer blieb ein Teil der nichtjüdischen Gäste aus dem In- und Ausland den Schweizer Bergen fern. Bekannt ist auch, dass die Davoser Geschäfte sehr gut von der jüdischen Klientel leben, die hier oft mehrere Wochen Urlaub verbringt, koschere Lebensmittel kauft und die Berg- und Seilbahnen stark frequentiert.

Pauschalisierungen Der Davoser Gemeindepräsident Philipp Wilhelm mahnt zur »Besonnenheit«. Im Gespräch mit der Jüdischen Allgemeinen sagt er: Es gebe hier offensichtlich ein Problem, das habe er aufgrund einer großen Zahl von Beschwerden über Konflikte im Alltag zur Kenntnis genommen. »Andererseits besteht die Gefahr von Pauschalisierungen und Vorverurteilungen«, räumt er ein.

In diesem Zusammenhang erwähnt er ein in den sozialen Medien kursierendes Video einer orthodoxen Frau, die sich mit ihrem Kinderwagen auf einen Pfad für Mountainbikes verirrt hatte. »Ich bezweifle, dass so ein Video gemacht würde, wenn die Frau nicht als orthodoxe Jüdin erkennbar wäre.«

Dass Wilhelm kein Wort der Kritik an Tourismus-Chef Reto Branschi über die Lippen kommt, gibt Jonathan Kreutner zu denken: »Es ist Rassismus, wenn man vom Verhalten Einzelner auf das einer ganzen Gemeinschaft schließt.« Und wenn man das nur bei Juden mache, sei es Antisemitismus.

Diesen Standpunkt vertrat Kreutner Anfang der Woche auch bei einer Aussprache mit Branschi. Der sprach von einem »Missverständnis« und kündigte im Schweizer Fernsehen die Bildung einer Taskforce an. SIG-Generalsekretär Kreutner reagierte zurückhaltend: »Wir nehmen das zur Kenntnis.« Später sagte er dieser Zeitung: »Wichtig ist immerhin, dass die Türen gegenseitig nicht völlig zugeschlagen wurden.«

Bereit fürs ICZ-Präsidium: Noëmi van Gelder, Arthur Braunschweig und Edi Rosenstein (v.l.n.r.)

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