Am Nordufer des Kinneret, kurz vor dem Kloster Tabgha, stoppt ein Minivan. Das Gatter ist verriegelt, die Zufahrt versperrt. Die Eltern und ihre beiden Söhne steigen aus, der Fahrer folgt seufzend. Keine Klingel, nur ein schlichtes Schild mit den Öffnungszeiten hängt am Tor. Der Vater wirft einen prüfenden Blick auf seine Armbanduhr, eigentlich sind sie pünktlich. Laut Plan sollte das Kloster erst in einer halben Stunde schließen. Nach ein paar Minuten gibt die Familie auf, geht zurück zum Fahrzeug – und verpasst nur knapp einen Mitarbeiter, der eilig zum Eingang hastet.
»Das ist verrückt, vorhin kam schon ein Bus mit Touristen, langsam geht’s wieder los«, freut er sich. Der Mann, der das kleine Café in dem berühmten Kloster betreibt, führt vorbei am verdunkelten Souvenirladen hinein in seine Küche. Dort packt er selbst gebackenes Anisbrot aus, teilt es in Stücke, stellt frischen Kaffee auf den Herd. »Ich habe es so vermisst, dass die Touristen ankommen. Wir haben die Öffnungszeiten verkürzt, weil seit Kriegsbeginn kaum noch jemand hier war.«
82 Prozent weniger Reisende allein aus Deutschland
Nach dem 7. Oktober 2023, dem Tag des Terrorangriffs der Hamas, ist die Zahl der Touristen in Israel dramatisch eingebrochen. Allein aus Deutschland kommen seitdem 82 Prozent weniger Reisende, so das Tourismusministerium. Doch in diesem Sommer gilt bei Behörden und Veranstaltern wieder das Prinzip Hoffnung. So seien im Juni 55.000 Reisende ins Land gekommen, im Juli bereits 85.000, heißt es auf Anfrage des Staatlichen Israelischen Tourismusbüros.
»Die jüdischen und christlichen Touristen sind ganz vorn mit dabei«, sagt Ksenia Kobiakov, Direktorin des israelischen Verkehrsbüros in Berlin. »Sie kommen jetzt wieder häufiger und haben Orte wie die Jerusalemer Altstadt, die ansonsten von Touristen überlaufen war, ganz für sich.« Auch zahlreiche Fluggesellschaften nehmen Verbindungen wieder auf, neben EL AL ebenfalls Billig-Airlines wie Bluebird oder Wizz Air.
Für Israelis liegt der Krieg mit dem Iran gefühlt weit zurück.
Für viele Anbieter vor Ort ist das eine kleine Sensation, besonders am Kinneret und an anderen Orten, die fast zwei Jahre lang verwaist waren. Jetzt heißt es, rechtzeitig Personal zurückholen, Küchen bestücken, Ausflugsprogramme aktivieren. Auch Hotels müssen vorbereitet werden: Schon im vergangenen Jahr flossen 175 Millionen Schekel vom Staat, damit Unterkünfte, die über Monate hinweg Evakuierte aus Israels Süden oder Norden beherbergt hatten, nach den langen Aufenthalten renoviert werden konnten.
Trotzdem bleibt der große Ansturm aus. Der Krieg in Gaza, unvorhergesehene Raketenangriffe – wie diese Woche jene der Huthi – und die unklare Sicherheitslage halten potenzielle Besucher weiterhin zurück. »Es wird viele Monate Ruhe im Land brauchen, damit Touristen wieder Vertrauen haben und sich sicher fühlen«, sagt Kobiakov. Für die Israelis scheint der Krieg mit dem Iran im Juni weit weg, wie aus einer anderen Zeit. Beobachter im Ausland aber vergessen solche Ereignisse nicht so schnell.
»Europäische Touristen buchen ewig lange im Voraus«
Das spüren vor allem Reiseagenturen. In den drei Jahrzehnten, in denen er mit seiner eigenen Firma »Zion Tours« auf dem Markt ist, hat Mark Feldman vor allem eines gelernt: »Europäische Touristen buchen ewig lange im Voraus. Wenn sie das Gefühl haben, sie können mehrere Monate vorher nicht 100-prozentig sicher sein, ob oder wie die Reise stattfindet, buchen sie erst gar nicht.«
Besonders Kirchengruppen, die rechtzeitig planen müssen, fallen deshalb weg. Vor dem Krieg stellte seine Agentur in erster Linie Rundreisen zusammen, auch für Geschäftskunden, die Firmen oder Konferenzen in Israel besuchten. »Jetzt organisieren wir zu 90 Prozent Reisen für Israelis, die ins Ausland fahren. Ihre Geschäftspartner kommen nicht mehr, deshalb müssen meine Kunden immer selbst fliegen.«
Die wenigen, die dennoch kommen, haben meist ein besonderes Motiv.
Derzeit betreut Feldman eine israelische Basketballmannschaft, die in der Europe League spielt. Alle Heimspiele wurden ins Ausland verlegt: Statt auf dem eigenen Platz zu spielen, muss die Mannschaft in diesem Herbst und Winter viel mehr fliegen als geplant, unter anderem nach Hamburg. Ähnlich sieht es bei großen Unternehmen und internationalen Wirtschaftskonferenzen aus: Gäste, die sonst für Arbeit oder Sportturniere angereist wären, bleiben fern.
Die wenigen ausländischen Besucher, die dennoch kommen, haben meist ein besonderes Motiv. Feldman bezeichnet sie als »Terror-Touristen«. »Ich hatte eine Gruppe aus Deutschland hier, die vor allem die Kibbuzim an der Grenze sehen wollte. Sie haben den Überlebenden lange zugehört, es war sehr emotional, mit Tränen und vielen Umarmungen.« Von den Partygängern, Naturabenteurern oder klassischen Geschichtsliebhabern, die früher durch Israel reisten, ist derzeit dagegen kaum etwas zu sehen. Wer jetzt kommt, wolle vor allem Solidarität mit Israel zeigen.
»Und alle von ihnen stellen mir immer wieder dieselbe Frage: ›Wie lange geht der Krieg noch?‹«, erzählt Feldman. »Das macht mich ziemlich emotional, weil ich auch keine Antwort darauf weiß.« Er habe aufgehört zu prophezeien, dass es bald vorbei sein wird. Solange der Krieg andauere, blieben auch die Reisewarnungen bestehen – und damit die Zurückhaltung der meisten Interessenten. »Bevor das nicht zu Ende ist«, sagt Feldman, »sollten wir uns keine Illusion machen, dass die Touristen in so großer Zahl zurückkommen wie früher.«