Polen

Aus Respekt schweigen

Gefangenenbaracke Nr. 30 des früheren Vernichtungslagers Auschwitz II Foto: dpa

Auschwitz-Birkenau ist für jeden Papst eine Herausforderung: Was soll das Kirchenoberhaupt am Freitag bei seinem Besuch sagen? Angesichts der mehr als einer Million dort ermordeten Juden und der insgesamt sechs Millionen Schoa-Opfer.

Schon Wochen vor seiner Reise nach Polen und dem katholischen Weltjugendtag in Krakau kündigte Papst Franziskus (79) an, dass er, anders als seine Vorgänger Johannes Paul II. und Benedikt XVI., in dem früheren Nazi-Vernichtungslager keine Ansprache halten werde. »Ich möchte allein an diesen Ort des Grauens gehen und beten, nur mit ein paar Menschen in meiner Begleitung«, erklärte Franziskus. »Gebe Gott mir die Gnade, dort zu weinen.«

Oberrabbiner Auf dem schweren Gang vom Eingangstor, durch das die Todeszüge bis zur Rampe fuhren, zu den Ruinen der Gaskammern wird der Papst von seinem argentinischen Freund, Rabbiner Abraham Skorka, und Polens orthodoxem Oberrabbiner Michael Schudrich begleitet. Am großen Mahnmal für alle jüdischen Opfer in Auschwitz-Birkenau werden zehn Überlebende und 25 Gerechte unter den Völkern auf den Papst warten. Er will mit jedem der Überlebenden ein kurzes Gespräch führen und den meist polnisch-katholischen Gerechten danken, dass sie während der deutschen Besatzung Polens ihr Leben riskierten, um jüdische Freunde oder Nachbarn zu retten.

Später will der Papst auch durch das Tor mit der berüchtigten Aufschrift »Arbeit macht frei« des sogenannten Stammlagers Auschwitz I gehen und in der Todeszelle des später heilig gesprochenen Franziskanermönchs Maximilian Kolbe beten.

»Schweigen ist sehr biblisch«, kommentiert Polens Oberrabbiner Schudrich die Entscheidung des Papstes, die vorgesehene Gedenkrede doch nicht zu halten. »Es erinnert an das Schweigen Aarons nach dem Tod seiner beiden Söhne: ›Wie kann ich sprechen an einem Ort schlimmer als die Hölle?‹« Das bedeute allerdings nicht, dass man »nicht eine Stunde später oder am nächsten Tag darüber sprechen kann«. Die Welt werde diese Geste verstehen, zumal Papst Franziskus schon früher über die Schoa gesprochen habe und dies sicher wieder tun werde.

Kritik Wie eine verhaltene Kritik am Pontifex klingt hingegen der »Brief der ehemaligen Auschwitz-Häftlinge« an die Teilnehmer des Weltjugendtages. »Wir wollen nicht, dass dieser Ort des Grauens in die Stille fällt, schreiben sie. »Viele der Opfer waren damals so alt, wie Ihr heute seid. (…) Aus Auschwitz und den Feldern der Asche, die Ihr besuchen werdet, sind die allermeisten von uns alleine zurückgekehrt. (…) Und dennoch sind wir nicht im Hass auf die Mörder erstarrt, hat uns die Verzweiflung und Bitterkeit nicht stumm werden lassen.« Nun sollten die jungen Leute, die nach Auschwitz kommen, den Stab übernehmen: »Empört Euch über das Unrecht und die Gleichgültigkeit derer, die das Unrecht geschehen lassen. Die Welt ist in Eure Hände gelegt, so wie unsere Erinnerungen. Schützt die Toleranz und die Demokratie, habt Freude am Leben!«, appellieren sie an die Teilnehmer des Jugendtags.

Rabbiner Skorka, dessen Eltern aus Polen stammen, ist seit vielen Jahren eng mit dem heutigen Papst befreundet. In einem Interview mit der Gazeta Wyborcza scherzte der Rektor des lateinamerikanischen Rabbinerseminars in Buenos Aires, dass es eigentlich nur einen Punkt gebe, in dem sie fundamental anderer Ansicht seien: »Ich bin Fan von River Plate, während der Papst die Fußballer von San Lorenzo anfeuert.« Theologisch gäbe es keine sehr großen Unterschiede, da die christliche Ethik ja auf der jüdischen basiere. »Die wichtigste Lebensregel ist für uns beide die Nächstenliebe«, sagt Skorka.

Spanien

Mallorca als Vorbild

Das Stadtparlament von Palma hat eine Antisemitismus-Resolution verabschiedet – anders als der Rest des Landes

von Sabina Wolf  26.07.2024

Sport

Der Überflieger

Artem Dolgopyat ist in Israel ein Star. Bei den Olympischen Spielen 2021 in Tokio gewann der Turner Gold, 2023 wurde er Weltmeister. Nun tritt er in Paris an

von Martin Krauß  26.07.2024

Europäisches Parlament

»Zittert. Das hier ist nur der Anfang«

Die frisch gebackene französische Abgeordnete Rima Hassan hetzt gegen Israel

von Michael Thaidigsmann  25.07.2024

Ausstellung

Olympioniken im KZ Buchenwald

Auf dem Ettersberg bei Weimar treffen unterschiedlichste Biografien aufeinander

von Matthias Thüsing  25.07.2024

Frankreich

»Man ist schließlich französisch«

Ganz Paris feiert die Olympischen Spiele. Ganz Paris? Nicht alle Juden fühlen sich vom erwünschten »Wir-Effekt« angesprochen. Denn das Land bleibt zerrissen

von Sophie Albers Ben Chamo  25.07.2024

USA

Die zweite Wahl?

Mit dem Rückzug von Joe Biden und der Kandidatur von Kamala Harris könnte das Rennen um die Präsidentschaft noch einmal richtig spannend werden

von Michael Thaidigsmann  24.07.2024

Jüdische Emigration

Die Niederlande - Ein Ort der Zuflucht für Juden?

Die Historikerin Christine Kausch nimmt das Leben jüdischer Flüchtlinge in den Blick

von Christiane Laudage  24.07.2024

Vor 80 Jahren

Von Rhodos nach Auschwitz

1944 wurden 2000 Jüdinnen und Juden von Rhodos nach Auschwitz deportiert. Nur wenige überlebten

von Irene Dänzer-Vanotti  23.07.2024

Jerusalem

Nach Gaza entführter Holocaust-Experte für tot erklärt 

Der Historiker Alex Dancyg ist in der Geiselhaft umgekommen

 22.07.2024