Gazastreifen

Sicherheitsrisiko

Kerem Shalom: Unter diesem Grenzübergang befand sich der Terrortunnel. Foto: Flash 90

Der neueste Terrortunnel der Hamas ist zerstört. Der Einsatz von Kampfjets war nötig, um das massive Konstrukt zu sprengen. Doch es ist auch die Nachricht hinter der Nachricht, die aufhorchen lässt: Als der israelische Armeegeneral Eyal Zamir die Gegend des unterirdischen Ganges nach der Bombardierung besuchte, sagte er: »Die wahren Leidtragenden hier sind die Zivilisten in Gaza.« Tatsächlich warnen immer mehr Vertreter des Sicherheitsapparates in Israel vor den Folgen der katastrophalen Situation im Palästinensergebiet. Je öfter, desto eindringlicher.

Israel beschuldigt die Hamas, große Summen für den Tunnelbau zu verschwenden, statt die Gelder den notleidenden Bewohnern zukommen zu lassen. Dieser Durchgang verlief von der Stadt Rafah, etwa 900 Meter westlich der Grenze, wo Israel, Gaza und Ägypten aufeinandertreffen, und reichte 180 Meter ins israelische Kernland. Er wurde unterhalb der Grenzstation Kerem Shalom und noch unterhalb der Rohre gegraben, durch die Gas und Benzin in den Streifen fließen. Es war der vierte Tunnel, der innerhalb der vergangenen Monate von der Armee zerstört wurde.

Die Hamas in Gaza erklärte, er habe dazu gedient, Waren zu schmuggeln. Doch die IDF argumentiert dagegen: »Dieser unterirdische Gang war für Angriffe angelegt. Durch ihn wurden Waffen und Terroristen geschleust, um in Israel Terroranschläge auszuführen«, und fügte hinzu, man habe keinerlei Intention, die Lage eskalieren zu lassen, sei jedoch auf jedes Szenario gefasst. Der Keren-Shalom-Übergang wird vor allem für die Lieferungen von humanitärer Hilfe in den Gazastreifen benutzt. Anschließend fasste die Armee zusammen, dass Israel über hochentwickelte Fähigkeiten verfüge, um die unterirdischen Tunnel aufzuspüren. Bis Ende des Jahres hat sie sich vorgenommen, sämtliche Gänge zu finden und sprengen.

Finanzen Mit den Tunneln fliegen die Millionen in die Luft, die die Hamas für die Kriegsführung gegen Israel verwendet und ihre Bevölkerung gleichsam auf eine Katastrophe zusteuern lässt. »Das stimmt zweifelsohne«, beurteilt der Leiter der Nahost-Abteilung am Truman-Institut der Hebräischen Universität in Jerusalem, Professor Ronni Shaked, die Lage. »Hamas baut Tunnel und Moscheen. Doch das ist das Letzte, was die Menschen benötigen. Sie brauchen Arbeit und Lebensmittel. Ohne das sitzen sie zu Hause, starren die Wände an und denken an Israel, Zio-
nismus und den Hass darauf.« Die Verbündeten der Terrororganisation würden in keiner Weise zur Entspannung beitragen. Im Gegenteil: »Der Iran drängt zu einem neuen Krieg gegen Israel und liefert hochentwickelte Waffen, die Türkei will die Palästinenser religiöser machen und gibt Geld, um neue Moscheen zu bauen. Eine fatale Mischung.«

Die Hamas sei eine gefährliche Organisation, erläutert er. Bei der Machtübernahme vor zehn Jahren habe sie es sich zum Ziel gesetzt, die Bevölkerung zu unterwandern, und mit den Jüngsten begonnen: im Kindergarten, in den Schulen, an den Universitäten. »Und es hat leider funktioniert. In den Köpfen von vielen herrscht die Einstellung vor, dass die Alternative zur Hamas die israelische Besatzung ist. Denn Abbas kommt nicht zurück nach Gaza, die sogenannte Aussöhnung zwischen der Hamas und Fatah war vorgetäuscht und kompletter Schwachsinn.«

Die Lage im Gazastreifen sei kompliziert, erklärt er: Auf nur 236 Quadratkilometern würden heute zwei Millionen Menschen leben, von denen sich 80 Prozent als Flüchtlinge ansehen, ein politischer Status. Die wirtschaftliche Situation sei tragisch, im letzten Monat waren mindestens 46 Prozent arbeitslos. »Es gibt kaum trinkbares Wasser, Strom nur wenige Stunden am Tag. Hunderttausende von Kubikmetern verseuchtes Wasser strömen täglich ungeklärt ins Mittelmeer, und die Kloake wird in Aschkelon angespült. Natürlich ist das Israels Problem.«
Das sei ein großes Dilemma, Israel befinde sich im Zwiespalt. »Wir brauchen einen Nachbarn, der mit seinem Leben zufrieden ist, damit wir mit ihm in Frieden leben können.«

Ist Israel demnach für das Glücklichsein der Menschen in Gaza verantwortlich? »Nein, das ist Israel definitiv nicht«, macht der Professor klar. »Die Palästinenser dort haben die Hamas und damit Elend gewählt. Sogar heute, nach zehn Jahren, sind kaum Stimmen der Opposition zu hören. Man kann nicht erwarten, dass die Israelis ihnen aus reiner Nächstenliebe helfen wollen, wenn sie uns bombardieren und Terroranschläge verüben. Und trotzdem müssen wir es tun – aus reinem Eigeninteresse.«

Insel Es ist nicht so, dass es keine Lösungsvorschläge gibt. Die künstliche Insel vor Gaza, ein Vorschlag von Transport- und Geheimdienstminister Yisrael Katz, wurde schon wiederholt zur Diskussion gestellt. Demnach könnte ein Eiland, durch eine Brücke mit dem Festland verbunden, von der internationalen Gemeinschaft finanziert und gebaut werden. Die Kontrolle würde Israel übernehmen. Auf diese Weise könnte man, davon ist Katz überzeugt, die gravierenden Probleme in den Griff bekommen, es gäbe einen Hafen und Flughafen, Gaza wäre in der Lage, Waren ein- und auszuführen. »Wir können es uns nicht leisten zu warten. Wir steuern direkt auf eine humanitäre Katastrophe, einen Krieg oder beides zu«, meint Katz.

Premier Benjamin Netanjahu und Verteidigungsminister Avigdor Lieberman aber haben sich bislang kategorisch gegen die Insel ausgesprochen. Warum? »Weil sie nicht vorausschauend denken und sie außer ihrer persönlichen Macht nicht viel interessiert«, befürchtet Ronni Shaked. »Eine Insel dieser Art ist möglich und schon anderswo in der Welt realisiert worden.« Auch die Diskussion um eine andere Hilfsmaßnahme, Arbeiter aus Gaza nach Israel zu lassen – was definitiv ein Sicherheitsrisiko birgt –, wird immer wieder verschoben.

Zusammenbruch Zunehmend äußern sich Mitglieder des Verteidigungsapparates, von der Armee bis hin zum Inlandsgeheimdienst, öffentlich zur Lage im Palästinensergebiet. Wirtschaft und zivile Infrastrukturen stünden kurz vor dem vollständigen Zusammenbruch, sind sie sich einig. Und es könne sein, dass die Katastrophe, die darauf folge, von Jerusalem nicht mehr zu kontrollieren sei. »Die extrem schwierige humanitäre Situation ist zwar hauptsächlich das Problem der Hamas und der Palästinensischen Autonomiebehörde, doch Israel ist extrem davon beeinflusst«, machte der Koordinator der Regierungsaktivitäten in den Palästinen­sergebieten (COGAT), Yoav Mordechai, Anfang dieser Woche deutlich.

Netanjahu äußerte sich dazu während seines Indien-Besuches: Er unterstütze grundsätzlich wirtschaftliche Hilfe für den Gazastreifen. Das Hauptproblem aber sei die Unfähigkeit, die Menschen mit der grundlegenden Infrastruktur zu versorgen, die zum Leben notwendig ist, wie Strom, Wasser und Behausung. »Das ist unser Problem. Denn wenn sie vom Kollaps sprechen, meinen sie genau das«, so Netanjahu. Doch es sei eine absurde Situation, dass sich der Staat Israel um die grundlegendsten Bedürfnisse kümmern muss, weil die Hamas-Regierung sie vernachlässigt.

UNRWA Obwohl bekannt ist, dass sich oft hinter den Einrichtungen der UNRWA (Hilfs­werk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten) Terroristen verstecken und Hass auf Israel gepredigt wird, bezeichnet Shaked die Ankündigung der amerikanischen Regierung, die Gelder an das Hilfswerk zu kürzen oder sogar ganz zu streichen, schlicht als »Wahnsinn«. »Wer soll dann die eineinhalb Millionen Menschen versorgen, die davon abhängig sind?«

Doch sogar ohne diese Drohung ist Shaked sicher, dass die Zeit für eine Lösung abläuft. »In einigen Jahren werden es zweieinhalb Millionen Menschen sein, die im Gazastreifen leben – oder, besser gesagt, nicht mehr leben können.« Je schlimmer die Lage, desto wahrscheinlicher sei der Ausbruch einer Epidemie. »Und um die nach Israel zu bringen, braucht man keine Tunnel«, warnt der Jerusalemer Professor. »Krankheiten machen an keinem Grenzübergang halt.«

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