Unterhauswahlen

Auf dem Weg nach Westminster

Britischer Humor: die Chefs der führenden Parteien, hier in einer Installation vor den Houses of Parliament Foto: dpa

Unterhauswahlen

Auf dem Weg nach Westminster

Juden schauen sich genau an, wie die Kandidaten zu Israel stehen

von Daniel Zylbersztajn  27.04.2015 23:02 Uhr

Am 7. Mai wird im Vereinigten Königreich gewählt. Die meisten Wähler interessiert, was die Kandidaten von Europa und dem strengen Sparkurs halten. Jüdische Wähler möchten allerdings auch wissen, wie die Parteien zu Israel stehen.

Glaubt man dem Vizepräsidenten der jüdischen Dachorganisation Board of Deputies, Jonathan Arkush, sind Großbritanniens Juden vor allem mit Ed Milibands Haltung gegenüber Israel unzufrieden. Der Labour-Chef, der aus einer jüdischen Flüchtlingsfamilie stammt, sagte letzten Sommer während des Gazakrieges zwar, Jerusalem habe das Recht auf Selbstverteidigung, aber er verurteilte die israelischen Streitkräfte. Kurz darauf, im Oktober, empfahl Miliband seiner Fraktion, bei einer Abstimmung im Unterhaus für einen unabhängigen palästinensischen Staat zu stimmen.

Das alles nehmen ihm viele jüdische Wähler übel. Laut einer Umfrage des in London erscheinenden Jewish Chronicle würden 69 Prozent lieber konservativ wählen. Sie glauben, dass der amtierende Premier David Cameron ihre Interessen weitaus besser vertritt als Miliband. Großen Eindruck gemacht haben Camerons Israelbesuch, die starke Fürsorge für Schoa-Überlebende und die Ankündigung, den Bau einer nationalen Holocaustgedenkstätte mit umgerechnet rund 67 Millionen Euro zu unterstützen. Außerdem hat Cameron zugesagt, für die Sicherheit jüdischer Einrichtungen zu sorgen, und anders als Oppositionschef Miliband stand er während des letzten Gazakriegs uneingeschränkt hinter Israel.

Palästina Einer der Labour-Kandidaten, der den jüdischen Unmut über seine Partei persönlich spürt, ist Fabian Hamilton. Er will sich im nordenglischen Wahlkreis Leeds-Nordost, wo der Großteil der 8000 jüdischen Bürger der Stadt lebt, wiederwählen lassen. Hamilton ist selbst jüdisch und sitzt seit 1997 im Parlament. Die Haltung seines Parteichefs zu Palästina nennt Hamilton einen Fehler und sieht darin eine wahlkampftaktische Entscheidung: »300.000 Juden haben weniger Gewicht als zwei Millionen muslimische Wähler.« Hamilton glaubt, dass dennoch etliche Juden für Labour stimmen werden, denn gerade sozial engagierte jüdische Wähler seien darüber besorgt, dass die Konservativen ihre strenge Haushaltspolitik fortsetzen wollen.

Michael Fabricant von den regierenden Konservativen stimmt dieser Analyse nicht zu. Im Gegenteil: »Die jüdischen Wähler haben Angst davor, was Labour mit der Wirtschaft anrichten könnte«, meint der Tory, der seit 1992 für den Wahlbezirk Lichfield im Unterhaus sitzt. Der exzentrische Politiker ist selbst jüdisch und sehr populär. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird er seinen Sitz im Westminster-Palast verteidigen können.

Bei den letzten Wahlen vor fünf Jahren brachten die Konservativen ein ganzes Dutzend jüdischer Abgeordneter ins Unterhaus, mehr als jede andere Partei. Wie Fabricant können sich auch John Bercow, der amtierende Präsident des Unterhauses, und Abgeordnete wie der Staatsminister beim Premier, Lordsiegelbewahrer Oliver Letwin, relativ sicher sein, dass sie nächste Woche wiedergewählt werden.

Außer Tories und Labour-Politikern haben auch einige kleinere Parteien jüdische Kandidaten in ihren Reihen. Eine von ihnen ist die in Israel geborene Grüne A. M. Poppy. Sie will alles daran setzen, einen weiteren Erfolg der Tories zu verhindern. Auch wenn sie in ihrem Wahlkreis London Barnet Chipping selbst nicht die Tories besiegen könne, sei jede Stimme für sie »ein Signal an Westminster gegen Austerität, TTIP und für eine fairere und nachhaltigere Gesellschaft«, sagt sie.

Mit der offiziellen Haltung der Grünen zu Israel dürften sich die meisten jüdischen Mitglieder allerdings schwertun. In ihrem Manifest fordern die britischen Grünen ein Ende der EU-Handelsbeziehungen mit Israel. Immerhin verurteilt das Manifest auch die Menschenrechtsverletzungen der Hamas, und es kritisiert China, Syrien, den Sudan und Pakistan. Doch Israel ist das einzige Land, gegen das ein Handelsembargo gefordert wird. Poppy gesteht, dass der Boykottaufruf kontrovers ist, sie verstehe ihn jedoch als »gewaltfreie Verteidigung von Recht und internationalen Normen« und sei stolz darauf, einer Partei anzugehören, die ihre »Richtlinien durch begründete, offene und demokratische Diskussionen herbeiführt«, erklärte sie.

Rechtspopulisten In Poppys unmittelbarer Umgebung treten zwei jüdische Kandidaten der rechtspopulistischen UKIP an. Allerdings haben sie genauso wenig Aussichten auf Erfolg wie A. M. Poppy – ohne dabei weniger kontrovers zu sein. Einer der beiden ist der Zahnarzt Raymond Samash. Er steht im Londoner Stadtteil Barnet Hendon zur Wahl, wo der Anteil jüdischer Wähler bei rund 30 Prozent liegt.

Sein Listenplatz wurde Ende März frei, nachdem sein (ebenfalls jüdischer) Parteikollege Jeremy Zeid zurücktreten musste. Er hatte Israel aufgerufen, »Barack Obama zu kidnappen und ihn wie einen Nazikriminellen zu behandeln«. Dem Jewish Chronicle verriet Nachfolger Samash dann später seine eigene, nicht weniger stereotype Weltsicht: nämlich, dass er Muslime »aufgrund ihrer Anzahl« fürchte. Auch in anderen Teilen Londons gibt es jüdische Kandidaten. Neben der Labour-Veteranin Margaret Hodge im östlichen Stadtteil Barking tritt im nordöstlichen Wood Green die Liberaldemokratin Lynne Featherstone an. In Bezug auf Israel sieht sie sich eher in der Mitte. Probleme hatte sie dennoch, vor allem mit den Ansichten ihres Parteifreunds David Ward, der immer wieder anti-israelische Kommentare von sich gab. So twitterte er nach den Pariser Terroranschlägen im Januar: »Je suis Palestinian!« Man nehme den Fall sehr ernst, versicherte Featherstone, ihre Partei toleriere so etwas nicht.

Ging es hier noch um Israel, wurde die Liverpooler Labour-Co-operative-Abgeordnete Luciana Berger per Twitter angegriffen, nur weil sie Jüdin ist. Die gerichtliche Verurteilung des Täters löste eine weitere und noch viel größere antisemitische Hasskampagne gegen sie aus. Bei der parlamentarischen Palästina-Abstimmung im Oktober enthielt sie sich, zusammen mit einigen anderen parlamentarischen Labourfreunden Israels, deren Direktorin Berger vor ihrer Wahl ins britische Unterhaus war. Nun stellt sie sich tapfer zur Wiederwahl.

Frontmann Während Berger mit ihren 33 Jahren zu den jüngsten Aufsteigerinnen in ihrer Partei gehört, ist Sir Gerald Kaufman der älteste jüdische Frontmann. Trotz seiner 85 Jahre steht er in Manchester zur Wiederwahl bereit. Damit könnte das ehemalige Mitglied der Poale Zion bald auch Alterspräsident des Parlaments werden.

Kaufman, der sowohl Israels frühere Ministerpräsidentin Golda Meir als auch den ehemaligen PLO-Chef Jassir Arafat als seine Freunde bezeichnete, macht kein Geheimnis daraus, dass er Israels Regierungspolitik sehr kritisch betrachtet. In der Vergangenheit hatte er sich sogar für ein Waffenembargo gegenüber Jerusalem ausgesprochen, »um Israel zu zwingen, Frieden mit den Palästinensern zu machen«.

Das Kabinett von Benjamin Netanjahu bezeichnete Kaufman als »die schlimmste Regierung, die Israel je hatte« und sprach sich im Unterhaus für ein unabhängiges Palästina aus. Gleichzeitig verurteilte er Aktionen der Hamas und verglich ihre Strategie mit jener des Irgun und der Sterngruppe in den zionistischen Ursprungsjahren.

Entscheidend für den Ausgang der Wahlen am 7. Mai dürften die Stimmen jüdischer Wähler – ganz gleich, für wen sie sich entscheiden – nicht sein. Juden machen an der Gesamtbevölkerung Großbritanniens nur einen winzigen Anteil von 0,5 Prozent aus. Zieht man Kinder und Jugendliche, die noch nicht wählen dürfen, ab, sind es noch viel weniger.

Dennoch stehen die Chancen nicht schlecht, dass bald Ed Miliband Premierminister wird. Für viele Juden im Land ist der 45-Jährige, trotz seiner jüdischen Herkunft, nicht der richtige Mann.

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