Sozialproteste

Wieder auf der Straße

Schluss mit lustig: Demonstranten vor dem Haus von Finanzminister Yair Lapid am vergangenen Samstag Foto: Flash 90

Statt im Luxusbett liegen sie auf der Luftmatratze. Die jungen Leute auf der Straße vor einer prunkvollen Villa im Nobelort Caesarea sind nicht obdachlos, aber so wütend, als wären sie es. Es sind Studenten aus Tel Aviv, die nicht wissen, wie sie in den nächsten Monaten finanziell über die Runden kommen sollen. Das wollen sie ihrem Regierungschef heute persönlich mitteilen – mit dem Megafon vor seinem Privathaus. Die Sozialproteste in Israel haben wieder Fahrt aufgenommen.

Zwar sind nicht wie im Sommer vor zwei Jahren die Massen auf den Straßen, um gegen die überteuerten Lebenshaltungskosten zu demonstrieren, doch diejenigen, die kommen, sind entschlossen, etwas zu ändern. Vor zwei Wochen waren es um die 10.000 Demonstranten, die in Tel Aviv ihrem Unmut Luft machten. In Haifa, Jerusalem und anderen Städten waren es einige Hundert, letzte Woche wieder ein paar Tausend. Der Samstagabend, nach dem Ausgang des Schabbats, hat sich als »Israel-Demotag« bei den Städtern eingebürgert.

Während sich die Initiatoren von 2011 anstrengten, jegliche Politik aus ihrem Protest herauszuhalten, wollen die von 2013 davon nichts mehr wissen. »Natürlich sind wir politisch. Wir sind gegen die Politik dieser Regierung, denn die ist schließlich verantwortlich«, macht Netta Cohen deutlich, als sie am Samstagabend mit Gleichgesinnten auf dem Habima-Platz in Tel Aviv Plakate schwingt. »Warum sollen wir Gott beschuldigen, wenn es Netanjahu und Konsorten sind, die uns beklauen und betrügen? Es ist alles genauso wie vor der Wahl, und der ›Hoffnungsträger Lapid‹ ist auch nicht viel moralischer«, wettert die Sozialarbeiterin, »wenn der auch vielleicht ein bisschen besser aussieht.«

Lebensstil Für Humor ist Platz an diesem Abend. Reden und Plakate, die die Politiker aufs Korn nehmen und ins Lächerliche ziehen, sind eher zu hören und zu sehen als hasserfüllte Parolen. Eine Gruppe von Leuten trägt ein Schlauchboot auf dem Kopf. In Anspielung auf die Affäre um das »fliegende Bett«, das sich Benjamin Netanjahu in sein Flugzeug hatte einbauen lassen. Eyal Niv und seine Freunde wollen es dem Premierminister gern schenken, wenn er auf überteuerte Flüge verzichten würde.

»Es ist wirklich absurd, was da oben an der Macht abgezogen wird, während wir unsere Rechnungen nicht bezahlen können – obwohl wir in der Armee sind, studieren, arbeiten und alles tun, was aufrechte Bürger tun sollten«, so Niv. »Wir sind zwar stinksauer darüber, aber nicht verbittert. Denn Bitterkeit bringt Stillstand. Doch wir sehen Chancen auf eine Änderung in unserem Land. Wir müssen sie nur endlich richtig einfordern und nicht immer nur buckeln und schweigen.«

Besonders der persönliche Lebensstil von Ministerpräsident Netanjahu und seiner Ehefrau Sara ist es, der die Israelis dieser Tage auf die Palme bringt. Vor einigen Tagen hatte Kanal Eins des staatlichen Fernsehens darüber berichtet, dass Netanjahu für den Einbau einer Schlafkabine mit Doppelbett in ein Flugzeug für sich und Sara 127.000 US-Dollar aus der Staatskasse nahm. Dabei flog er nicht um die Welt, sondern gerade einmal von Tel Aviv nach London zum Begräbnis von Margaret Thatcher.

Das Büro des Regierungschefs gab daraufhin eine Mitteilung heraus, die klarmachte, dass der Premier »Ruhe nach einem hektischen Tag brauche, bevor er auf internationalen Foren auftrete«. Doch das wollen die Israelis ebenso wenig hören wie die vorhergehenden »Erklärungen« zu horrenden Kosmetikkosten – »der Ministerpräsident muss gut aussehen« –, in die Höhe geschnellten Reinigungskosten im Hause Netanjahu oder Tausende von Schekeln monatlich für die vom Chef geliebte Pistazieneiscreme.

Lügen Doch auch der neue Finanzminister und einstige Fernsehliebling Yair Lapid von der Partei Jesch Atid bekommt sein Fett weg. Nach Bekanntgabe einiger seiner Sparmaßnahmen fallen seine Punkte auf der Beliebtheitsskala in sämtlichen Umfragen in den Keller. »Lapid verspricht = Lapid lügt« steht auf einem Plakat in Haifa. Fast wöchentlich versammeln sich Protestierende vor seinem Privathaus im schicken Tel Aviver Stadtteil Ramat Aviv und fordern soziale Gerechtigkeit.

Fakt ist: Für die meisten Israelis der Mittelschicht und besonders für jene, die am Rande des Existenzminimums leben, hat sich die Lage in den vergangenen zwei Jahren entweder nicht geändert oder noch weiter verschlechtert. Die Kosten für Essen – »faire Lebensmittelpreise« war eine der Hauptforderungen des Sommers 2011 – haben sich weiter erhöht. Für frisches Obst und Gemüse beispielsweise stiegen die Preise im Januar 2013 um 12,6 Prozent.

Einer der Initiatoren der Demonstration in Tel Aviv, Alon Grien, sagt: »Es sind die jungen Familien, Studenten und Leute, die eh schon nichts mehr abzugeben haben, die von Lapids Einsparungen betroffen sind. Mit dem neuen Haushalt haben sie jegliche Hoffnung verloren. Vor zwei Jahren sind wir auf die Straßen gezogen, um unser Land zu retten. Wir glaubten an den Wandel. Aber wir sind von der neuen Regierung in den Hintern getreten worden, die nichts als ein Abklatsch der alten ist.«

Ob Netanjahu, Lapid und Co. die Menschen allerdings tatsächlich hören, die vor ihren Häusern Trommeln schlagen und sich an den Megafonen heiser brüllen, ist unwahrscheinlich. Niemand sagte in den letzten Wochen: »Ich höre mir eure Sorgen an, ich nehme euch ernst.« Die Türen der Villen bleiben für die Normalbürger fest verschlossen.

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