Tausende von Menschen kamen am Montagabend in den Charles-Chlore-Park am Strand von Tel Aviv. Sie wollten jenen eine Stimme geben, die oft keine haben: den Opfern von häuslicher Gewalt. Unter dem Motto »Frauen beenden die Gewalt zusammen« riefen die Demonstranten die Regierung auf, aktiv zu werden.
HILFSPROGRAMME Sie forderten, dass die bereits 2017 beschlossenen 250 Millionen Schekel (umgerechnet etwa 65 Millionen Euro) endlich in Hilfsprogramme investiert werden, um bedrohte Frauen zu schützen.
Seit dem Beginn der Coronakrise sind acht Frauen in Israel in ihren eigenen vier Wänden durch ihre Partner oder Familienangehörige ermordet worden. Seit Jahresbeginn sind es elf Frauen.
Die Zahl der gemeldeten Fälle von häuslicher Gewalt ist seit dem Beginn der Einschränkungen des öffentlichen Lebens extrem angestiegen. Oft steckten dabei die Opfer mit ihren Tätern in einem Haus fest und konnten sich nirgends in Sicherheit bringen.
»Wir wollen endlich, dass die Regierung sich einmischt und nicht nur stumm jedes Jahr die Zahlen der Toten veröffentlicht«, sagt die Demonstrantin Sigal Neuman.
Viele hatten Schilder mit dem Wort »Dai« gemalt und hielten sie in die Höhe. Darunter Handabdrücke aus roter Farbe, um das vergossene Blut zu symbolisieren. Dai bedeutet so viel wie »Schluss jetzt«. Auch Sigal Neuman hatte ein solches Schild dabei. Sie war extra aus dem Norden angereist, um sich an dem Protest zu beteiligen.
»Wir wollen endlich, dass die Regierung sich einmischt und nicht nur stumm jedes Jahr die Zahlen der Toten veröffentlicht. Wir sagen ›Dai‹ zur Gewalt und ›Dai‹ zum Schweigen«, erklärte Neuman. Die Organisatoren hatten einen »Frauen-Marsch« veranstalten wollen, aber wegen der Beschränkungen durch das Coronavirus dafür keine Genehmigung erhalten.
DUNKELZIFFER Die Behörden gaben an, dass von Januar bis heute mehr als 13.000 Frauen gewalttätige Übergriffe, meist von ihren Partnern, gemeldet haben. Die Dunkelziffer liegt viel höher, wissen Experten, da viele Betroffene die Gewalt aus Angst verschweigen.
Die Frauenorganisation Naamat berichtet über einen hundertprotzentigen Anstieg der Anrufe von Opfern. Die Leiterin von Naamat, Chagit Peer, befürchtet, dass weitere Lockdowns einen erneuten Anstieg der Gewalt mit sich bringen werden, sollte es eine zweite Welle des Corona-Ausbruchs geben.
PANDEMIE Unter den Protestierenden waren auch Lili Ben-Ami, die Vorsitzende des Michal-Sela-Forums. Ben-Ami ist die Schwester von Michal Sela, die 2019 von ihrem Ehemann erstochen wurde. »Das Schweigen ist, wie die Gewalt, eine ansteckende Pandemie«, sagte sie und zählte die vielen Gründe auf, warum die Opfer ihr Leiden oft für sich behalten.
Auch Shira Vishniyak hat ihre Schwester verloren. Maya wurde vor einigen Wochen in ihrer Wohnung von ihrem Freund getötet. Ein Freund der Familie, Dan Allon, sprach stellvertretend für die Hinterbliebenen während der Demonstration.
»Der Mord hat uns gebrochen«, sagte er: »Es ist an der Zeit, dass etwas getan wird, um dieses Phänomen zu stoppen. Die Polizei muss den Frauen, die sich melden, unbedingt glauben und die Gerichte die Täter bestrafen. Nur dann kann sich etwas ändern«.