Lod

Stadt ohne Gesetz

Jetzt soll Stärke gezeigt werden: polizeiliche Autokontrollen in den Straßen von Lod Foto: Flash 90

Sie ist bekannt für zweierlei: die blutigen Kämpfe der verfeindeten arabischen Clans und ihre Automaten. Auch aus Letzteren kommt nichts Gutes. Junkies stecken ein Geldbündel in einen Schlitz irgendwo in schmuddeligen dunklen Ecken, heraus kommt gepanschtes Heroin. Lod, die Stadt in unmittelbarer Nähe zum Ben-Gurion-Flughafen und weniger als 20 Fahrminuten von Tel Aviv entfernt, ist nicht selten in den Schlagzeilen. Und meist mit Blaulicht-Meldungen. Wie in diesen Tagen wieder: Innerhalb von nur 30 Stunden starben hier eine Frau und ein Mann aus der arabischen Gemeinde auf offener Straße, erschossen vor den Augen ihrer Kinder.

Ilan Harari sandte daraufhin einen Hilferuf: »Wenn nicht sofort eine Einheit Grenzpolizisten nach Lod geschickt wird, mache ich die ganze Stadt zu. Die Schulen, einfach alles, und gehe nach Jerusalem, um beim Premierminister zu demonstrieren.« Der Bürgermeister hat genug von der ausufernden Kriminalität in seiner 68.000-Seelen-Gemeinde. Was in der vergangenen Woche geschah, ist kein Einzelfall, erst im März starben an zwei aufeinanderfolgenden Tagen Menschen durch Schüsse. Gewalt und Angst sind Alltag geworden.

Ehrenmord In der vergangenen Woche wartete am Montagabend die 27-jährige Anwältin Amal Halili zusammen mit ihrer Tochter an einem Bahnübergang in ihrem Pkw. Plötzlich stoppte ein Auto neben ihr, Unbekannte jagten ihr in dem Moment Kugeln in den Kopf, als der vorbeirasende Zug die Schüsse übertönte. Halili starb noch am Ort des Verbrechens, ihr achtjähriges Kind musste alles mitansehen. Die Polizei geht von einem sogenannten Ehrenmord aus, die Mutter von drei Kindern hatte sich vor einem Jahr scheiden lassen und vor einigen Monaten eine Anzeige gegen die Eltern ihres Exmannes wegen Belästigung erstattet, am Tag darauf jedoch zurückgezogen. Halilis Familie weist die Theorie zurück. »Das ist nur eine Ausrede der Polizei, damit sie untätig bleiben kann.«

Tatsächlich gab es in den vergangenen zwei Jahren allein in Lod zwölf Morde, nur zehn wurden aufgeklärt. Jossi Kedem, Leiter der städtischen Polizei ist sich dessen bewusst, meint jedoch, dass auch ein höheres Aufgebot an Beamten nichts daran ändern könne: »Im letzten Jahr hatten die Tötungen hauptsächlich mit Konflikten der Clans untereinander zu tun, dieses Jahr sind es vor allem Ehrenmorde.« Da könne man nicht viel machen. Das Problem sei das völlige Fehlen der Kooperation der Bevölkerung in diesen Fällen. »Wenn man einen Mörder nicht auf frischer Tat ertappt, am besten noch mit der Waffe in der Hand, hat man kaum eine Chance.« Die Leute hier wüssten, wer getötet worden sei, und auch, wer es getan hat. »Doch sie sagen kein Sterbenswörtchen.«

Bevölkerung Die größten Probleme stammten aus dem explosiven Bevölkerungsmix, gepaart mit jahrzehntelanger Untätigkeit der Behörden, meinen Kenner der Stadt. In manchen Vierteln, die man eher als Slums denn als Wohnviertel bezeichnen kann, lebt ein Großteil Araber, viele von ihnen stammen aus der Westbank und Gaza. Dazwischen gibt es Immigranten aus Äthiopien und einige wenige alteingesessene Israelis. Eine andere Gegend ist das Zuhause von beduinischen Flüchtlingen aus dem Negev, die hier in Wellblechhütten hausen. Die trostlosen Straßen dieser Stadtteile sind gekennzeichnet von Verwahrlosung und Zerstörung: verwaisten halb zerfallenen Wohnblocks, Gärten voller Müll, ausgebrannten Abfallcontainern und den traurigen Überresten dessen, was einst Spielplätze waren.

»Die Polizei lässt sich überhaupt nicht blicken, es gibt keine Gesetze mehr«, beklagen sich viele Einwohner Lods. Eine erschreckende Realität, die Harari unumwunden zugibt: »Das ist der Alltag in Lod. Fast jeden Tag kann man in manchen Gegenden ständig Schüsse hören. Gesetze werden andauernd gebrochen. Beleidigungen, Bedrohungen, Sachbeschädigungen und gefährliches Fahren sind ohnehin Routine bei uns – Tag und Nacht«, schrieb der Bürgermeister in seinem Brief an Premierminister Benjamin Netanjahu. »Es ist zweifellos so, dass die Kriminellen sich um die Polizei keine Sorgen machen.« Der Ministerpräsident antwortete, dass er Lod nicht zum »Wilden Westen« verkommen lassen wolle. Bei einem Treffen mit Harari versicherte er, die öffentliche Ordnung wiederherstellen so wie in soziale Dienste und die Infrastruktur investieren zu wollen.

Reaktion Immerhin hatte Hararis verzweifelter Ruf Erfolg. Am nächsten Tag bereits marschierte die Einheit der Grenzpolizei in die Stadt ein. Deren Präsenz soll abschrecken und auch zwischen den Bevölkerungsgruppen vermitteln. Außerdem hat der Inlandsgeheimdienst zugesagt, dabei zu helfen, Schusswaffen der Bewohner zu konfiszieren. Yitzhak Aharonovitch, Minister für öffentliche Sicherheit, hat nach den Morden von Lod eine landesweite Aktion in Zusammenarbeit mit der Armee und dem Geheimdienst gegen illegalen Waffenbesitz angekündigt. »Es kann so nicht weitergehen«, machte er deutlich.

So ist Lod einmal mehr in den Schlagzeilen, für einige Tage, vielleicht wenige Wochen. Nur um dann wieder in der Versenkung des kollektiven Vergessens zu verschwinden. Bis zum nächsten Mal, wenn die Schüsse in der Nacht wieder jemanden treffen.

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