Geiselnahmen

»Zwischen Hoffnung und völliger Verzweiflung«

Palästinensische Terroristen verschleppen einen israelischen Zivilisten aus dem Kibbuz Kfar Azza in den Gazastreifen.

Mit einem Lippenstift schrieb der Terrorist an die Wand: »El Kassem ermordet keine kleinen Kinder.« Die Frau, der der Lippenstift gehörte, hatte er kurz zuvor erschossen. Ihren Lebensgefährten auch. Vor den Augen der zwei kleinen Kinder, deren Vater und Stiefmutter die beiden waren.

Drei Stunden mussten die beiden Kinder neben den Leichen verharren, bis ein Nachbar sie rettete. Während dieser Zeit waren sie am Telefon mit ihrer Mutter Reut Karp, die in der Nähe des Zentrums lebt. Völlig verzweifelt, ganz nah und doch unerreichbar.

telefon »Drei Stunden lang war ich mit meiner Tochter Daria am Telefon. Ich versuchte, sie zu beruhigen, und atmete gemeinsam mit ihr«, erzählt die Mutter am Sonntag. Ihre Tochter habe gehört, dass noch immer Männer im Haus seien. »Ich beschwor sie, leise zu sein. Doch wir hielten die Leitung die ganze Zeit offen. Ich in Yehud und Daria im belagerten Haus.«

»Bis ihr Schutzengel kam. Golan Spaton, der Nachbar. Er rannte ins Haus und blieb mit ihnen dort für weitere neun Stunden. Golan riskierte sein Leben für meine Kinder.« Als er gefühlt habe, dass es etwas sicherer war, rettete er die Kinder durch das Fenster und flüchtete in den Sicherheitsraum seines eigenen Hauses, wo seine Frau und er sich mit den Kindern versteckten, bis die Armee kam.

Reut konnte ihre Kinder bislang noch immer nicht in ihre Arme schließen, doch sie seien in Sicherheit, sagt sie erschöpft. Dass dieser Moment bald kommt, ist alles, woran sie denken kann. »Ich will sie nur endlich spüren.«

angehörige Den Horror, den die Angehörigen der verschleppten und getöteten Israelis derzeit durchleben, ist kaum in Worte zu fassen. Völlig verzweifelte Menschen brechen zusammen und betteln um Informationen über ihre Liebsten.

Jackie Lahav gehört zu den betroffenen Eltern. Er sucht nach seiner Tochter Amit, die auf dem Rave in der Nähe des Kibbuz Re’im war, bei dem wahrscheinlich Hunderte junge Menschen von den Terroristen der Hamas eiskalt ermordet wurden.

»Wir riefen sie an, als die ersten Raketen im Süden fielen. Sie sagte, dass die Party vorbei ist und alle auf dem Weg zu den Ausgängen seien. ›Macht euch keine Sorgen, Polizei ist hier‹, rief sie noch. Als wir sie später noch einmal anriefen, antwortete sie nicht. Wir hörten nur arabische Stimmen im Hintergrund. Vielleicht war ihr Telefon auf den Boden gefallen. Seit diesem Moment schwanken wir zwischen etwas Hoffnung und völliger Verzweiflung«, erzählt der Vater.

krankenhäuser »Niemand gibt uns irgendwelche Informationen. Wir haben uns auf den Weg gemacht und versuchen, den Süden zu erreichen, damit wir in den Krankenhäusern suchen können. Ich bin optimistisch, dass sich Amit irgendwo versteckt und nicht die Möglichkeit hat, mit uns zu kommunizieren«, berichtet Jackie Lahav. Er wolle sich nichts Schlimmeres ausmalen. »Aber immer wieder gehen mir diese Gedanken durch den Kopf.«

Die 84-jährige Mutter von Uri Ravitz wurde aus ihrem Haus im Kibbuz Nir Oz in den Gazastreifen verschleppt. Er erkannte auf einem Video der Hamas, wie Terroristen sie auf einem Motorrad entführten.

»Bis jetzt gibt es keine offizielle Stelle, die mit uns kommuniziert, uns informiert, leitet oder Unterstützung bietet. Die Vernachlässigung der Menschen im Süden geht weiter, sogar nachdem die furchtbarste Tragödie geschah«, beklagt sich Ravitz bitterlich.

geiseln Die Zahl der Toten ist mittlerweile auf 700 gestiegen. Mehr als 2200 Menschen sind verletzt. Wie viele Geiseln im Gazastreifen von der Terrororganisation Hamas festgehalten werden, ist noch nicht bekannt. Inoffizielle Schätzungen geben um die 100 Frauen, Männer und Kinder an.

Mittlerweile haben Polizei, Sozialministerium und das Heimatfrontkommando ein Zentrum in der Nähe des Ben-Gurion-Flughafens eröffnet, an das sich Angehörige wenden können, die Familienmitglieder vermissen.

Sie sind aufgerufen, Fotos und Gegenstände, von denen DNA produziert werden kann, mitzubringen. Eine Hotline mit der Nummer 118 wurde ebenfalls eingerichtet.

pressekonferenz Auf einer gemeinsamen Pressekonferenz der Familienangehörigen verschwundener Israelis fordern die Familien die Regierung auf, ihnen Antworten und aktuelle Informationen über ihre Angehörigen zu geben.

 »Unser oberstes Ziel ist es, unsere Familienmitglieder, die Vermissten, die Gefangenen zurückzubringen«, sagt der Sprecher der Gruppe, Uri David. »Wir appellieren an die Familien. Bewältigen Sie das nicht alleine. Nehmen Sie Kontakt mit mir auf.«

David, dessen zwei Töchter vermisst werden, sagt, die aktuelle Situation sei »unglaublich … es ist unmöglich zu verstehen. Wir fordern von dieser Regierung Antworten. Wir wissen, dass nicht alle zufriedenstellende Antworten erhalten werden«, fügt er hinzu, während die Eltern um ihn herum in Tränen ausbrechen. »Wir wollen unsere Kinder zurück, unsere Familienmitglieder.«

Petah Tikva

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