USA

Aufklärung am East River

Die Bereitschaft, nichtjüdische Autoritäten einzuschalten, steigt. Foto: getty

Wäre jemals ein böser Geist mit dem Auftrag betraut worden, am Reißbrett ein Milieu zu entwerfen, in dem der sexuelle Missbrauch von Kindern gedeihen kann – dann hätte er vielleicht (neben der katholischen Kirche) die ultraorthodoxe jüdische Gemeinschaft erfunden. Ein Milieu, das sich gegenüber der Außenwelt abschottet und ihr misstraut; ein Milieu, in dem es unmöglich ist, offen über Sex zu sprechen; ein Milieu, in dem üble Nachrede als besonders schweres Vergehen gilt.

Haftstrafen Die Nachricht lautet also nicht, dass es unter ultraorthodoxen Juden in New York zu Fällen von sexuellem Kindesmissbrauch gekommen ist. Die Nachricht lautet vielmehr, dass einige dieser Fälle jetzt ans Licht kommen – und dass sich unter den Ultrafrommen selbst etwas verändert: Es wird plötzlich über das Unsägliche geredet.

In drei Jahren, sagte Charles Hynes, der als Staatsanwalt für den Bezirk Brooklyn zuständig ist, seien 83 Männer und zwei Frauen wegen sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen verhaftet worden. 38 der Fälle seien abgeschlossen, es gebe 24 Verurteilungen. Die Haftstrafen reichten von wenigen Monaten bis zu 20 Jahren. Etwa die Hälfte der 117 Missbrauchsopfer sind Jungen.

Besonders eindrucksvoll ist der Fall von Andrew Goodman, einem 27-Jährigen mit Engelsgesicht. Ihm wird vorgeworfen, über Jahre hinweg zwei orthodoxe Jungen in Flatbush missbraucht zu haben. Der eine war am Anfang des Missbrauchs elf, der andere 13 Jahre alt. Goodman soll in seinem Haus Partys mit Alkohol veranstaltet und Kindern Pornofilme gezeigt haben. Wie New Yorker Medien berichteten, habe eines seiner Opfer sich einem Chabad-Rabbiner anvertraut. Der riet dem Jungen, zur Polizei zu gehen. »Du, weißt, dass ich dann tot bin«, habe das Kind geantwortet.

Kodex Die Meldung von den 85 Verhaftungen kommt zu einer Zeit, da Hynes vorgeworfen wird, er lasse in der ultraorthodoxen Gemeinschaft nicht rabiat genug ermitteln, weil er es sich nicht mit den Rabbinern verderben wolle – Vorwürfe, die Hynes vehement bestreitet. Allerdings weigert er sich auch jetzt noch, Namen zu nennen. Das kann viele Gründe haben. Manchmal werden die Namen der Täter nicht genannt, weil dadurch auch die Identität der Opfer aufgedeckt würde (die es meist vorziehen, ihren Schmerz nicht öffentlich zu machen).

Grundsätzlich ist es in Amerika so, dass jeder im Internet nachschauen kann, ob ein verurteilter Sexualverbrecher in seiner Nähe wohnt. In den orthodoxen Vierteln von New York sieht man vergleichsweise wenige verurteile Sexualverbrecher. Das verwundert. Außerdem ist es üblich, die Namen von Verdächtigen zu nennen, gegen die ein Verfahren eröffnet wurde.

Mit seiner Geheimniskrämerei sieht sich Hynes erneuter Kritik ausgesetzt. Dennoch bleibt es beeindruckend, wie viele Missbrauchsopfer er davon überzeugen konnte, sich mit ihren Geschichten an die Staatsanwaltschaft zu wenden. Hynes hat eigens ein Projekt ins Leben gerufen, das »Kol Tzedek« (Stimme der Gerechtigkeit) heißt und Opfer in den ultraorthodoxen Gemeinden ermutigen soll, das Schweigen über das, was ihnen angetan wurde, zu brechen.

Halacha Agudath Israel of America, die größte ultraorthodoxe Dachorganisation der Neuen Welt, besteht weiterhin darauf, dass Missbrauchsopfer sich erst mit dem Rabbiner ihrer Gemeinde in Verbindung setzen müssen, ehe sie weltliche Autoritäten einschalten. Dabei bezieht Agudath Israel sich auf jenes halachische Gesetz, das »Mesira« verbietet: Man darf keinen Juden verraten und an ein nichtjüdisches Gericht ausliefern.

Im Juli aber veröffentlichte ein Beit Din, ein religiöses Gericht der Lubawitscher Chassiden in Brooklyn, einen ganz anderen Entscheid: Ein »Milieu des Missbrauchs« sei dadurch am Leben erhalten worden, dass die Opfer geschwiegen hätten – sei es aus »Angst vor Stigmatisierung«, sei es aus Furcht, das jüdische Gesetz zu verletzen. Das Verbot, säkulare Gerichte anzurufen, gelte aber ausdrücklich nicht in Fällen, »in denen es Beweise für den Missbrauch« gebe. Das ist ein Anfang.

Australien

Faktencheck zum Terroranschlag in Sydney

Nach dem Blutbad am Bondi Beach ist noch vieles unklar. Solche Situationen nutzen Menschen in sozialen Netzwerken, um Verschwörungsmythen zu verbreiten

 15.12.2025

Faktencheck

Ahmed Al Ahmed hat einen Angreifer am Bondi Beach entwaffnet

Ein Passant verhindert Schlimmeres - und wird im Netz umbenannt. Angeblich soll Edward Crabtree einen der Täter von Sydney entwaffnet haben. Doch die Geschichte stammt von einer Fake-Seite

 15.12.2025

Sydney

Australiens Premierminister widerspricht Netanjahu

Nach dem Anschlag in Sydney betont Premierminister Albanese: Die Anerkennung Palästinas durch Australien steht nicht im Zusammenhang mit der Tat

 15.12.2025

Kommentar

Müssen immer erst Juden sterben?

Der Anschlag von Sydney sollte auch für Deutschland ein Weckruf sein. Wer weiter zulässt, dass auf Straßen und Plätzen zur globalen Intifada aufgerufen wird, sollte sich nicht wundern, wenn der Terror auch zu uns kommt

von Michael Thaidigsmann  14.12.2025

Meinung

Blut statt Licht

Das Abwarten, Abwiegeln, das Aber, mit dem die westlichen Gesellschaften auf den rasenden Antisemitismus reagieren, machen das nächste Massaker nur zu einer Frage der Zeit. Nun war es also wieder so weit

von Sophie Albers Ben Chamo  14.12.2025 Aktualisiert

Anschlag in Sydney

Felix Klein: »Von Terror und Hass nicht einschüchtern lassen«

Zwei Männer töten und verletzen in Sydney zahlreiche Teilnehmer einer Chanukka-Feier. Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung äußert sich zu der Tat

 14.12.2025

Terror in Sydney

Zivilist entwaffnet Angreifer und wird als »Held« gefeiert

Zwei Männer schießen auf Teilnehmer einer Chanukka-Feier in Sydney: Es gibt Tote und Verletzte. Ein Video soll nun den mutigen Einsatz eines Passanten zeigen

 14.12.2025

Australien

Merz: »Angriff auf unsere gemeinsamen Werte«

Bei einem Anschlag auf eine Chanukka-Feier in der australischen Metropole gab es viele Tote und Verletzte. Der Bundeskanzler und die Minister Wadephul und Prien äußern sich zu der Tat

 14.12.2025 Aktualisiert

Terror in Sydney

Zentralrat der Juden: »In Gedanken bei den Betroffenen«

Der Zentralrat der Juden und weitere jüdische Organisationen aus Deutschland äußern sich zu dem Anschlag auf eine Chanukka-Feier im australischen Sydney

 14.12.2025 Aktualisiert