Meinung

Das Schweigen ist ohrenbetäubend

Präsident Alain Berset Foto: picture alliance/KEYSTONE

Die gute Nachricht vorweg: Die offizielle Schweiz ist sich nicht zu schade, mit Vehemenz gegen Antisemitismus zu kämpfen. Es gab in den letzten Tagen und Wochen viele glasklare Bekenntnisse von Mitgliedern der Landesregierung. Die Schweizer Juden fühlen sich verstanden und gut – sofern sie nicht gerade auf offener Straße bespuckt und attackiert werden.

Schon bald, täglich, werden auch in der Schweiz neue Fälle von offenem Antisemitismus gemeldet. Hakenkreuze auf Häuserwänden gehörten leider schon bald zur Normalität. Antisemitismus sollte in unserer Gesellschaft keinen Platz haben. Dies bekräftigten eine Reihe von Vertretern lokaler Behörden, Medien und sogar der Landesregierung, außer einem – dem Schweizer Bundespräsidenten. Womit wir bei der schlechten Nachricht wären: Das Schweigen des Schweizer Landesoberhauptes ist auffällig laut.

Ein kurzer Blick über die Grenzen in Richtung Deutschland oder Frankreich hätte schon genügt, um zu sehen, wie sich Amtskollegen dem Kampf gegen Antisemitismus öffentlich verschrieben haben. Frankreichs Staatspräsident kündigte bereits unmittelbar nach dem Massaker der Hamas »unbarmherziges Vorgehen« gegen antisemitische Straftäter an, weil er wusste, wie es um die Juden Frankreichs steht. Auch der deutsche Bundeskanzler genauso wie sein Vize haben wiederholt Flagge gezeigt.

Parolen und Taten

Und der Schweizer Bundespräsident? Er sagt immer noch nichts.
Immerhin: Im Namen der Schweizer Landesregierung wurde der Terror der Hamas auf unmissverständliche Weise verurteilt. Aber das praktisch über Nacht beschlossene Verbot der Hamas verteidigte der Außenminister und nicht der Bundespräsident.

Es war auch der Außenminister, der in einem äußerst eindrücklichen Meinungsbeitrag, der diese Woche in diversen Schweizer Tageszeitungen erschien, anlässlich des 85. Jahrestags der Reichspogromnacht das schlimmste Massaker an Juden seit der Schoa und den Antisemitismus auf Schweizer Straßen verurteilte – und wieder nicht der Bundespräsident. Dabei ist Letzter auch der Innenminister und wacht zudem über die nationale Rassismuskommission. Spätestens da fiel den letzten Unwissenden das Schweigen auf.

Und so musste der Außenminister für alle augenscheinlich nach innen gerichtet am 9. November betonen: »Die Parole ‹Nie wieder› klingt hohl, wenn keine Taten folgen. Bund und Kantone haben den Schutz von Jüdinnen und Juden und jüdischen Institutionen in unserem Land verstärkt. Leider wird es nötig sein, noch mehr zu tun und wachsam zu bleiben. Jene, die Juden physisch oder verbal angreifen oder im Netz Antisemitismus verbreiten, gilt es zur Rechenschaft zu ziehen.«

Die Botschaft kommt an, nur nicht im Nachbarsbüro. Dort ist es einfach still.

Schon als der Schweizer Verkehrs-, Energie- und Umweltminister unmittelbar nach dem Hamas-Massaker vom 7. Oktober in der Synagoge der Hauptstadt eine bemerkenswerte Rede hielt und bekundete, dass es »für Antisemitismus in der Schweiz keinen Platz« gebe, haben sich viele gefragt: Wo ist eigentlich der Schweizer Bundespräsident? Wieso hüllt er sich in Schweigen, gerade jetzt, wo es doch so viel zu sagen gäbe? Und? Die Antwort, die kann nur er selber geben. Wir würden ihm zuhören, würde er denn irgendetwas sagen.

Die Autorin ist Journalistin und Historikerin in Zürich.

Strassburg

Glühwein und Kippa

In der selbst ernannten »Weihnachtshauptstadt« lebt eine traditionsbewusste jüdische Gemeinde. Wie passt das zusammen? Eine Reise zu koscheren Plätzchen und Pralinen mit »Jahresendgeschmack«

von Mascha Malburg  18.12.2025

Meinung

Weitermachen oder die jüdische Resilienz

Verfolgung, Exil und Gewalt konnten es nicht brechen: Die Widerstandsfähigkeit des jüdischen Volkes prägt seine Geschichte bis heute

von Nicole Dreyfus  18.12.2025

Australien

Bericht: Die Heldentat von Ahmed Al-Ahmed sorgt auch in Syrien für Jubel

Die Berichterstattung über den »Helden von Sydney« hat auch dessen Heimatort erreicht und bringt Stolz in eine Trümmerlandschaft

 18.12.2025

Berlin

Ehrung von Holocaust-Überlebenden

Die »International Holocaust Survivors Night« ehrt jedes Jahr Überlebende der Schoah. Die virtuelle Veranstaltung hat sich inzwischen zu einer Feier entwickelt, an der Teilnehmende aus fast 20 Ländern mitwirken

 18.12.2025

Sydney

Abschied von jüngstem und ältestem Opfer

Ganz Australien trauert: Die 10-jährige Matilda und der 87-jährige Holocaust-Überlebende Alex Kleytman sind beerdigt worden

 18.12.2025

Faktencheck

Bei den Sydney-Attentätern führt die Spur zum IS

Nach dem Blutbad am Bondi Beach werden auch Verschwörungsmythen verbreitet. Dass der jüngere Attentäter ein israelischer Soldat sei, der im Gazastreifen eingesetzt wurde, entspricht nicht der Wahrheit

 17.12.2025

Analyse

Rückkehr des Dschihadismus?

Wer steckt hinter den Anschlägen von Sydney – und was bedeuten sie für Deutschland und Europa? Terrorexperten warnen

von Michael Thaidigsmann  17.12.2025

Nachruf

Albtraum in der Traumfabrik

Eine Familientragödie hat den Hollywood-Riesen und seine Frau aus dem Leben gerissen. An Rob Reiners Filmen voller Menschenliebe wie »Harry und Sally« ist eine ganze Generation mitgewachsen

von Sophie Albers Ben Chamo  17.12.2025

Australien

Der Held von Sydney

Während des judenfeindlichen Terroranschlags am Bondi Beach bewies ein muslimischer Familienvater unfassbaren Mut

von Sophie Albers Ben Chamo  17.12.2025