Fast sieht es so aus, als sollten sie heimlich, still und leise zur Wahl gehen – als wäre es peinlich, dass die Israelis zum dritten Mal in einem Jahr zum Wählen aufgerufen werden. Die Straßen sind verdächtig leer. Kaum Plakate mit lächelnden Gesichtern über Slogans in fetten Lettern oder Händeschütteln auf blau-weißem Hintergrund. Keine Fanfaren, kein Wahlkampf.
Dabei sind es kaum mehr als zwei Wochen, bis die Israelis wieder einmal ihre Stimme abgeben. Das dritte Mal in einem Jahr, das ist ein Novum in der Geschichte des Staates. Dass ein Ministerpräsident unter Korruptionsanklage in den Wahlkampf zieht, ebenso. Hintergründig geht es um große Themen wie den Nahost-Friedensplan von US-Präsident Donald Trump, die Annexion von Siedlungen und dem Jordantal sowie die drei Korruptionsverfahren gegen den amtierenden Ministerpräsidenten. Vordergründig jedoch geht es darum, wie die Patt-Situation auf dem politischen Parkett in Jerusalem aufgebrochen werden kann.
Der Termin für eine eventuelle vierte Wahl steht bereits fest.
Dafür lehnen sich vor allem die beiden großen Parteien, der Likud von Premier Benjamin Netanjahu und die Zentrumsunion Blau-Weiß von Benny Gantz, weit aus dem Fenster und versuchen, die Minderheiten im Land zu mobilisieren. Blau-Weiß, die bei den vergangenen Wahlen 33 Mandate holte (eines mehr als der Likud), arbeitet eifrig daran, weitere Sitze zu holen.
FEHLER Mal gibt sich die Union liberal und aufgeschlossen, wenn sie zu den potenziellen Wählern aus der LGBT-Gemeinde spricht, mal weiter rechts auf dem politischen Spektrum, um die religiösen Zionisten ins Boot zu holen. Die werden eigentlich dem nationalreligiösen Jüdischen Haus, der Neuen Rechten oder dem Likud zugerechnet. Doch Blau-Weiß will die Liberaleren innerhalb der Strömung ansprechen.
Dafür schaltete sie jetzt extra eine neue Werbekampagne. Das Thema: Senf. Neben einem Wortspiel aus den Anfangsbuchstaben der Worte »charedische religiöse Zionisten«, die das Wort »Chardal« (Hebräisch für Senf) ergeben, bildeten sie die israelische Fahne ab. Darauf war ein Senffleck. Doch wer möchte schon ein Fleck auf der Landesflagge sein? Viele Vertreter der Nationalreligiösen fanden das Plakat beleidigend. Blau-Weiß gab zu, dass die Kampagne ein Fehler gewesen war, behauptet jedoch weiter, das »Zuhause für die Chardalniks« zu sein.
Auch die Drusen, die Immigranten aus Äthiopien und die aus der ehemaligen Sowjetunion sollen überzeugt werden. Doch sogar kleinere Gruppen wie die Hightech-Angestellten, französische Einwanderer oder Pensionäre wollen Gantz und seine Partner zum Abstimmen bringen – natürlich für Blau-Weiß.
Netanjahu will weitere 400 Äthiopier ins Land lassen.
Ein Konzept, das vielleicht aufgeht. Denn derzeit liegt das Bündnis aus Chosen Le’Israel von Gantz, Yesch Atid von Yair Lapid und Telem vom einstigen Verteidigungsminister Mosche Yaalon in Umfragen recht weit vorn.
Nach der Umfrage von Kanal 13 könnte der linksliberale Block derzeit 59 Sitze auf sich vereinen. Wenige Tage zuvor hatte Kanal 12 eine Umfrage veröffentlicht, nach der er 57 holen würde und das rechtsreligiöse Lager um den Likud auf 55 oder 56 Mandate käme. Nach wie vor hätte jedoch keine der beiden Seiten die nötigen 61 Sitze ohne die Beteiligung des Königsmachers Avigdor Lieberman von Israel Beiteinu an einer Koalition.
Um von diesem unabhängig zu sein, will der Likud die Veganer und Haschraucher auf seine Seite ziehen. Ob viele dieser traditionell liberalen Wähler allerdings gerade der Netanjahu-Partei ihre Stimme geben, darf bezweifelt werden. Erfolgreicher könnte die Kampagne für die Taxifahrer und kleinen Geschäftsinhaber sein. Und wie Blau-Weiß, so will der Likud auch die äthiopischstämmigen Israelis auf seiner Seite haben, die wegen der Polizeigewalt gegen Mitglieder ihrer Gemeinde bei den vergangenen Wahlen in großer Zahl keine Stimme abgaben.
21 Prozent sind sicher, die hohen Lebenshaltungskosten in Israel würden entscheiden, 18 Prozent meinen, die Sicherheit sei Top-Thema.
Pressetauglich kündigte Premier Netanjahu am Wochenbeginn an, weitere 400 Olim Chadaschim aus Äthiopien ins Land zu lassen. »Ich hatte das Privileg, Tausende unserer Brüder und Schwestern zu holen. Dies ist ein weiterer Schritt. Wir sind zudem der vollständigen Integration dieser Menschen verpflichtet.« Blau-Weiß verspricht indes, alle noch verbleibenden äthiopischen Juden und Falaschmura, die von Juden abstammen, aber zum Christentum konvertierten, nach Israel zu holen.
PETITION Das dadurch eine massive Verschiebung bei den Mandaten möglich ist, bezweifeln die Experten. Vielmehr geht es darum, die Bürger überhaupt zum Wählen zu motivieren. Eine Petition an das Oberste Gericht will erreichen, dass der Wahltag weiterhin Feiertag ist – allerdings nur für jene, die tatsächlich ihren Stimmumschlag in die Wahlurne werfen.
Einer Umfrage des Israeli Voice Index vom Januar zufolge glauben viele Wähler übrigens nicht, dass der Friedensplan die größte Rolle bei der Wahlentscheidung spielen wird, sondern die Korruptionsvorwürfe gegen Netanjahu. 32 Prozent der Befragten sagen, dass das Verfahren gegen ihn den größten Effekt auf die Stimmabgabe haben werde. Vor fast einem Jahr, im April 2019, waren es lediglich 19 Prozent, die davon ausgingen.
21 Prozent sind sicher, die hohen Lebenshaltungskosten in Israel würden entscheiden, 18 Prozent meinen, die Sicherheit sei Top-Thema, zehn Prozent Religion und Staat und lediglich sieben denken, die jüdisch-arabischen Beziehungen bestimmten den Ausgang dieser Wahlen.
»Wie bei jeder Wahl in jeder Demokratie auf der Welt geht es um die Zukunft und die Vergangenheit. Sie entscheidet sich zwischen den Leuten, die Veränderung fürchten, und denen, die davon beflügelt werden. In Israel ist es dasselbe – allerdings verstärkt«, sagte Gantz am Montag. Blau-Weiß stehe auf der einen Seite, auf der anderen stehe Bibi Netanjahu, der sich zu lange an der Macht festklammere. »Er hatte 14 Jahre. Was er in denen nicht getan hat, wird er nie mehr tun. Man kann einem alten Premier keine neuen Tricks beibringen«, so Gantz.
Und wenn keines der Konzepte der großen Parteien aufgeht, gibt es ja noch immer das nächste Mal. Das Zentrale Wahlkomitee erklärte, es habe den Termin für die kommenden Wahlen festgelegt. Sollte es also auch im März zu keiner regierungsfähigen Koalition kommen, könnten es die Israelis am 8. September noch einmal versuchen. Dann schon zum vierten Mal.