Interview

»Spiegelbild der Spannung«

Oberrabiner Pinchas Goldschmidt Foto: picture alliance/dpa

Herr Rabbiner Goldschmidt, Erzbischof Pierbattista Pizzaballa, der Lateinische Patriarch in Jerusalem, beklagte dieser Tage die zunehmende Zahl an Beleidigungen oder Spuckattacken auf Christen. Sind das Einzelfälle oder kann man wirklich von einem Trend sprechen?
Zweifelsohne handelt es sich dabei nicht um einige wenige Einzelfälle. Ich sehe da einen klaren Trend, weil die Rhetorik in Israel ganz generell eine schärfere geworden ist. Das haben mir jedenfalls christliche Geistliche immer wieder erzählt, und ich sehe keinen Grund, ihren Berichten keinen Glauben zu schenken. Andersdenkenden und Minderheiten gegenüber wird in Israel im Moment überhaupt sehr wenig Respekt gezeigt. Und das zeigt sich auch in diesen Übergriffen.

Wer verhält sich so?
Ich würde es als ein Jugendphänomen beschreiben. Fast immer sind es männliche Heranwachsende, die so handeln und auffällig werden. Zumeist sind es juvenile Charedim, die Andersgläubige attackieren oder verbal übergriffig werden, vor allem geschieht dies in der Altstadt von Jerusalem. Aber in letzter Zeit sind auch viele mit einem nationalreligiösen Hintergrund auffällig geworden.

Hat die regierende Koalition ein Klima geschaffen, das solche Übergriffe duldet?
Auf jeden Fall. Israel befindet sich in einer politischen Krise. Die Gesellschaft ist gespalten. Was wir an Anfeindungen gegenüber den Vertretern anderer Religionen erleben, ist ein Spiegelbild dieser Spannung.

Ein Vorwurf seitens des armenischen Patriarchats lautet, dass die Behörden die Vorfälle nicht ernst nehmen würden.
Brandanschläge wie der auf die historische Klosterkirche von Kapernaum werden selbstverständlich von allen Israelis verurteilt und von den Strafbehörden intensiv verfolgt. Spuckattacken und Beleidigungen sind zwar weniger dramatisch, man muss ihnen aber genauso auf den Grund gehen. Leider ist das schwieriger, weil die Täter wenig Spuren hinterlassen. Daher werden auch so wenige identifiziert.

Was sagt die Halacha zum Umgang mit anderen Religionen?
Nicht nur den Vertretern anderer Religionen sollte man mit Respekt und Achtung begegnen. Aber manchen fällt das ja bereits schwer im Umgang mit Juden, die einer anderen Strömung angehören. Das zeigen die Streitigkeiten an der Kotel darüber, wer wann wo beten darf, die regelmäßig ausbrechen. Die Gewalt beginnt leider nicht selten innerhalb des Judentums, in unserem Umgang miteinander.

Mit dem Präsidenten der Europäischen Rabbinerkonferenz und langjährigen Oberrabbiner von Moskau sprach Ralf Balke.

Analyse

Ankaras Machtspiele

Manche befürchten schon einen »neuen Iran«. Warum Israel die Türkei zunehmend als Bedrohung wahrnimmt

von Ralf Balke  20.12.2025

Geiseln

Quälendes neues Geiselvideo

Veröffentlichte Clips zeigen sechs Geiseln, die acht Monate später in Gaza von der Hamas hingerichtet wurden

von Sophie Albers Ben Chamo  20.12.2025

Knesset

Umfrage: Netanjahu-Regierung ohne Mehrheit

Im Herbst 2026 wählen die Israelis ein neues Parlament. Laut einer Meinungsumfrage liegen die Parteien der amtierenden Koalition weit hinter der Opposition

 19.12.2025

Tel Aviv/Berlin

Israel unterzeichnet weiteren Vertrag mit Deutschland über Raketenabwehr

Es handelt sich um das größte Rüstungsgeschäft in der Geschichte des jüdischen Staates

 19.12.2025

Israel

Zahl der Verkehrstoten steigt

Die Statistik verzeichnet mehr Verkehrsunfälle mit tödlichem Ausgang denn je

 19.12.2025

Kairo

Ägypten: Angeblich Pläne für USA-Reise von Präsident al-Sisi

Seit Beginn des Gaza-Kriegs sollen Israels Premier und Ägyptens Staatschef keinen Kontakt gehabt haben. Wird sich al-Sisi mit Hilfe eines Gas-Deals zu einem Treffen in den USA bewegen lassen?

 18.12.2025

Zahl der Woche

1437

Funfacts & Wissenswertes

 18.12.2025

Tschechien

Prag plant Botschaftsverlegung nach Jerusalem

Der neue Prager Außenminister Petr Macinka sagt, der Schritt sei überfällig

 18.12.2025

Jerusalem

Israel schließt 30-Milliarden-Deal mit Ägypten

Das Geschäft mit Ägypten soll die Position des jüdischen Staates als Energielieferant stärken. Was steckt hinter dem Abkommen?

 18.12.2025