Frankreich

Aufatmen in Paris

Emmanuel Macrons Wahlparty am Sonntagabend auf dem Champ de Mars in Paris Foto: IMAGO/Le Pictorium

Frankreichs jüdische Organisationen sind erleichtert über den Ausgang der Präsidentschaftswahl: Im Vorfeld der Stichwahl zwischen Amtsinhaber Emmanuel Macron und der rechtsradikalen Herausforderin Marine Le Pen hatten wichtige jüdische Dachverbände dazu aufgerufen, Le Pen zu verhindern.

Das CRIF (Conseil représentatif des ins­titutions juives de France) hatte erklärt: »Unsere individuellen Freiheiten, unsere soziale Vielfalt, unsere Traditionen und die Stabilität unseres Landes stehen auf dem Spiel.«

laizismus Die rechtsextreme Partei Rassemblement National (RN) von Marine Le Pen hatte geplant, das Tragen religiöser Kopfbedeckungen wie Kopftuch und Kippa sowie die Brit Mila zu verbieten. Vor der Stichwahl versuchte sie dann zwar, ihre Vorschläge zum Laizismus zu lockern, um in der Öffentlichkeit gemäßigter zu wirken.

Doch die Inkohärenz ihrer Vorschläge entblößte ihr anti-republikanisches Vorhaben. Le Pen versicherte, dass nur das Tragen eines Kopftuchs und nicht das einer Kippa im öffentlichen Raum verboten werden solle. Wie dies verfassungsgemäß hätte durchgesetzt werden sollen, blieb unerklärt.

Die rechtsextreme Kandidatin Marine Le Pen wollte ein Verbot religiöser Kopfbedeckungen.

Dem Programm des RN zufolge sollte Frankreich das erste Land in Europa werden, wo nicht nur die Schechita, sondern auch der Import koscheren Fleischs verboten ist. Der jüdische Politikwissenschaftler Jean-Yves Camus findet das untragbar. »Mein Schwiegervater hat 1943 während der NS-Besatzung in Nizza unter enormem Risiko geschächtet. Dieses Recht, das wir uns schwer erkämpft haben, werden wir uns nicht einfach nehmen lassen.« Die Schechita sei seit 1807 in Frankreich erlaubt, betont Camus im Gespräch mit der Jüdischen Allgemeinen.

BEDROHUNG CRIF-Präsident Francis Kalifat sagte am Montagmorgen im Sender »Radio J«, es sei gut für die jüdische Gemeinschaft, dass Macron gewonnen habe. Allerdings zeigte sich Kalifat besorgt über das gute Abschneiden Le Pens und die geringe Wahlbeteiligung: »Wir werden Mittel und Wege finden müssen, um diese populistische Bedrohung zu verringern, egal, ob sie von der extremen Rechten oder der extremen Linken kommt.« Von beiden Seiten ginge eine Bedrohung für die Demokratie aus, so Kalifat auch mit Verweis auf den Linkspopulisten und erklärten CRIF-Gegner Jean-Luc Mélenchon.

Dieser war im ersten Wahlgang auf 22 Prozent der Stimmen gekommen und damit nur knapp hinter der Zweitplatzierten Le Pen (23,2 Prozent) gelandet. Mélenchons linksradikale Bewegung La France Insoumise (LFI) will nun bei den Parlamentswahlen im Juni so viele Sitze erobern, dass Macron gezwungen wird, ihn zum Premierminister zu ernennen.

Von den Oppositionsparteien werden die anstehenden Parlamentswahlen als »dritte Wahlrunde« bezeichnet. Die Europa-Vorsitzende des American Jewish Committee (AJC), Simone Rodan-Benzaquen, finde diese Formulierung höchst bedenklich, sagte sie der Jüdischen Allgemeinen. »Es gibt keine dritte Wahlrunde. Emmanuel Macron ist der demokratisch gewählte Präsident.«

linksextremisten Rodan-Benzaquen kritisiert die Linksextremisten, die sich ständig über das undemokratische Verhalten des Rassemblement National aufregten und nun selbst das Wahlergebnis nicht akzeptieren möchten.

Die Parlamentswahlen werden für französische Juden wohl zu einer weiteren Herausforderung. Für besondere Aufregung sorgt, dass der linke Aktivist Taha Bouhafs auf der LFI-Kandidatenliste steht. Der 24-jährige Franko-Algerier ist für seinen radikalen Antizionismus und seine Nähe zu islamistischen Denkern berüchtigt. AJC-Chefin Rodan-Benzaquen und der Historiker Jean-Yves Camus sehen in Bouhafs’ Kandidatur eine »Provokation« gegenüber der jüdischen Gemeinschaft.

Neben dem CRIF hatte vor der Stichwahl auch das Consistoire Central – der staatlich anerkannte Zusammenschluss der jüdischen Gemeinden Frankreichs – offen für die Wiederwahl Macrons geworben und vor Le Pen gewarnt.

stärkung Consistoire-Chef Elie Korchia hatte vergangene Woche der Tageszeitung »Le Monde« gesagt, auch die Präsidentschaftskandidatur des rechtsex­tremen jüdischen Bewerbers Éric Zemmour habe zur Stärkung Le Pens beigetragen. Zemmour habe sie rechts überholt und damit den Eindruck erweckt, Le Pen sei eine gemäßigte Kandidatin, so Korchia.

Neben dem CRIF hatte vor der Stichwahl auch das Consistoire Central offen für die Wiederwahl Macrons geworben und vor Le Pen gewarnt.

Éric Zemmour hatte innerhalb der jüdischen Gemeinschaft einen gewissen Erfolg. In der ersten Wahlrunde am 10. April gaben mehr als 50 Prozent der in Israel lebenden französischen Wahlberechtigten dem Rechtsextremen ihre Stimme. In Frankreich wurde dieser Rechtsruck kontrovers diskutiert, doch AJC-Vorsitzende Simone Rodan-Benzaquen rät zu einer differenzierten Analyse der Wahlergebnisse. »Es sind nur zehn Prozent der in Israel lebenden Franzosen überhaupt zur Wahl gegangen. In Israel gefiel vielen, dass Zemmour selbst algerischer Jude ist, und er hat unter den zwölf Kandidaten am meisten das Antisemitismusproblem in Frankreich angesprochen.«

israel Bei der Stichwahl am vergangenen Sonntag stimmten in Israel dann fast 90 Prozent der Wähler für Emmanuel Macron. Simone Rodan-Benzaquen wundert das nicht, denn der Rassemblement National bleibt für die meisten Juden eine antisemitische Partei.

Der Politikwissenschaftler Jean-Yves Camus betont allerdings, dass durch die Stimmabgabe für Éric Zemmour im ersten Wahlgang ein Teil der französisch-jüdischen Gemeinde seine Unzufriedenheit mit Macrons Politik ausgedrückt hat und dass der Staatschef in Zukunft die Bekämpfung von Antisemitismus ernster nehmen müsste, wenn er diese Wähler nicht verlieren möchte.

Die in Genf geborene Schweizer Schriftstellerin und Philosophin Jeanne Hersch aufgenommen im März 1999

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