USA

Das letzte Hemd

Filene’s Basement am Broadway ist eine Institution an der New Yorker Upper West Side. Hier hängen Donna-Karan-Kleider und Calvin-Klein-Sweatshirts, Kaschmirpullover und Seidenblusen von August Silk, Swarovski-Jeans und französische Spitzennachthemden, und alles zu einem Bruchteil dessen, was sie in teuren Boutiquen kosten würden. Dabei ist Filene’s am Broadway nur einer von vielen Läden: Am Union Square hat erst vor wenigen Jahren eine noch größere Filiale eröffnet, deren Glaswand einen Blick auf den Farmers Market bietet.

An der Fifth Avenue sollte kurz vor Weihnachten ein Store eröffnen. Auch in Massachusetts, wo Filene’s herkommt, gibt es mehrere Filialen, wie auch in Chicago und Washington, D.C. Und das Flagschiff von Filene’s, ein Art-Déco-Palast, war in Boston. Dort stapelten sich Pullover und T-Shirts auf Wühltischen, und die Kundinnen drängten sich in einem großen, gemeinsamen Umkleideraum.

Ausverkauf Das ist nun bald vorbei. Denn Filene’s und seine Muttergesellschaft Syms mussten zum Ende des Jahres Konkurs anmelden. Alle Läden werden im Lauf des Januar schließen, und überall ist Ausverkauf. »Ich habe noch einen italienischen Mantel für 189 Dollar ergattert, der zuvor mehr als 1.000 Dollar gekostet hat«, erzählt Donna, die ein paar Straßen weiter am Broadway lebt. »Und eine schwarze Ledertasche für 64 Dollar. Wirklich schade, dass es damit nun vorbei ist.«

Aber Filene’s ist nicht nur ein preiswerter Designerladen, es ist auch eine jüdische Institution. Eine, die in der Politik der Ostküste lange eine wichtige Rolle spielte. Gegründet wurde Filene’s Basement um 1909 von den Brüdern Lincoln und Edward Filene, Söhne des deutsch-jüdischen Immigranten William Filene aus Posen. Sie hatten damals die Idee, neuwertige Kleidungsstücke aus dem Laden ihres Vaters, die längere Zeit unverkauft im Regal gelegen hatten, in einem Laden zu reduzierten Preisen anzubieten.

Betriebsrat Edward Filene stand den Demokraten nahe. Während andere Händler gegen Gewerkschaften vorgingen, erlaubte er schon früh eine Art Betriebsrat in seinen Läden und setzte sich sogar für höhere Löhne ein.

In den 30er-Jahren wurde Filene ein Verbündeter des damaligen US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt. Er war wichtig für Roosevelt, weil er als Unternehmer dessen wohlfahrtsstaatliche Politik unterstützte. Er trat auch für Roosevelts National Labor Relations Act von 1935 ein, aus dem sich das Recht von Gewerkschaften herleitet, für Flächentarifverträge zu kämpfen – eine Errungenschaft, die heute, mit der Tea Party und dieser nahestehenden Gouverneuren wie Scott Walker in Wisconsin, in Gefahr ist. Filene gründete auch die gemeinnützige Century Foundation.

Edward Filene glaubte – so schreibt die jüdische Wochenzeitung Forward –, dass es besser sei, wenn sich Arbeiter organisierten, weil das wilde Streiks eindämmte, außerdem bräuchten Arbeiter vernünftige Löhne, um sich Güter auch leisten zu können. Filene gehörte auch zu der Generation von Immigranten, die in die Vereinigten Staaten gegangen waren, um sich einen besseren Lebensstil als in Europa leisten zu können, und er fand, das sollte auch für seine Arbeiter – und für seine Kunden – gelten.

GEteilt Der Familie gehört Filene’s schon lange nicht mehr. Anfang dieses Jahrhunderts wurde das Unternehmen in zwei Zweige geteilt, Filene’s und das preiswertere Filene’s Basement. Filene’s kam unter die Fittiche von Macy’s, eine andere große jüdische Einzelhandelskette (Gründer Isidor Strauss ertrank 1912 mit seiner Frau Ida auf der Titanic). Filene’s Basement stand bereits 2009 kurz vor dem Konkurs, wurde dann aber von Syms erworben, ebenfalls ein Discounter für Garderobe. Syms wurde von dem Radiowerber Sy Merinsky gegründet.

Aber der Versuch, die Kette zu retten, scheiterte: Nun gehen beide in die Insolvenz. Letztlich wurde Filene’s, aber auch Syms, ein Opfer der Konkurrenz – Ketten wie Wal-Mart bieten Garderobe billiger an, wenngleich dort keine Markennamen erhältlich sind. Aber das ist vielen in einer Zeit sinkender Realeinkommen offenbar nicht mehr so wichtig. Der Name »Filene’s Basement« wird nun in einer Auktion versteigert, aber was aus den Filialen wird, weiß noch keiner.

Kommentar

Müssen immer erst Juden sterben?

Der Anschlag von Sydney sollte auch für Deutschland ein Weckruf sein. Wer weiter zulässt, dass auf Straßen und Plätzen zur globalen Intifada aufgerufen wird, sollte sich nicht wundern, wenn der Terror auch zu uns kommt

von Michael Thaidigsmann  14.12.2025

Meinung

Blut statt Licht

Das Abwarten, Abwiegeln, das Aber, mit dem die westlichen Gesellschaften auf den rasenden Antisemitismus reagieren, machen das nächste Massaker nur zu einer Frage der Zeit. Nun war es also wieder so weit

von Sophie Albers Ben Chamo  14.12.2025 Aktualisiert

Anschlag in Sydney

Felix Klein: »Von Terror und Hass nicht einschüchtern lassen«

Zwei Männer töten und verletzen in Sydney zahlreiche Teilnehmer einer Chanukka-Feier. Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung äußert sich zu der Tat

 14.12.2025

Terror in Sydney

Zivilist entwaffnet Angreifer und wird als »Held« gefeiert

Zwei Männer schießen auf Teilnehmer einer Chanukka-Feier in Sydney: Es gibt Tote und Verletzte. Ein Video soll nun den mutigen Einsatz eines Passanten zeigen

 14.12.2025

Australien

Merz: »Angriff auf unsere gemeinsamen Werte«

Bei einem Anschlag auf eine Chanukka-Feier in der australischen Metropole gab es viele Tote und Verletzte. Der Bundeskanzler und die Minister Wadephul und Prien äußern sich zu der Tat

 14.12.2025 Aktualisiert

Terror in Sydney

Zentralrat der Juden: »In Gedanken bei den Betroffenen«

Der Zentralrat der Juden und weitere jüdische Organisationen aus Deutschland äußern sich zu dem Anschlag auf eine Chanukka-Feier im australischen Sydney

 14.12.2025 Aktualisiert

Australien

16 Tote bei antisemitischem Massaker in Sydney

Australien ist im Schockzustand: Zwei Attentäter schossen am Sonntag auf Juden, die sich in Bondi Beach zu einer Chanukka-Feier versammelt hatten

von Michael Thaidigsmann  14.12.2025 Aktualisiert

Australien

Judenfeindlicher Terroranschlag in Sydney: Zwei Personen in Polizeigewahrsam

Die Polizei ruft nach dem Angriff in Sydney dazu auf, das Gebiet des Angriffs weiter zu meiden. Der Einsatz dauere an

 14.12.2025

Terror

Medienberichte: Terroranschlag in Australien bei Chanukka-Feier

Die Polizei warnt vor einem »sich entwickelnden Vorfall« am Bondi Beach. Ersten Berichten zufolge soll das Ziel ein Chanukka-Fest gewesen sein. Australische Medien berichten von mehreren Opfern

von Denise Sternberg  14.12.2025 Aktualisiert