Terror

»Wir haben gepackt«

Die Kinder unserer Autorin packen Hilfssendungen für die Soldaten Foto: Sabine Brandes

»Hörst du diese Ruhe«, sage ich zu Oron, als wir auf dem Balkon sitzen und in den Himmel starren. Es ist Donnerstagabend, der Tag, an dem die Israelis gewöhnlich ausgehen und die Nacht zum Tag machen. Normalerweise schallt hier im Süden von Tel Aviv, wo wir wohnen, dann immer laute Musik aus irgendeiner Wohnung oder Bar. Lachende und plaudernde Leute laufen auf den Straßen entlang. Wir hören - nichts.

Die wenigen Menschen, die auf den Straßen sind, huschen in die Supermärkte, um ihre Vorräte aufzustocken, oder Spenden abzuliefern. Aktionen laufen im ganzen Land und Listen, was benötigt wird, werden pausenlos in WhatsApp-Gruppen geteilt: Kleidung, Spielsachen, Windeln, langhaltbares Essen für die Familien aus dem Süden, die nach dem Hamas-Terror alles zurücklassen mussten. Taschenmesser, Shampoos, Rasier- und Verbandszeug, Wundsalbe, Unterhosen, Socken und Gaskocher für die Soldaten. Und Kekse.

Klassenkameraden und Freunde meiner Tochter kämpfen im Süden

Ein Cousin ist in der Kampfeinheit Golani und im Norden stationiert. Klassenkameraden und Freunde meiner Tochter kämpfen im Süden. Darunter auch ihr allererster Freund, ein liebenswerter Junge, der heute in einer Eliteeinheit dient. Nach jeder Nachricht, dass »sie ok sind«, atmen wir auf.  

Wir gehen in die Drogerie und kaufen ein. Meine Kinder malen Schilder mit Aufmunterungsgrüßen, Davidsternen, roten Herzen und dem Satz: »Danke, dass ihr uns beschützt« dazu. Wir packen auch Taschen für die Flüchtlinge und bringen sie in die Schulen meiner Kinder. Unterricht gibt es keinen, es sind jetzt Notunterkünfte für Familien, die aus dem Süden flüchten mussten.

Das Treppenhaus ist der sicherste Ort im WohnhausFoto: Sabine Brandes

Gestern gab es keine Sirenen. Doch den Tag davor gleich mehrere und am Freitag, kurz vor dem Schabbat wieder eine. Wir sind wie immer ins Treppenhaus gerannt, denn unsere Wohnung hat keinen Schutzraum. Es soll der sicherste Ort im Gebäude sein. Wir sitzen alle gemeinsam auf den Stufen, wenn der Alarm losschrillt und wissen dann nicht, ob eine Rakete aus Gaza kommt oder von der Hisbollah im Libanon. Wir wünschen immer, dass es »nur« die Hamas-Geschosse sind, die weniger Reichweite und Sprengstoff haben. Zumindest wollen wir das glauben. Das dumpfe Wummern ist ein gutes Zeichen. Das Raketenabwehrsystem in Aktion. 

Hamas-Raketen wollen wir im Treppenhaus aussitzen

Aber auch an der nördlichen Front brodelte es. Hisbollah und israelische Armee lieferten sich schon Gefechte. Sie waren sporadisch und auf den Norden beschränkt, doch die Mittelstreckenraketen der Schiitenmiliz würden auch Tel Aviv ohne Probleme erreichen. Wir haben beschlossen, dass wir die Hamas-Raketen im Treppenhaus aussitzen. Sollte es aber tatsächlich zu einem Krieg mit der Hisbollah kommen, werden wir in den öffentlichen Bunker ziehen.

Dann die Schreckensnachricht: »Terroristen aus dem Libanon infiltrieren Israel«. Mein Herz stockt, mein Kopf rennt. Das ist mir zu viel. Unser Haus ist alt, mit maroden Holzfenstern und -türen. Terroristen wären in Sekunden im Innern. Ich frage Oron, ob er eine Waffe hat. Ohne nachzudenken, einfach so kommt es mir in den Sinn. »Bist du durchgedreht?«, fragt er mich. Zumindest bin ich kurz davor. Natürlich hat er keine Waffe. Sein Armeedienst ist Jahrzehnte her. Nach 90 bangen Minuten kommt die Entwarnung. Es war ein falscher Alarm.

Meine Kinder Kriegsflüchtlinge? - Ein schrecklicher Gedanke

Eine Flucht aus Israel? Zumindest meine Tochter und meinen Sohn nach Deutschland schicken? Natürlich denke ich daran. Dann würden meine Kinder Kriegsflüchtlinge sein, ein schrecklicher Gedanke. Von Freunden aus der ganzen Welt trudeln Botschaften ein, die unsere Herzen wärmen: »Wir fühlen mit euch, unser Haus ist euer Haus.«

Vom Vater meiner ältesten Tochter, Guido, kommt eine Nachricht aus Köln. Er und seine Frau Ylva - bei denen meine Kinder regelmäßig ihre Ferien verbringen - seien sich einig: »Dibi und Edusch können jederzeit, und solange ihr wollt, bei uns wohnen. Natürlich.« Er benutzt die Spitznamen meiner Kinder Dean und Eden. Natürlich.  

Die Koffer, die ich vor genau einer Woche für einen Wochenendtrip nach Athen mit meinen Liebsten gepackt hatte, stehen noch immer im Flur. Wir hatten keine Zeit, sie auszuräumen. Daneben stehen jetzt Rucksäcke voller Wasserflaschen, Taschenlampen, Decken, Dosen, Ladekabeln und Wechselwäsche. Wir haben für den Krieg gepackt.

Jerusalem

Merz trifft Netanjahu und besucht Holocaust-Gedenkstätte

Es ist einer der wichtigsten Antrittsbesuche von Kanzler Merz - aber auch einer der schwierigsten. In den Beziehungen zu Israel gab es in den letzten Monaten einige Turbulenzen

von Michael Fischer  06.12.2025

Akaba/Jerusalem

Merz zu Nahost-Reise aufgebrochen: Antrittsbesuch in Israel 

Das Renten-Drama ist überstanden, jetzt geht es für den Kanzler erstmal ins Ausland. Heute und morgen steht ein besonderer Antrittsbesuch auf seinem Programm

 06.12.2025

Israel

Drei Brüder werden an einem Tag Väter - von vier Kindern

Zwillinge inklusive: Drei Brüder und ihre Partnerinnen schenken den Großeltern an einem Tag vier Enkel. Wie es zu diesem seltenen Familienglück kam

von Sara Lemel  05.12.2025

Barcelona

Guinness World Records blockiert Bewerbungen aus Israel

Die israelische NGO Matnat Chaim will im kommenden Monat 2000 Nierenspender zusammenbringen. Dieser Rekord wird nicht registriert, da er im jüdischen Staat umgesetzt werden soll

 05.12.2025

Gaza

Wie die Hamas Hilfsorganisationen gefügig machte

Einer Auswertung von »NGO Monitor« zufolge konnten ausländische Organisationen in Gaza nur Hilsprojekte durchführen, wenn sie sich der Kontrolle durch die Hamas unterwarfen

von Michael Thaidigsmann  05.12.2025

Jerusalem

Netanjahu bezeichnet Korruptionsprozess als »politisch«

»Sie sind nicht an Gerechtigkeit interessiert, sie sind daran interessiert, mich aus dem Amt zu drängen«, so der Ministerpräsident

 05.12.2025

Luftfahrt

EasyJet plant Rückkehr nach Israel

Im Frühling geht es mit zunächst drei Verbindungen zwischen europäischen Städten und dem Ben-Gurion-Flughafen los

 05.12.2025

Medien

»Die Kritik trifft mich, entbehrt aber jeder Grundlage«

Sophie von der Tann schwieg bislang zur scharfen Kritik. Doch jetzt reagiert die ARD-Journalistin auf die Vorwürfe

 04.12.2025

Die letzte Geisel in Gaza

»Er ging als Erster – er kommt als Letzter zurück«

Ran Gvili war ein Polizist einer Eliteeinheit, der trotz gebrochener Schulter in den Kampf zog

von Sabine Brandes  04.12.2025