nachruf

Brasiliens Bücherwart

José Ephim Mindlin sel. A. (r.) Foto: G. Scatena

Brasilien hat am Sonntag vergangener Woche einen Mann verloren, der Bücher über alles liebte und die größte Privatbibliothek südlich des Äquators hütete. Wer in den Originalen brasilianischer Klassiker oder in historischen Konvoluten blättern wollte, der musste viele Jahre lang zu José Mindlin in den Stadtteil Brooklin von São Paulo pilgern. Mindlin starb am 28. Februar im Alter von 95 Jahren an einer Lungenentzündung. Seine Bibliothek von 50.000 Bänden hatte er schon vorher der Universität von São Paulo vermacht.

José Ephim Mindlin kam 1914 in São Paulo als Kind jüdischer Einwanderer aus Odessa auf die Welt. Sein Interesse an alten Büchern und Werkausgaben trieb ihn schon als Junge in die Antiquariate an der Praça da Sé, wo er stundenlang herumstöberte. Mit 13 Jahren kaufte er sich die erste bibliophile Rarität, einen Almanach aus dem 18. Jahrhundert. Er muss ein aufgeweckter Junge gewesen sein und alles andere als weltfremd. Denn schon bald entdeckte er, dass die Händler für gleiche Bücher sehr unterschiedliche Preise verlangten und er sie gegeneinander ausspielen und seinen eigenen Bestand vergrößern konnte.

autoteile Die Fähigkeit, sowohl zu vermitteln wie zu makeln, kam ihm auch als Anwalt zugute. Aus einem Rechtsstreit zwischen verschiedenen Investoren ging José Mindlin 1949 wohl zu seiner eigenen Überraschung als Teilhaber der Firma »Metal Leve« hervor. Nun war er Unternehmer. Ein sehr erfolgreicher Unternehmer. Denn die Firma, die Vergaser und andere Autoteile herstellte, entwickelte sich in der Zeit der Motorisierung Brasiliens zu einem der größten Industriekomplexe der Nation. José Mindlin besaß nun das Kapital, um seiner wahren Berufung zu frönen: weltweit und oft auf abenteuerlichen Wegen einen Bücherberg anzuhäufen, um den ihn alle staatlichen Bibliotheken beneideten.

Bereits als Anwalt konnte er seine geliebten Bücher nicht mehr allein im Haus unterbringen; er musste immer wieder anbauen und Räume mieten, um seinen Schatz zu hüten. Aber er saß nicht darauf. Wer bei José Mindlin anklopfte, wurde eingelassen und in stundenlange Gespräche verwickelt.

Nichts konnte ihn mehr begeistern als ein neuer Fund aus den Tiefen der Geschichte und der Antiquariate. Sein Unternehmen lief von allein, er zog sich daraus zurück und widmete sich nun ganz den Büchern und der Lektüre.

Neben den Lesestunden kümmerte er sich vier Jahre lang als Kultusminister um Schulen und Universitäten. Auf seine Initiative ging auch die Einführung eines Kulturfernsehsenders zurück. José Mindlin war ein Freigeist und Demokrat durch und durch, auch unter der Militärdiktatur nahm er kein Blatt vor den Mund.

elend Der Tod seiner geliebten Frau Guita im Jahr 2006, mit der er 68 Jahre verheiratet war, ließ den lebenslustigen Mann im Elend zurück. Seine Gesundheit verschlechterte sich, und er musste sich vorlesen lassen weil sein Augenlicht nicht mehr hinreichte. José Ephim Mindlin hinterlässt fünf Töchter und zahlreiche Enkel und Urenkel. Er war der »Bücherwart« der Nation – und sein Erbe wird nun gebührend in einem neu zu bauenden Institut für Brasilien-Studien bewahrt

Nachruf

Trauer um Hollywood-Legende Arthur Cohn

Arthur Cohn war immer auf der Suche nach künstlerischer Perfektion. Der Schweizer Filmproduzent gehörte zu den erfolgreichsten der Welt, wie seine Oscar-Ausbeute zeigt

 12.12.2025

Meinung

Nemo unverbesserlich

Nemo gibt mit Rückgabe der ESC-Siegertrophäe auch Haltung ab. Statt Rückgrat zu zeigen, schwimmt das Schweizer Gesangswunder von 2024 im postkolonialen Strom mit

von Nicole Dreyfus  12.12.2025

Damaskus

Syriens Regierung erteilt erster jüdischer Organisation Lizenz

Mit Rabbiner Henry Hamras Stiftung »Jüdisches Erbe in Syrien« wird erstmals seit dem Ende der Assad-Dikatur wieder eine jüdische Organisation in dem arabischen Land aktiv sein

 11.12.2025

Museum

Auschwitz-Gedenkstätte zeigt neue Ausstellung

Mit einer neuen Ausstellung will die Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau das Schicksal der Häftlinge des Konzentrationslagers zeigen

von Christiane Laudage  11.12.2025

USA

An der Columbia University war Theodor Herzl Antisemit

Ein Abschlussbericht zum Antisemitismus an der New Yorker Elite-Universität zeigt, wie tief die Israel- und Judenfeindlichkeit im Lehrplan verankert war

 11.12.2025

USA

Wer hat Angst vor Bari Weiss?

Sie gilt als eine der einflussreichsten konservativen Medienmacherinnen des Landes. Aber was will die neue Chefin von CBS News eigentlich?

von Sarah Thalia Pines  11.12.2025

Brigitte Macrons Ausfall gegen Aktivistinnen entfacht eine landesweite Debatte.

Frankreich

First Lady an Abittans Seite – und gegen Feministinnen

Brigitte Macrons Ausfall gegen Feministinnen wirft ein Schlaglicht auf Frankreichs Umgang mit Protest, sexueller Gewalt und prominenten Beschuldigten.

von Nicole Dreyfus  11.12.2025

Nachruf

Gebäude wie Jazzmusik

Frank Gehry hat die Architektur tanzen lassen – was auch mit seinem Judentum zu tun hatte

von Johannes Sadek, Christina Horsten  10.12.2025

Hollywood

»Stranger Things« trotzt Boykottaufrufen

Während Fans den Start der letzten Staffel des Netflix-Hits feiern, rufen Anti-Israel-Aktivisten zur Ächtung der Serie auf

von Sophie Albers Ben Chamo  10.12.2025