Polen

Bürgerbegehren und Richterrüffel

Demonstration in Warschau Foto: dpa

Erst vor wenigen Monaten hatten Polens Abgeordnete mit großer Mehrheit das Schächten von Rindern, Hühnern und Gänsen verboten. Jetzt müssen sie sich erneut mit dem Thema befassen. Denn das Verbot rief nicht nur Polens Juden und Muslime auf den Plan, die den Politikern vorwarfen, das in der Verfassung verankerte Recht auf freie Religionsausübung zu verletzen.

Vielmehr protestierten auch viele Bauern und Metzger gegen das Gesetz. Die Politiker, so der Vorwurf, entzögen ihnen die wirtschaftliche Existenzgrundlage. Sie reichten nun ein Bürgerbegehren ein, das das Schlachten nach den Koscher- und Halal-Regeln religiöser Juden und Muslime wieder erlauben soll.

Nicht kommerziell Anfang April hatten die Abgeordneten schon wesentlich kleinlauter als noch vor einem Jahr in einem Schreiben an das Verfassungsgericht in Warschau bestätigt, dass das »nicht kommerzielle Schächten« für den Eigenverbrauch der Gemeinden in Polen gestattet sei. Diese Neuinterpretation des Gesetzes löst zwar nicht das Problem, gibt den Gesetzeshütern aber einen Hinweis auf die Intention der Abgeordneten.

Polens orthodoxer Oberrabbiner Michael Schudrich bewertet das Schreiben der Politiker positiv: »Dies ist ein sehr wichtiger und positiver Schritt auf dem Weg zu einer Entscheidung des Verfassungsgerichts. Es ist das Ergebnis monatelanger Diskussionen über das Recht der polnischen Juden auf Religionsfreiheit.« Mit seiner Erklärung an das Verfassungsgericht, so Schudrich, habe der Sejm »Weisheit und Moral« bezeugt.

Kurz vor dieser Erklärung war allerdings öffentlich bekannt geworden, dass trotz des Schächtverbots in Polen weiterhin Tiere ohne vorherige Betäubung – so wie es die Religionsregeln im Judentum und Islam vorsehen – geschlachtet wurden und werden. Dies geschieht zwar nicht in dem Umfang wie zuvor, aber doch in einigen Schlachtereien. Die allgemeine Rechtsunsicherheit führte dazu, dass keine einzige der Anzeigen, die bei verschiedenen Gerichten eingingen, zu einem Prozess und schließlich zu einem Urteil führte.

Tierschutzkampagne Noch im Sommer 2013 hatten die blutrünstig inszenierten Demonstrationen vor dem Parlament in Warschau Polens Abgeordnete in den Glauben versetzt, mit dem Schächtverbot das moralisch Richtige zu tun. Die meisten polnischen Medien unterstützten die Demonstranten mit einer hochemotionalen Tierschutzkampagne. Doch dem Hochgefühl vieler Abgeordneter, sich als Weltverbesserer ein paar Punkte verdient zu haben, folgte alsbald die Ernüchterung: Aus Israel und Amerika mussten sich die Parlamentarier lautstarke Proteste über den »polnischen Antisemitismus« anhören, der einmal mehr seine hässliche Fratze gezeigt habe. Dann versprach auch noch Papst Franziskus dem Jüdischen Weltkongress in einer Privataudienz, sich der Schächtfrage in Polen anzunehmen.

Das Verfassungsgericht in Warschau nahm die Klage des Jüdischen Gemeindebundes an. Die Richter werden nun darüber entscheiden, ob die Abgeordneten mit ihrem Tierschutzgesetz das höherstehende Grundrecht auf Religionsfreiheit verletzt haben oder nicht. Noch aber steht kein Verhandlungstermin fest. Vor einigen Tagen trugen nun auch noch die Mitarbeiter der polnischen Landwirtschaftskammer große Kisten mit 130.000 Unterschriften in den Sejm. Es ist eine Gesetzesinitiative der Bürger, die das Schächten in Polen wieder erlauben soll, auch für den Export.

Pranger Mit so viel Widerstand hatte kaum ein Abgeordneter gerechnet. Vor einem Jahr hatten die Politiker vor allem ihre Tierliebe bezeugen wollen. Etliche kamen gar mit ihren Hunden ins Parlament und stellten ihre Lieblinge der Presse vor. Jetzt sehen sie sich allerorten an den Pranger gestellt. Innerhalb der nächsten drei Monate müssen sie sich nun mit dem Text der Gesetzesinitiative vertraut machen und eine erste Lesung des Gesetzesprojekts ansetzen. Bei diesem ersten Termin allerdings können sie das Gesetz an einen Sejmausschuss weiterleiten und seine Wiedervorlage bis zum Urteil des Verfassungsgerichts vertagen.

Letztlich, so vermutet Piotr Kadlcik, der neu gewählte Schatzmeister der Warschauer Jüdischen Gemeinde, könnte das bedeuten, dass dieser Sejm doch kein neues Gesetz mehr verabschieden wird. Denn wann das Verfassungsgericht sein Urteil sprechen werde, sei völlig offen. Möglicherweise erst Mitte oder Ende 2015.

Medienbericht

Katar soll mutmaßliches Missbrauchsopfer von Karim Khan ausspioniert haben

Das Emirat scheint sich in den Skandal um den Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs eingemischt zu haben, wie Recherchen nun zeigen

 07.11.2025

Kommentar

In Zohran Mamdanis New York werden Juden geduldet, nicht akzeptiert

»Liberale Zionisten« müssen in der Regierung des neuen Bürgermeisters keinen »Lackmustest« fürchten. Was beruhigend klingen soll, zeigt, wie stark der Antisemitismus geworden ist - nicht zuletzt dank Mamdani

von Gunda Trepp  07.11.2025 Aktualisiert

Hurrikan Melissa

»Ich habe seit einer Woche nicht geschlafen«

Wie ein Rabbiner vom Wirbelsturm in Jamaika überrascht wurde – und nun selbst Betroffenen auf der Insel hilft

von Mascha Malburg  06.11.2025

Kommentar

Wo Israel antritt, rollt der Ball ins moralische Abseits

Israelische Spieler und Fußballfans werden schon lange dafür diskriminiert, dass sie von anderen gehasst werden.

von Louis Lewitan  06.11.2025

Kommentar

Warum Zürichs Entscheid gegen die Aufnahme von Kindern aus Gaza richtig ist

Der Beschluss ist nicht Ausdruck mangelnder Menschlichkeit, sondern das Ergebnis einer wohl überlegten Abwägung zwischen Sicherheit, Wirksamkeit und Verantwortung

von Nicole Dreyfus  06.11.2025

New York

ADL will Mamdani unter Beobachtung stellen

Die Anti-Defamation League erwartet vom neugewählten New York Bürgermeister nichts Gutes. Jetzt hat die jüdische Organisation angekündigt, man werde genau hinschauen

 05.11.2025

Amsterdam

Wegen IDF-Kantor: Concertgebouw sagt Chanukka-Konzert ab

Die renommierte Musikhalle hat wegen des geplanten Auftritts von IDF-Chefkantor Shai Abramson das alljährliche Konzert abgesagt. Die jüdische Gemeinschaft ist empört und will gegen den Entscheid klagen

von Michael Thaidigsmann  05.11.2025 Aktualisiert

Essay

Mamdanis demokratische Steigbügelhalter

Führende Politiker der Demokraten haben aus Opportunismus die Wahl des Israel-Hassers Zohran Mamdani zum New Yorker Bürgermeister ermöglicht - und so in Kauf genommen, dass aus Worten gegen Israel wieder Gewalt gegen Juden werden könnte

von Menachem Z. Rosensaft  05.11.2025

Vatikan

Theologe: Antisemitismus bei Vatikan-Konferenz kein Einzelfall

Der Salzburger Theologe Hoff berichtet über Eklats bei einer jüngsten Vatikan-Konferenz. Ein Schweizergardist soll sich verächtlich über Mitglieder einer jüdischen Delegation geäußert und in ihre Richtung gespuckt haben

 04.11.2025