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»Darf ich trotz des Omers Schuhe kaufen?«

Mussen Schuhe in der Omerzeit ein Schnäppchen sein? Fragen uber Fragen Foto: Fotolia

Wenn der Geist einer Religion die neueste Technologie trifft, ergeben sich manchmal drollige Phänomene. »Aish«, »Techouvot«, »Kipa«, »Scheal-et-harav« und viele mehr – seit zehn Jahren steigt die Zahl der Internetseiten, auf denen Experten Fragen zu Belangen des jüdischen Lebens beantworten.

Beim französischen Portal cheela.org etwa kann man kurz vor Lag Baomer folgende Frage lesen: »Dringend! Ich heirate an Lag Baomer und habe immer noch keine Schuhe. Darf ich mir trotz des Omers noch neue Schuhe kaufen?« Auf Genauigkeit bedacht und bestrebt, ja nichts Falsches zu tun, fügt der Fragesteller hinzu: »Oder ist es nur erlaubt, wenn die Schuhe ein Schnäppchen sind, das ich sonst verpassen würde?«

Rasieren Wie so häufig im Internet geht es mit Fragen im selben Stil querbeet weiter: »Darf ich mir während der Omer-Zeit vor dem Schabbat den Bart rasieren, wenn ich mich sonst zwar regelmäßig, aber nur jeden dritten Tag rasiere, oder ist es nur erlaubt, wenn ich mich sonst wirklich jeden Tag rasiere? Meine Frau sagt, dass der Bart, den ich des Omers wegen wachsen lasse, sie unangenehm piekst, was soll ich tun?« In diesem Fall kam die Antwort sofort: »Rasieren Sie den Bart ab. Wir haben auch die Verpflichtung, unseren Frauen zu gefallen.«

Warum in aller Welt verbringen Leute so viel Zeit mit diesen scheinbar skurrilen Detailfragen? Und wie kommt es, dass Rabbiner es als eine Mizwa betrachten, sie zu beantworten?

Eigentlich wird auf diesen Webseiten eine Übung wiederbelebt, die in der feinsten talmudischen Kasuistik wurzelt: das dialogische Spiel der Fragen und Antworten, das so charakteristisch für das jüdische Denken ist. Die Responsen genannten Briefwechsel sind so alt wie der Talmud, doch erst in den babylonischen Schulen der folgenden Zeit wuchsen sie zu einer eigenen Kommentarform.

Responsen Gemeinden aus der ganzen Diaspora schickten Fragen aller Art: von konkreten halachischen Themen bis zu ideologischen Kontroversen mit den Karaiten oder den muslimischen Nachbarn. Die Fragen und Antworten wurden in Sammelbänden archiviert. »Pro theologisches Buch gibt es heute in der Bibliothek eines Rabbiners zehn Bücher mit Fragen und Antworten«, erklärt Emmanuel Bloch, einer der ehrenamtlichen Mitarbeiter von cheela.org.

Im Mittelalter war Ägypten ein Knotenpunkt für die Expressbeförderung der Fragen nach Babylonien – weshalb sich in der berühmten Kairoer Geniza besonders viele dieser Briefe erhalten haben. Heute geht es mit den Eilsendungen noch schneller. Wer seine Frage beim Service »Cheela Express 48« stellt, erhält innerhalb von 48 Stunden eine Antwort. Diese Ähnlichkeit ist nicht die einzige. Maimonides etwa antwortete einem Schüler ausführlicher, einer ungebildeten Person kürzer, aber beide genossen seine Aufmerksamkeit – und alle Themen waren erlaubt. Insofern passt das fröhliche Potpourri der neuen Foren wunderbar zum traditionellen Genre.

Eine mehr als 1000-jährige Tradition hat so ein neues Medium gefunden – wie geschaffen für den Ehrgeiz der jüdischen Religiosität, alle Bereiche des Lebens zu umfassen. »Es geht um die Frage, wie jeder Einzelne das göttliche Gesetz in seinem eigenen, bestimmten Leben verwirklichen kann«, erklärt Rabbiner Elyakim Simsovic. »Die Responsen sind eine Form der Rechtsprechung wie das System der Präzedenzfälle in den USA«, fügt Emmanuel Bloch hinzu. Der gelernte Rechtsanwalt bezeichnet sich als »einen Mann des Gesetzes, im zivilen wie im religiösen Leben«.

Anonymität Doch es gibt auch wesentliche Unterschiede zwischen der klassischen Responsenliteratur und modernen Internetportalen: allen voran die Anonymität der Nutzer. Sie erlaubt es, Fragen zu stellen, die man sonst nie wagen würde, vor allem im Bereich der Sexualität. Es gibt keine soziale Kontrolle.

Außerdem stellen hier einzelne Gemeindemitglieder ihre Fragen direkt ins Internet, ohne dass ein Rabbiner vermittelt. Dabei kommen auch viele Ängste und Skrupel zum Ausdruck, ja sogar Aberglaube. »Zwangsläufig«, präzisiert Emmanuel Bloch. »Aberglaube ist so etwas wie das Verderbnis, der Abfall der Religion.«

Gibt man »Hexerei« oder »Dämonen« ins Suchfeld ein, wird man sofort fündig: »Ein Freund von mir betrügt seine Frau mit einer 25-Jährigen. Ich erkenne ihn nicht mehr, er ist verhext worden.« Die Reaktionen der Rabbiner sind dann klar und nüchtern. Mit ihrer Beherrschung der religiösen Fragen ziehen sie Grenzen.

»Auf den persönlichen Kontakt mit einem Rabbiner kann man kaum verzichten«, erklärt Rabbiner Elyakim Simsovic. »Eine halachische Antwort ist wie ein Medikament. Das verschreibt man nur, nachdem man den Patienten gesehen hat. Es kann nicht an eine andere Person weitergegeben werden.«

Der Vorfall ereignete sich vergangene Woche im AZ Zeno Campus-Krankenhaus in Knokke-Heist in Belgien.

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