Großbritannien

Blind für den Hass

Die jüdische Arbeiterbewegung hegt ein immer tieferes Misstrauen gegen die Labour Party

von Daniel Zylbersztajn  11.04.2019 12:09 Uhr

Demo gegen Judenhass in Manchester (2018) Foto: imago/ZUMA Press

Die jüdische Arbeiterbewegung hegt ein immer tieferes Misstrauen gegen die Labour Party

von Daniel Zylbersztajn  11.04.2019 12:09 Uhr

»Jeremy Corbyn taugt nicht für die Rolle der Landesführung.« Mit diesem nahezu einstimmigen Urteil sprach der britisch-jüdische Arbeiterverband JLM (Jewish Labour Movement) am Sonntag bei seiner Jahresversammlung Labours Parteichef das Misstrauen aus – mitten in dessen Brexit-Verhandlungen mit Premier­ministerin Theresa May.

Der Beschluss kam unmittelbar nach einer Enthüllung der »Sunday Times«. Die hatte am selben Morgen geschrieben, dass es bei der Bearbeitung von Beschwerden wegen Antisemitismus unter Genossen weiterhin »markante Probleme« gebe. Das war bekannt – doch neu ist, dass in rund 100 Fällen auch Mitarbeiter von Corbyns Parlamentsbüro daran beteiligt sein sollen. Und das, obwohl Corbyn erst im Februar der jüdischen Abgeordneten Margaret Hodge versichert hatte, sein Büro sei nicht in diese Fälle verwickelt.

Die Ju­den steckten hinter dem Islamischen Staat? Eine Aussage, die für Labour offensichtlich in Ordnung ist.

In einer an die »Sunday Times« weitergegebenen E-Mail hatte Corbyns Büroleiter Gordon Murray im April 2018 geschrieben: »Es ist wichtig, dass (Corbyns Sekretärin) Amy Jackson einen Überblick über alle Beschwerden hat, die gewählte Politiker oder Kandidaten betreffen.« Andere Beschwerden über antisemitische Genossen gingen, daraufhin deuten andere von der Zeitung veröffentlichte E-Mails, direkt an den Verwaltungschef und Justiziar der Partei, Thomas Gardiner, der laut »Sunday Times« ein enger Vertrauter Corbyns ist.

suspendierung Gardiner habe sich, so das Londoner Blatt, in die Fälle eingemischt. So hätte er die Suspendierung eines Mitglieds blockiert, das ein Bild von einer Art Außerirdischem mit Davidstern gepostet hatte, der die Freiheitsstatue erdrückte. Gardiner habe dies nicht für antisemitisch, sondern lediglich für antiisraelisch gehalten. Genauso soll er im Falle einer Genossin gehandelt haben, die behauptete, »die Ju­den« und steckten hinter der Revolution in der Ukraine und dem Islamischen Staat.

In einem anderen Fall, der erst wenige Wochen zurückliegt, soll Gardiner ein Eilverfahren unterbunden haben, das einige Parteifunktionäre wegen der Schwere einer besonders böswilligen antisemitischen Beleidigung von zwei weiblichen Abgeordneten eingeleitet hatten.

Er blicke mit Wehmut auf die Jahre zurück, in denen eine Mitgliedschaft bei Labour zu den Barmizwa-Geschenken gehörte, sagt Katz.

Aus dem Bericht der »Sunday Times« geht weiter hervor, dass 456 von 863 Beschwerden ignoriert wurden. Und von den 409 abgeschlossenen Verfahren blieben 191 ohne jegliche Konsequenzen für die entsprechenden Genossen. 145 erhielten lediglich eine Verwarnung. Nur 30 Personen hätten die Partei verlassen müssen, und bei 249 Personen stehe ein Verfahren noch aus, hieß es.

Zusätzlich berichtete die britische Zeitung »The Guardian« von Genossen, die weiterhin Parteimitglieder seien, obwohl sie in Kommentaren geschrieben hatten, Juden stünden hinter dem Terroranschlag von Manchester im Jahr 2016.

Klagen Der neu gewählte JLM-Vorsitzende Mi­ke Katz betonte Anfang der Woche im Gespräch mit der Jüdischen Allgemeinen, dass die Entwicklung niemanden überraschen könne. »In dieser Hinsicht muss Corbyn die Partei endlich einmal führen!« Die Entscheidung für das Misstrauensvotum basiere auf einem Berg von Klagen und gebrochenen Versprechen, sagte Katz. Nach den öffentlichen Protesten im vergangenen Jahr hätte das JLM bei Gesprächen mit Corbyn einen Plan mit mehreren Eckpunkten aufgestellt. Einer davon sei, dass die Jüdische Labour-Bewegung Seminare gegen Antise­mitismus abhalten soll, wovon jedoch bislang we­nig zu erkennen sei.

Labour habe, was den Antisemitismus betrifft, vollkommen versagt, erklärt der Vize-Chef der Partei.

Die Partei habe die Seminare von anderen veranstalten lassen wollen, kritisiert Katz. »JLM, eine breit gefächerte Gruppe von Zionisten und Sozialisten, will dagegen ankämpfen, dass sich Leute, die eine vorgefasste Meinung zum Nahostkonflikt haben und sie mit Antisemitismus verknüpfen, weiterhin von der Partei angezogen fühlen können.« Er blicke mit Wehmut auf die Jahre zurück, in denen eine Mitgliedschaft bei Labour zu den Barmizwa-Geschenken gehörte, sagte Katz.

Labour erklärte inzwischen, die in der »Sunday Times« veröffentlichten Zahlen seien falsch und würden ein verzerrtes Bild abgeben. Allerdings sagte der stellvertretende Labour-Chef Tom Watson, der kürzlich einen moderateren Flügel innerhalb der Partei gegründet hat, auf »Sky News«, die Partei habe, was den Antisemitismus betrifft, vollkommen versagt. Dies sei inakzeptabel und eine Schande. Er gebe sein persönliches Versprechen, alles in seiner Macht Stehende zu tun, um »die Partei von dieser Plage zu befreien«.

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